Harte Dienste, neue Gesichter und Kritik von allen Seiten. Als Anfänger zu Beginn einer fachärztlichen Weiterbildung hat man es nicht immer leicht. Denn während die jungen Ärzte sich bemühen, den vielen Ansprüchen gerecht zu werden, haben ihre erfahrenen Kollegen einen neuen Sport für sich entdeckt: das Anfänger-Mobbing.
Schon der erste Tag als Assistenzarzt gleicht einem Überlebenskampf im Haifischbecken. Alle Stationsbetten sind voll, entlassene Patienten warten auf ihre noch ungeschrieben Arztbriefe und das Pflegepersonal braucht dringend einen Arzt zum Blutabnehmen. In dieser Hektik des täglichen Stationsalltags verbleibt natürlich nur wenig Zeit, um einem Neuling die gängigen Abläufe und klinikspezifischen Verhaltensregeln beizubringen. Hat der Anfänger Glück, findet sich ein verständnisvoller junger Mitstreiter, der sich bereits eingelebt hat. Die beiden sitzen dann ja fast im selben Boot und helfen sich gegenseitig. Gibt es dagegen nur Kollegen vom alten Eisen, die den Montag schon mit einem genervten Gesichtsausdruck und schlechter Laune beginnen, sieht die Situation schnell anders aus. Eine falsch und vermeintlich dumme Nachfrage des Neulings und schon wird dieser zum Gesprächsthema Nummer Eins während einer routinierten Dünndarm-OP.
Ungeschriebene Gesetze
Eigentlich ist es schon etwas schockierend, dass sich angesehene Oberärzte zum weibischen Lästern herablassen können. Schließlich haben sie auch mal angefangen und mussten sicherlich auch schon einmal unter starren Hierarchien und Schikane von älteren Kollegen leiden. Aber diese Zeit schien lange vorbei zu sein, als ich im Rahmen eines chirurgischen Blockpraktikums unfreiwillig Zeugin der neuen Trendsportart wurde: das Anfänger-Mobbing. Seit etwa zwei Wochen gab es nämlich auf der chirurgischen Station einen neuen Assistenzarzt, der nach Ansicht eines erfahrenen Facharztes zu wenig „Biss“ zeigen würde. Kommentare ähnlichen Inhaltes fielen im Operationssaal, nachdem der Betroffene den Saal zur Abhaltung der Stationsvisite verlassen hatte. Alle konnten die unterschwelligen Demütigungen mit anhören: alle OP-Schwestern, die Anästhesisten und auch Studenten wie ich. Lästern hinter dem Rücken! Ich war ziemlich überrascht und erinnerte mich unweigerlich an meine Schulzeiten zurück.
Ausholen zum Gegenangriff
Diese Situation ist sicher kein Einzelfall und begrenzt sich natürlich nicht nur auf den medizinischen Bereich. Mobbing am Arbeitsplatz ist beispielsweise im Büroalltag Gang und Gebe und hat schon so manches Opfer in ernsthafte seelische Probleme gerissen - wer die Serie 'Stromberg' kennt, weiß was gemeint ist. Das Bewusstsein über Mobbing ist die eine Sache. Die Lösung oder wirksame Gegenmaßnahmen stehen auf einem ganz anderen Blatt geschrieben. Keine Frage: Wenn ein Kollege plötzlich anfängt, über einen neuen Arzt herzufallen, sollten die Anwesenden sich nicht anschließen und somit den Angriff bereits im Keim ersticken. Ich entschied mich seinerzeit auch spontan dazu, einfach die Klappe zu halten. Einerseits war ich ja auch nur Praktikantin. Andererseits ging mich der „Biss“ des neuen Arztes natürlich nichts an. Als Opfer sind die Handlungsoptionen dann aber doch eher unangenehm.
Sicher bestünde eine Möglichkeit darin, den Chef oder Mentor anzusprechen oder sogar direkt ein offenes Gespräch mit dem vermeintlichen Täter zu suchen. Ob solche Maßnahmen vielleicht nicht doch nur alles schlimmer werden lassen, ist wohl stark von der jeweiligen Situation und Toleranzschwelle des „Opfers“ abhängig. Der neue chirurgische Assistenzarzt wird vermutlich gar nichts mitbekommen und sich mit der Zeit erfolgreich behaupten. Es werden wieder neue Anfänger in die Klinik kommen, sodass er bald sogar selbst ein paar negative Worte über seine neuen Kollegen verliert. Das ist wohl einfach der Kreislauf des Kliniklebens.