Bewertungsportale für Ärzte im Internet sind auch einige Jahre nach ihrer Einführung immer noch umstritten. Die Furcht, nur als Sprachrohr für frustrierte Patienten zu dienen, ist aber unbegründet. Denn Untersuchungen stellen fest, dass die Noten überwiegend gut sind.
„Mein Arztbesuch war eine Katastrophe. Dr. Medicus spulte nur seine Routinefragen herunter, ließ mich kaum zu Wort kommen und nahm sich nur wenig Zeit für mich. Ich würde ihm eine fünf minus geben.“ Es sind genau diese Aussagen von unzufriedenen Patienten - oder vielleicht von der Konkurrenz? - die Ärzte gegen Arzt-Bewertungsportale aufbringen. Im Oktober berichtete DocCheck über den Krankenkassen-Zuwachs bei der „Weissen Liste“, aber auch über viele bisher ungelöste Probleme bei der Online-Arztkritik. Bisher gibt es nur wenig belastbares Zahlenmaterial, wie dieser Service für Patienten auf der Suche nach „ihrem“ Haus- oder Facharzt ankommt oder wie sich die Bewertung im Netz auf den Praxisbetrieb auswirkt. „Plattform für Denunzianten“ beschrieb Ärztekammer-Präsident Montgomery die neuen Websites im Jahr 2009. Ist das wahr?
Ängste vor unsachlicher Kritik - Berechtigt?
Auch in Amerika suchen sich immer mehr Menschen ihren Arzt entsprechend den Empfehlungen im Netz aus. Im „Journal of Medical Internet Research“ untersuchten Bassam Kadry von der Stanford University School of Medicine und seine Kollegen, ob die Ängste vor unqualifizierten Schmähungen in amerikanischen Arzt-Bewertungsportalen berechtigt sind. Entsprechend den Statistiken in Übersee informiert sich rund ein Drittel der Amerikaner vor dem Besuch in der Praxis zuerst auf Arztbewertungsseiten.
Kadry nahm insgesamt rund 5000 Beurteilungen in den zehn meistgenutzten Sites unter die Lupe. Sie werden pro Tag mehr als 5000 mal angeklickt und deckten in der Stichprobe 23 verschiedene medizinische Fachgebiete ab. Dabei unterscheiden sich die Portale zuweilen deutlich in den Maßstäben, die sie an die Fähigkeiten des Arztes, seiner Praxis und seines Teams anlegen. Insgesamt 35 verschiedene Qualitätskriterien zählten die Autoren. Im Schnitt fragten die virtuellen Arzt-Analysten nach 4.5 verschiedenen Aspekten, die dem Patienten zur Heilung und einem guten Gefühl oder auch zum Gegenteil verhelfen.
Freitextfelder: Problem und Chance
Wer meint, dass es vor allem die Frustrierten sind, die im Netz ihrer Enttäuschung freien lauf lassen, liegt offensichtlich falsch. Unabhängig davon, ob die Patienten im Internet ihre Ärzte nach einer Prozent- einer Vier- oder eine Fünf-Stern-Skala benoten, lag die durchschnittliche Zufriedenheit bei rund 77 Prozent. Rund sechzig Prozent aller web-aktiven Patienten gab ihrem Arzt mindestens vier von fünf Punkten. Bei der Durchsicht der Ärztezeugnisse fiel den kalifornischen Autoren auf, dass die Noten in den verschiedenen Beurteilungskriterien eng miteinander verknüpft waren. Fast in allen Bereichen spiegelte die Einzelnote auch die Gesamtwertung wider. Dementsprechend schlägt Kadry auch vor, die detaillierte Arzt-Analyse durch eine Gesamtnote zu ersetzen. „Würden Sie Dr. X einem geliebten Menschen als Arzt empfehlen?“, wäre nach Ansicht der Autoren die einfachste Lösung. Gleichzeitig plädieren sie aber dafür, den Arzt mit Freitextfeldern auf Schwächen hinzuweisen.
Genau jene Freitextfelder sind es jedoch, die Kritiker in Deutschland ins Visier genommen haben. Denn sie bieten die Möglichkeit, Schmähungen oder Unwahrheiten ins Netz zu setzen. Daher funktionieren sie nur zusammen mit einer engen Kontrolle der zugehörigen Redaktion. Weitere 41 Anforderungen für ein gutes Feed-back-Instrument für Ärzte hat das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) in den letzten Jahren entwickelt und ist dabei, die deutschen Webportale daraufhin zu prüfen. Die Möglichkeit zu Gegendarstellungen, regelmäßige Aktualisierungen oder auch mögliche Interessenkonflikte bei kostenpflichtigen Einträgen zählen zum „Gute Praxis“- Katalog.
Zeugnis per iPad
15 bis 20 Prozent (je nach Untersuchung) der Internetnutzer beziehungsweise rund 10 Prozent der Versicherten in Deutschland nutzen die Arztempfehlung im Netz. Mehr als die Hälfte und mehr als im Vorjahr geben an, dass ihnen die Hinweise zu den Ärzten in ihrer Umgebung wenig oder gar nicht nützen. Denn nur einer von hundert Versicherten legt seine Erfahrungen per Computertastatur nieder. Ein ausgewogenes Bild, das aus vielen Einträgen entsteht, ist daher eher die Ausnahme. Oft hat der Patient aber auch schon den Besuch vergessen, wenn er wieder zu Hause ist und sich an den Schreibtisch setzt. Dem will in einem neuen Ansatz moderne Elektronik entgegenwirken: Mit entsprechender Software auf dem iPad soll der Patient noch vor dem Verlassen der Praxis seine Eindrücke hinterlassen, die dann vom Provider gespeichert und ausgewertet werden.
Die Debatte, ob der Patient wirklich die Kompetenz und Qualität seines Arztes beurteilen kann, wird sicher noch einige Zeit anhalten. Medizinischer Erfolg ist über Feed-back-Portale kaum zu messen. Nur ein Zugang zu den Krankenakten könnte Experten eine unabhängige Bewertung ermöglichen. Dazwischen stehen jedoch hohe Hürden des Datenschutzes. Auf jeden Fall schaffen Bewertungsportale zumindest eine gewisse Transparenz für die Qualität von Arzt und Behandlungspraxis. Genau an diesem Punkt geht jedoch wieder die Schere auf: Bewertungsportale nützen nur erfahrenen Internetnutzer und damit nur einer Minderheit der Patienten. Damit aus den Erfahrungen beim Besuch in der Praxis auch brauchbare Hinweise für den Arzt werden, müssen nicht nur die web-basierten Zeugnis-Instrumente besser werden, sondern auch der Zugang für diejenigen, die mit Facebook, Twitter oder Firefox nur wenig anfangen können.