Wenn sich ein Nobelpreisträger und eine Chirurgin gemeinsam an einen Tisch setzen, leuchten Tumore wie Weihnachtssterne und Nerven verraten bereitwillig ihren exakten Verlauf. Die intraoperative Markierung von Geweben mit Fluoreszenzmarkern könnte für die Chirurgie neue Dimensionen der Präzision eröffnen. Sofern Mensch hält, was Maus verspricht.
Manchmal passen einfach die Umstände. Als die Chirurgin Quyen Nguyen vor acht Jahren eine junge Ärztin in der Abteilung für Kopf-Hals-Chirurgie an der University of California in San Diego war, traf sie einen Menschen, der sich ziemlich gut mit fluoreszierenden Proteinen auskannte. Der Mensch hieß Roger Y. Tsien und sollte ein paar Jahre später, im Jahr 2008, für seinen Beitrag zur Entdeckung beziehungsweise Weiterentwicklung des grün fluoreszierenden Proteins (GFP) den Nobelpreis für Chemie bekommen. Aber das war damals noch kein Thema.
Dieses ist der erste Streich…
Tsien beschäftigte sich anno 2004 unter anderem mit der Fluoreszenzmarkierung von Krebszellen. Als Chirurgin, die so einiges Wissen über tumorspezifische Zellmarker mitbrachte, fand Nguyen das spannend und stieg ein. Ein Resultat dieser Kooperation, über die sie kürzlich bei der Veranstaltung TED 2011 in San Diego berichtete, war ein Fusionsmolekül, das aus einem Fluoreszenzmarker und einem unspezifischen Gewebemarker bestand. Das Molekül verfügt außerdem über eine Art Schalter, der die Fluoreszenz abschaltet. Verbunden ist dieser Schalter mit dem fluoreszierenden Ende des Moleküls über eine Molekülbrücke, die nur von bestimmten Proteasen zerschnitten werden kann, die hoch spezifisch für Krebsgewebe sind. Kommt dieses Konstrukt mit Krebszellen in Kontakt, wird die molekulare Brücke zerschnitten, der Schalter, der die Fluoreszenz bis dahin blockierte, ist weg, und das entsprechende Gewebe beginnt zu fluoreszieren. Überall sonst im Körper passiert nichts: Das Konstrukt bleibt zwar auch an anderen Stellen hängen, leuchtet aber nicht, solange der „Schalter“ intakt ist.
Fluoreszierende Krebsgewebe könnten im chirurgischen Alltag sehr hilfreich sein, findet Nguyen: „Wenn wir operieren, wissen wir oft nicht, ob wir wirklich alles Tumorgewebe entfernt haben.“ Um diese Frage zu klären, gibt es zwar im Prinzip die Schnellschnittdiagnostik. „Die braucht aber Zeit. Und oft erfahren wir dann ein paar Tage später, dass bei der endgültigen Pathologie doch noch Tumorgewebe gefunden wurde. Dann müssen wir den Patienten entweder nochmal operieren oder anderweitig nachbehandeln.“ Ließe sich Tumorgewebe zuverlässig intraoperativ markieren, wäre die Schnellschnittdiagnostik möglicherweise überflüssig, und die Resultate wären vielleicht sogar besser als in der klassischen Tumorchirurgie.
Den „Proof of Principle“ haben Nguyen und Tsien bereits angetreten: Vor einem Jahr berichten sie in der Zeitschrift PNAS (2010; 107:4317-4322) über Operationsreihen mit Mäusen, bei denen sie nach der Operation mit hoch sensitiven PCR-Methoden zurückgebliebene Tumorzellen aufspürten. Ergebnis: Wurde der Tumor mittels des intravenös applizierten Markerkonstrukts intraoperativ zum Fluoreszieren gebracht, blieben nachher deutlich weniger Krebszellen zurück als bei der klassischen Herangehensweise. Mögliche praktische Anwendungen der Tumorfluoreszenz sieht Nguyen beispielsweise bei der Resektion von Sentinel-Lymphknoten, speziell in Situationen, bei denen die Lymphanatomie kompliziert ist. Mit Hilfe der Fluoreszenz wäre sofort klar, welcher Lymphknoten befallen ist und damit als Sentinel reseziert werden muss.
Und der zweite folgt sogleich.
Das war so weit schon mal ganz eindrucksvoll. Doch es geht weiter. In Nature Biotechnology (2011; 29:352-356) haben Nguyen und Tsien jetzt nachgelegt und über ähnliche Experimente berichtet, bei denen sie diesmal nicht Tumore, sondern periphere Nerven zum Leuchten gebracht haben. Auch das hat einen chirurgischen Hintergrund: Bei vielen operativen Eingriffen gilt es, Nervenstränge möglichst zu schonen, um postoperative Komplikationen zu vermeiden. Im Bereich der Kopf-Hals-Chirurgie ist das ein großes Thema, aber auch bei der Prostatachirurgie. Die Elektrostimulation, ein gängiges Hilfsmittel bei so genannten nervenschonenden Operationstechniken, funktioniert leider nicht bei allen Operationen gleich gut. Oft sind Nerven auch einfach zu winzig oder in ihrer Anatomie zu variabel. Das gilt vor allem für die Prostata: „Genau genommen lernen wir immer noch, wo an der Prostata überall Nerven liegen können“, so Nguyen. Die Konsequenz sind trotz nervenschonender Operationen teilweise hohe Komplikationsraten.
Um die Nerven zum Leuchten zu bringen, haben die kalifornischen Wissenschaftler jetzt Mäusen in intravenöser Applikation ein fluoreszierendes Peptid injiziert, das vorzugsweise an periphere Nerven bindet. Innerhalb von zwei Stunden waren alle peripheren Nerven des Tiers mit bloßem Auge abgrenzbar. Immerhin über ein Zeitfenster von acht Stunden war der Kontrast zum umgebenden Gewebe so stark, dass es als klinisch nützlich eingestuft wurde.
Bleibt die Frage, ob und wann diese Fluoreszenzverfahren auch beim Menschen eingesetzt werden kann. Das Peptid, das die Nerven von Mäusen zum Leuchten bringt, scheint auch in menschlichen Zellkulturen an Nervenzellen zu binden. Damit wäre schon einmal eine Grundvoraussetzung erfüllt. Genauso wichtig sind Toxizitätsdaten, die bisher nur rudimentär vorliegen. Aber das kann sich ja ändern.