Sinnvolle Ergänzung in einem maroden Gesundheitssystem oder pure Geldmacherei? Kassen, Kollegen und Kunden streiten über den Mehrwert individueller Gesundheitsleistungen (IGeL). Die Macher des Portals „IGeL-Monitor“ gießen jetzt weiter Öl ins Feuer: Bewerten sie Zusatzangebote wirklich objektiv?
Diese Woche besonders günstig: Manager-Check, Stoßwellen-Therapie oder Zahnreinigung – was darf es sein? Medien berichten von basarähnlichen Zuständen, sobald es um Diagnostik oder Therapie für Selbstzahler geht. Mehr als 1,5 Milliarden Euro pro Jahr landen auf diesem Weg in Praxiskassen, für schätzungsweise 360 verschiedene Dienstleistungen. Statistisch gesehen bekam jeder vierte Versicherte entsprechende Angebote – dreimal mehr als noch vor zehn Jahren. Auch wurden IGeL mit zunehmendem Haushaltseinkommen und steigender Schulbildung weitaus häufiger offeriert, ergab eine Studie. Obwohl eigentlich naheliegend, fanden die Autoren jedoch keine Korrelation zum Alter oder zur generellen Morbidität. Ein Urteil ist schnell gefällt: Reine Beutelschneiderei – die „IGeL-Plage“ muss endlich gestoppt werden. Oder bringen manche kostenpflichtigen Zusatzleistungen vielleicht doch etwas?
Sparen, sparen, sparen
Dass Krankenkassen manche Therapien nicht mehr übernehmen, lässt generell keine Rückschlüsse auf deren Nutzen zu. Bestes Beispiel sind OTCs, Arzneimittel, die aus gesundheitsökonomischen Gründen nicht mehr zu Lasten der GKV verordnet werden dürfen, von Ausnahmefällen einmal abgesehen. Trotzdem gelten viele dieser Pharmaka als höchst wirksam und teils sogar als gefährlich, etwa Paracetamol. Auch wurde die Kostenübernahme bei Glucoseteststreifen trotz des erwiesenen Nutzens für Typ II-Diabetiker stark eingeschränkt. Ganz klar – Leistungsträger können heute für gesetzlich Versicherte keine Rundum-Sorglos-Pakete schnüren. Vielmehr entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss nach wissenschaftlichen sowie finanziellen Kriterien, welche Angebote in den Katalog gehören – und welche eben nicht. Vertreter der Bundesärztekammer (BÄK) wiesen auf genau dieses Problematik hin: Angesichts immer rigoroserer Sparmaßnahmen wurden etliche Positionen aus der Erstattung genommen, teilweise trotz ihres Nutzens. „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“, heißt es dazu im V. Sozialgesetzbuch. Sind Behandlungsverfahren nicht erforderlich oder eben unwirtschaftlich, wie man das auch immer definieren mag, ist eben schnell Schluss. Bleibt nur die Selbstzahlung, doch sind Patienten angesichts der zunehmenden IGeL-Vielfalt immer häufiger verunsichert.
IGeL unter Evidenzkriterien
Darauf hat jetzt der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) reagiert und einen „IGeL-Monitor“ ins Netz gestellt. Ärzte bewerten hier Zusatzangebote nach Kriterien der evidenzbasierten Medizin: Liegen systematische Übersichtsarbeiten beziehungsweise Studien hoher Qualität vor? Das Ergebnis verpacken sie in eine Bewertungsskala von „positiv“ über „tendenziell positiv“ und „unklar“ bis hin zu „tendenziell negativ“ beziehungsweise „negativ“. Auch werden durchschnittliche Kosten entsprechender Heilbehandlungen genannt.
Ihr Fazit: Von 24 Angeboten, die bisher unter die Lupe genommen wurden, bekamen vier das Prädikat „negativ“, sieben „tendenziell negativ“, und bei sieben weiteren schien die Sachlage unklar zu sein. Unter ferner Liefen rangierten einige Labor-IGeL: Thrombose-Checks mit der Protein-C-Aktivität („tendenziell negativ“), PSA-Tests zur Früherkennung von Prostatakrebs („tendenziell negativ“), HBA1c-Bestimmung zur Diabetes-Vorsorge („unklar“), Screenings von Immunglobulin G gegen Nahrungsmittel („negativ“) oder Toxoplasmose-Suchtests („negativ“). Messungen des Augeninnendrucks schnitten ebenfalls schlecht ab.
Ein Dorn im Fleisch der Fachärzte
Das hat Kollegen des Bundesverbands der Augenärzte auf den Plan gerufen. Bei der Glaukomfrüherkennung seien eigentlich nur isolierte Tonometrien negativ evaluiert worden, nicht aber die Kombination aus Tonometrie und die Beurteilung des Augenhintergrundes, speziell den Bereich, in dem der Sehnerv in das Auge eintritt. Auch erstaunt, dass die Kunsttherapie bei Krebspatienten und deren Angehörigen ein mageres „unklar“ bekam. Einrichtungen zur medizinischen Rehabilitation beziehungsweise Anschlussheilbehandlung haben schon seit Jahren entsprechende Angebote – wie jetzt auf das Votum des Expertenkreises zu reagieren ist, wird sich zeigen. Bei der sonographischen Früherkennung des Eierstockkrebses geht der „IGeL-Monitor“ noch einen Schritt weiter: Die Autoren finden vermeintliche Belege für Schäden durch falsch-positive Befunde, gefolgt von unnötigen Therapien. Gynäkologen halten dagegen, Tastuntersuchungen, immerhin eine Kassenleistung, würden eben nicht ausreichen, gelten Ovarialkarzinome mit bis zu 7000 Neuerkrankungen pro Jahr als bösartigste Erkrankung von Frauen. Und zwar mit schlechten Chancen: Nur 30 bis 40 Prozent überleben die ersten fünf Jahre, vor allem wegen zu später Diagnosen. Aufgrund des schnellen Wachstums sind jährliche oder halbjährliche Tastuntersuchung einfach zu wenig, da hilft nur ein Griff in die eigene Tasche. Ohne IGeL geht es also nicht, einige Punkte sind dennoch zu achten.
Seriös mit System
Bereits 2006 hat die Bundesärztekammer Eckpunkte für kostenpflichtige Zusatzleistungen verabschiedet. In dem Papier heißt es, nur seriöse Offerten könnten das unverzichtbare Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten erhalten. Standespolitiker legten deshalb einen Kriterienkatalog fest, der auch heute noch aktuell ist. Im Mittelpunkt stehen Information und Aufklärung, unter medizinischen sowie ökonomischen Aspekten. Auch muss eine korrekte und transparente Indikationsstellung vorliegen – im Idealfall ergänzt die Zusatzbehandlung dabei gesetzliche Leistungen. Um Patienten nicht zu übervorteilen, rät die Bundesärztekammer zu schriftlichen Behandlungsverträgen mit angemessener Bedenkzeit. Jetzt fordern Vertreter der Kassen sogar eine 24-stündige Sperrfrist, in der Versicherte alle Punkte in Ruhe überdenken können. Überrumpeln ist hingegen tabu, laut zweier Umfragen aber durchaus nicht unüblich. Wichtig für das Praxisteam: Falls Patienten nur in die Sprechstunde kommen, um IGeL durchführen zu lassen, müssen sie keine Praxisgebühr berappen. Und beim Honorar rät die BÄK, als Grundlage die Gebührenordnung für Ärzte heranzuziehen, wobei bis zum 3,5-fachen Satz abgerechnet werden darf. Für Patienten existieren mittlerweile diverse Checklisten, um entsprechende Punkte abzufragen – und eben der „IGeL-Monitor“. Ob dieses Portal aber neutral bewertet, bezweifeln manche Kollegen.
Wirklich frei von Interessen?
Zwar bietet der MDS keine Leistungen für Selbstzahler an. Frei von Interessen ist er deshalb noch lange nicht: Über den GKV-Spitzenverband finanziert, agiert er in unmittelbarer Nähe von Krankenkassen. Und deren Interesse ist klar: Schließlich wollen die „Gesetzlichen“ ihren Kunden beweisen, dass sie alle sinnvollen und medizinisch notwendigen Leistungen im Katalog haben. Damit bleibt nur eine Konsequenz: Zusätzliche Angebote müssen einfach schlecht sein.