Gesundheits-Apps für iPhone, die Kollegen sind begeistert. Aber nicht jedes Programm hält, was es verspricht. Während Deutschland bei der Überwachung entsprechender Applikationen noch hinterherhinkt, arbeitet die FDA bereits an Richtlinien.
Mobile Anwendungen für jeden Zweck: Laut dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) gingen 2010 allein in Deutschland 7,4 Millionen Smartphones über den Ladentisch. Für 2011 schätzen Experten, dass rund 10,1 Millionen Geräte den Besitzer wechselten. Auf diesen Hightech-Telefonen haben Nutzer hier zu Lande etwa 900 Millionen Apps installiert, durchschnittlich 17 pro Handy. Kein Wunder, dass gerade im Gesundheitsbereich mobile Anwendungen boomen.
Gesundheit wird mobil
Schätzungen von BITKOM zufolge stehen in Online-Stores etwa 15.000 Gesundheits-Apps zur Verfügung – drei Mal so viel wie noch in 2010. Allein auf der deutschen Plattform von Apple können 1.600 Programme zu Themen rund um Gesundheit beziehungsweise Medizin heruntergeladen werden: Blutdruck, Blutzucker, Pulsmessungen, Seh- oder Hörtests sind nur einige Themen. Dafür stehen mittlerweile sogar Adapter zur Verfügung, die am Smartphone andocken und Messdaten erfassen. Auch Pillentimer sind Schnee von gestern, heute erinnert eine App an die fällige Medikation. User können zudem ihre Herzfrequenz messen, ein Kopfschmerztagebuch führen, sich Tipps zur Reisemedizin einholen, die Lungenfunktion prüfen und ihre Fitness bestimmen. In Kliniken wird die Visite mit Tablet-Computern und Apps zum multimedialen Erlebnis, elektronische Patientenakten lassen sich einsehen und aktualisieren. So ist auch der OP-Terminplan oder der Interaktions-Check für Arzneimittel nur einen Klick entfernt. Weitere Programme erlauben die Auswertung von CT- und MRT-Daten. Kein Wunder, dass laut research2guidance, einer Berliner Marktforschungsagentur, die lang erwartete mobile Revolution im Gesundheitswesen endlich eingetreten ist. Schöne neue Welt, nach Qualitätskriterien sucht man momentan jedoch vergebens.
Medizinprodukte in der Mangel
In Deutschland gelten Apps für Blutdruck und Co. als Medizinprodukte. Ob Geräte und Programme aber unter das Medizinproduktegesetz (MPG) fallen, entscheidet einzig und allein der Hersteller. „Zweckbestimmung ist die Verwendung, für die das Medizinprodukt in der Kennzeichnung, der Gebrauchsanweisung oder den Werbematerialien nach den Angaben des (…) Personenkreises bestimmt ist“, so die sperrige Formulierung in § 3 Abs. 10 des Regelwerks. Damit sieht der Gesetzgeber lediglich eine Prüfung nach geltendem EU-Recht vor. Wer diese besteht, und das sind die meisten, erhält eine CE-Kennzeichnung. Gütesiegel von Verbraucherschutzverbänden, Apotheker- oder Ärztekammern? Fehlanzeige! Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hält sich heraus. Einzig und allein die Stiftung Warentest nahm jetzt ein Marktsegment unter die Lupe. Die vom Smartphone ermittelten Blutdruck- und Blutzucker-Werte erwiesen sich als genauso zuverlässig wie Daten von klassischen Messgeräten.
Übertragungswege und Netzwerk-Komponenten fallen nicht in den Zuständigkeitsbereich des MPG. Hier sollten Betreiber die Norm IEC 80001 („Risikomanagement für medizinische IT-Netzwerke“) beachten, allein schon aus datenschutzrechtlichen Aspekten. Verpflichtungen? Fehlanzeige! In den USA haben Aufsichtsbehörden das Thema schon länger auf ihrer Agenda.
Die FDA greift durch
Amerikanische Programmierer mag das wenig freuen. Mark Cain etwa hatte Mitte 2008 seinen großen Durchbruch. Als Chefentwickler einer damals noch recht unbekannten Firma, MIM-Software, stellte er auf der Worldwide Developer Conference von Apple seine Anwendung vor: Eine App, um Daten der bildgebenden Diagnostik auszuwerten und darzustellen. Ärzte waren begeistert, aber die Freude währte nur kurz. Zwei Monate nach der glamourösen Präsentation schritt die US Food and Drug Administration (FDA) ein. Sie untersagte MIM jegliche Verbreitung ihrer Anwendung über den App-Store – und ein langwieriger Freigabeprozess begann. Das hat seinen Grund: Laut FDA können wie bei herkömmlichen medizinischen Geräten auch mobile Anwendungen Gefahren verursachen. Die Verantwortlichen führen speziell bei MIM an, dass radiologische Bilder auf kleineren Monitoren mit niedrigem Kontrastverhältnis und unkontrolliertem Umgebungslicht schwerer interpretierbar seien – eine gefährliche Fehlerquelle.
Prüfung als Wettbewerbsvorteil
Trotzdem nahm die MIM-App alle Hürden: Nach zwei Jahren kam grünes Licht von der FDA, 150.000 US-Dollar kostete der Spaß. Cain tröstete das späte OK recht wenig, waren etliche andere Imaging-Apps nach wie vor online verfügbar, ohne langwieriges und teures FDA-Procedere. Kritiker warfen der Behörde daraufhin vor, schlichtweg überfordert gewesen zu sein, stünden ansonsten Qualitätskontrollen von Blutdruckmanschetten oder Stethoskopen auf der Tagesordnung. Derart gescholten, versprach die Institution neue Richtlinien und hat Mitte 2011 einen Entwurf veröffentlicht. Das Papier umfasst sowohl Apps, die beispielsweise für die Auswertung von CT- oder MR-Daten herangezogen werden können, als auch Sensoren, die ein Smartphone zum Messgerät für Vitalparameter machen.
Für MIM Software könnte sich die erfolgreiche FDA-Prüfung lohnen, sobald Ärzte bei der Auswahl von Apps strengere Qualitätsmaßstäbe anlegen müssen. Deshalb ließ Cain auch die mittlerweile dritte Version der Imaging-App zertifizieren: Mobile MIM für Ärzte und VueMe für Patienten. Beide sind kostenlos, aber wie finanziert sich MIM? Laden Ärzte oder Krankenhäuser einen Scan an ein Rechner-Netzwerk (Cloud Computing) hoch, kostet das je nach Endgerät zwischen einem und zwei US-Dollar — egal, wie viele Kollegen das Ergebnis ansehen. In Deutschland ist die Nutzung von Applikation und Geräten engen Grenzen unterworfen.
Alles was recht ist
Tablet-PCs etwa sind laut Röntgenverordnung für die Primärbefundung tabu, leisten aber dennoch wertvolle Hilfe: am Patientenbett oder für Kollegen zu Hause, um zu entscheiden, ob sie im Notdienst oder in der Bereitschaft zur Klinik fahren müssen. Offene Fragen betreffen Hygienevorschriften: Wie lassen sich iPad & Co. von Bett zu Bett tragen, ohne zur Keimschleuder zu werden? Eignen sich Schutzhüllen oder schränkt man dadurch Funktionalitäten ein? Bei Anwendungen für Laien weisen Ärzte noch auf einen ganz anderen Aspekt hin: Apps ersetzen keine Untersuchungen, vielmehr nehmen sie Patienten stärker in die Pflicht. Über entsprechende Schnittstellen können Kollegen Vitalparameter in der Praxis auswerten – eine noch engmaschigere Überwachung von Patienten wäre mit Smartphones keine Zukunftsmusik mehr.