Wer im Netz nach Gesundheitsinformationen sucht, der findet sie schnell. Unter den unzähligen Ergebnissen beim Googeln sind aber nur wenige, die wirklich verlässliche Information bieten. Und selbst die ist oft so formuliert, dass sie nicht für den ärztlichen Alltag taugt.
Selbst für den Fachmann ist es nicht immer leicht, an vollständige Informationen für einen Wirkstoff zu kommen. In einem Artikel im British Medical Journal im Jahr 2010 verglichen deutsche Gesundheitsforscher veröffentlichte und unveröffentlichte Daten zu Reboxetin, einem Antidepressivum. Entsprechend nur den öffentlich zugänglichen Ergebnissen überschätzte man seine Wirkung im Vergleich zu Placebo um 115 Prozent, im Vergleich zu anderen Antidepressiva um 23 Prozent. Die Analyse ist kein Einzelfall: Englische Medizinstatistiker schauten sich vor knapp zwei Jahren fast dreihundert systematische Reviews der Cochrane Library genauer an. Bei mehr als die Hälfte der Übersichten fehlten wichtige (Roh-)Daten von Studien, um zu einer ausgewogenen Analyse zu kommen.
Beschaffung verlässlicher Information aussichtslos
Daten zu Studien, die niemals die Pharma-Entwicklungszentren für vielversprechende Wirkstoffe verlassen, sind nur ein Problem, das den Experten für die Erstellung von Behandlungsleitlinien oder systematischen Reviews das Leben schwer macht. „Trotz großer Fortschritte im Verständnis der molekularen Mechanismen einer Vielzahl von Erkrankungen haben die Patienten kaum etwas davon“, sagt Ulrich Dirnagl vom Lehrstuhl für klinische Neurowissenschaften an der Berliner Charité.
Information, die frei von kommerziellen Interessen ist, verständlich und dann auch noch relevant für den aktuellen Krankheitsfall - das ist in Deutschland nur mit viel Mühe und Zeit zu haben. Der Leiter des deutschen Cochrane-Zentrums, Gerd Antes, schreibt in einem Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“: „Für die Gesundheitsberufe ist die Beschaffung verlässlicher Information schwierig, für Patienten und Angehörige oft aussichtslos.“ Fehlende Information zu Studien sind nicht das einzige Hindernis beim Versuch, sich einen Überblick über vorhandenes Wissen zu verschaffen. Etliche Studien tauchen nur in regional begrenzten Fachzeitschriften auf, Ergebnisse in türkischen oder italienischen Blättern verstehen nur wenige Ärzte, in deutschsprachigen Suchmaschinen kommen sie nicht vor.
Cochrane-Library: Gut, aber nicht perfekt
Schließlich gehen viele Studien an der täglichen Praxis für den Arzt vorbei. Denn wer etwa multimorbide ältere Patienten behandelt, dem helfen Studien mit jungen Teilnehmern wenig, die nur ausgewählte Krankheitssymptome zeigen. Das gilt auch für den „Gold-Standard“ bei unabhängiger Wissensvermittlung über Studien, der Cochrane Library. Ein Artikel in JAMA, der Anfang des Jahres erschien, berichtet detailliert darüber, dass in den systematischen Reviews kaum Angaben zu finden sind, wie die untersuchten Studien finanziert wurden. Gerade, weil diese Übersichtsartikel einen Referenz-Status genießen, sollte der Leser erfahren, ob die Studienautoren Gelder von Interessengruppen bekommen.
Systemtische Übersichten auch für Patienten
Wie systematische Übersichten im Idealfall aussehen, beschreiben zwei Dokumente des amerikanischen Institute of Medicine für die Erstellung von systematischen Reviews und klinischen Leitlinien. Besonders wichtig dabei: Achtung auf unpublizierte Ergebnisse, Einschätzung der Studienqualität und ihre Bedeutung für die Klinik. Ähnliche Hinweise gibt auch ein Leitfaden der European Science Foundation (ESF): „Implementation of Medical Research in Clinical Practice“. Er rät dazu, für die multidisziplinären Teams bei der Erstellung von Behandlungsleitlinien auch Vertreter der Patienten und damit die Bedürfnisse der „Endkunden“ einzubeziehen. In Kanada haben es Laien schon seit vielen Jahren leichter, an verständliche Information heranzukommen. Zusammenfassungen aktueller systematischer Reviews informieren zum Beispiel darüber, ob Gymnastik bei Knie- oder Hüftarthrose wirklich hilft. Umfragen haben ergeben, dass rund zwei Drittel der Nutzer mit den Antworten, die ihnen die Datenbank gibt, sehr zufrieden sind.
Vor allem aber sollten sich zukünftige Nachschlagewerke um Lücken in der bisherigen klinischen Forschung kümmern. Beispiele? Eine britische Datenbank listet viele offene Fragen von Ärzten und Patienten auf, die die Forschung bisher nicht geklärt hat. Leider nur für Interessierte mit guten Englischkenntnissen gibt es eine medizinische Suchmaschine für angewandte klinische Forschung. Trip-Database sucht nach Übersichtsartikeln für eine Vielzahl von Krankheitsbildern. Im deutschsprachigen Raum, so schreibt Gerd Antes, sind die Aktivitäten zur Informationsvermittlung recht spartanisch. Iqwig.de, Aezq.de und Awmf.org sind drei der wichtigsten Web-Adressen, die zu evidenzbasierter medizinischer Information führen.
„Die schweigende Minderheit“. Unter dieser Überschrift fanden Leser von „Nature Reviews Oncology“ vor kurzem den Bericht über Untersuchungen von Monika Krzyzanowska von der Universität Toronto. Sie nahm sich die Präsentationen über klinische Phase III-Studien auf den jährlichen ASCO (American Society of Clinical Oncology)-Kongressen vor. Dreizehn Prozent davon wurden erst nach fünf Jahren oder später publiziert, neun Prozent niemals. Mehr als die Hälfte unter ihnen, so die Autoren, hätten Einfluss auf die Behandlung Krebskranker gehabt, wären sie in Fachzeitschriften bekannt geworden.
Wer sich für eine Studie zur Verfügung stellt, kann nicht immer auf die neueste und beste Behandlung hoffen und nimmt Risiken und zusätzliche Beschwernisse auf sich. Nicht nur Ärzte und andere Patienten, sondern vor allem die Teilnehmer selbst haben ein Recht darauf, dass neues Wissen, das mit ihrer Hilfe entsteht, auch allen zu Gute kommt.