Winzige Ablagerungen im Gehirn sind charakteristisch für die Alzheimer-Krankheit. Forscher haben nun einen Mechanismus entdeckt, der die Ausbildung dieser Plaques verstärkt. Bei Mäusen führte seine Hemmung zu einem Schutz vor Lern- und Gedächtnisstörungen.
Die Zahl der Menschen in Deutschland, die an der Alzheimer-Krankheit leiden, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark erhöht. Doch noch immer suchen Forscher nach dem eigentlichen Auslöser der Demenzerkrankung. Hauptverdächtiger ist schon seit vielen Jahren ein kleines Peptid namens Amyloid-beta, das ein Bruchstück eines viel größeren Proteins ist. Dieses so genannte Amyloid-Vorläuferprotein (APP) steckt in der Zellhülle von Neuronen und spielt vermutlich eine Rolle in den Synapsen, die für die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen verantwortlich sind.
Hat APP seine Aufgabe erfüllt, wird es Stück für Stück in seine Bestandteile zerlegt. Doch nicht immer gelingt der vollständige Abbau von APP. Dann bleiben vor allem Amyloid-beta-Peptide übrig, die aus 40 oder 42 Aminosäuren bestehen. Das längere dieser Peptide neigt sehr stark zur Aggregation und ist Hauptbestandteil der Alzheimer-Plaques – extrazelluläre Ablagerungen, die man in großen Mengen bei allen Betroffenen im Gehirn finden kann.
Nitrierung verstärkt Aggegratbildung
Ein Forscherteam der Universität Bonn hat nun bei Modellmäusen der Alzheimer-Krankheit einen Mechanismus entdeckt, der die Neigung von Amyloid-beta, Aggregate zu bilden, fördert und so die Entstehung der Plaques initiiert und deren Ausbreitung im Gehirn beschleunigt. Wie die Wissenschaftler um Professor Michael Heneka im Fachjournal Neuron mitteilen, beruht dieser Prozess auf der Modifikation der Aminosäure Tyrosin, die sich an Position 10 im Amyloid-beta-Peptid befindet. “Diese Aminosäure wird durch das Enzym Stickoxidsynthase 2 nitriert”, sagt Heneka, der Oberarzt an Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Bonn ist. “Die modifizierte Aminosäure kommt sowohl im Kern der Plaques von Alzheimer-Patienten als auch bei unseren Modellmäusen vor und scheint so etwas wie der Kondensationskeim für die Ablagerungen zu sein.“
Durch das nitrierte Tyrosin, so der Neurologe, verändere sich vermutlich die räumliche Struktur von Amyloid-beta. Die Fehlfaltung verstärkt die Tendenz, dass einzelne Peptid-Moleküle aneinanderkleben und so immer größere Aggregate bilden. Die Ablagerungen lösen eine Entzündung aus, was wiederum die Produktion der Stickoxidsynthase 2 (NOS2) weiter ankurbelt. Dieser verhängnisvolle Kreislauf, so Heneka, laufe immer weiter, denn sei NOS2 einmal angeschaltet, lasse sich das Enzym in seiner Aktivität nicht mehr stoppen.
Enzymblockade schützt vor Ablagerungen
Die Forscher kamen dem neuen Mechanismus auf die Schliche, als sie bei speziell gezüchteten Mäusen, die an einer alzheimerähnlichen Erkrankung litten, die Aktivität von NOS2 unterbanden. Entweder schalteten sie das Gen für NOS2 aus oder blockierten das Enzym durch die Gabe des Hemmstoffs L-NIL. “Durch diese Eingriffe wurde nicht nur die Gesamtmenge an Amyloid-beta drastisch reduziert, sondern die Tiere wurden gleichzeitig vor Lern- und Gedächtnisstörungen komplett geschützt“, berichtet Heneka.
Er hält es deshalb für möglich, dass die Hemmung von NOS2 auch bei Alzheimer-Patienten prinzipiell das Fortschreiten der Krankheit aufhalten könnte. Ob L-NIL, das bereits in klinischen Studien bei Asthma-Patienten erprobt wurde, tatsächlich eine neue Therapiemöglichkeit für Alzheimer-Patienten darstelle, müsse jedoch erst noch in weiteren Tests geklärt werden, sagt Heneka. Ein anderer Therapieansatz, den die Bonner Forscher gerade untersuchen, soll das Immunsystem gegen die modifizierten Amyloid-beta-Peptide in Stellung bringen. Durch eine passive oder aktive Immunisierung könnte es gelingen, dass Zellen der körpereigenen Abwehr die schädlichen Peptide gezielt angreifen und vernichten.
Früher Therapiebeginn erhöht Erfolgsaussichten
Der Erfolg beider Ansätze hängt jedoch wesentlich davon ab, im welchem Krankheitsstadium sie eingesetzt werden. Sei die Krankheit, so Heneka, erst einmal so weit fortgeschritten, dass die Patienten deutliche Symptome zeigten, komme ihre Anwendung wahrscheinlich zu spät, denn dann habe der massive Verlust von Neuronen schon begonnen. “Leider ist es momentan nicht möglich, die Krankheit so früh zu diagnostizieren, dass die Patienten noch keine Nervenzellen verloren hätten”, sagt Heneka. Vielleicht ließe sich aber immerhin der Krankheitsverlauf stabilisieren.
Professor Sascha Weggen vom Institut für Neuropathologie am Universitätsklinikum Düsseldorf hält Henekas Hypothese, wie die Alzheimer-Krankheit entstehen könnte, für einen interessanten mechanistischen Ansatz, den man weiter verfolgt sollte. Auch wenn die Idee von Heneka schlüssig sei und die Bonner Forscher bei Modellmäusen überzeugend hätten zeigen können, dass die Nitrierung des Peptids die Aggregation verstärke, stehe der Beweis allerdings noch aus, dass dieser Vorgang auch bei Alzheimer-Patienten eine entscheidende Rolle spiele, findet Weggen.