Daniel Bahr zeigt Flagge gegen den Mangel an Ärzten und Pflegekräften, doch Bundesrat und EU schießen mit eigenen Vorstellungen quer. Dürfen künftig nur noch Abiturienten Gesundheitsfachberufe erlernen? Und steht die sehnlichst erwartete Novelle der Approbationsordnung vor dem Aus?
Alles begann mit einer längst vergessenen europäischen Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen für Krankenpfleger und Hebammen. Einmal mehr geht es um die Harmonisierung, und Deutschland hinkt hinterher: Laut EU-Politikern hätten bereits 24 Staaten Zulassungsvoraussetzungen für die Ausbildung modifiziert. Statt wie früher zehn sind nunmehr zwölf Ausbildungsjahre – zum Beispiel das Gymnasium – vorgesehen. Alternativ käme auch ein Hauptschulabschluss mit Ausbildung infrage. Insofern ist das geflügelte Wort „Pflegeabitur“ eigentlich falsch, bestimmte Schulabschlüsse sieht die EU nicht vor. Eine Ratifizierung des Papiers hätte dennoch weit reichende Folgen.
Verschiedene Qualifikationen im Pflegebereich
Bereits ab 2015 könnte es Jugendliche treffen, vor Ausbildungsbeginn länger die Schulbank zu drücken, falls das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nicht erfolgreich interveniert. Daniel Bahr (FDP) ist klar, dass auch Haupt- und Realschüler die Möglichkeit haben müssen, einen Pflegeberuf zu erlernen. Die Realität sieht aber schon heute anders aus: In manchen Institutionen schreiben sich immer mehr Schüler mit Abitur ein, andererseits scheitern viele junge Menschen mit niedrigerem Schulabschluss bereits in der Probezeit. Steuert man jetzt nicht gegen, wird es noch schwieriger, den ohnehin schon drohenden Fachkräftemängel zu kompensieren. Um dennoch alle Bereiche abzudecken, fordern Kollegen zusätzliche akademische Pflegeberufe. Schließlich wachsen die Anforderungen immer weiter, etwa im Rahmen der Übertragung von Heilkunde auf Berufsangehörige der Alten- und Krankenpflege. Eine neue Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses öffnet jetzt zumindest Modellprojekten die Tür. Auch bräuchten Pflegekräften in Führungspositionen höhere Qualifikationen – künftig ist mit einer weitaus stärkeren Differenzierung des Berufsbildes zu rechnen. Bleibt zu hoffen, mit entsprechenden Angeboten mehr Interessierte anzulocken.
Studierende händeringend gesucht
Nicht nur Pflegeberufe sind vom Fachkräftemangel betroffen, auch bei Medizinern ist eine Lücke absehbar: Vertreter der Bundesärztekammer fanden heraus, dass rund 72.000 Kollegen in den nächsten zehn Jahren das Rentenalter erreichen werden. Jetzt soll ein umfangreiches Reformpaket den Beruf attraktiver machen, quasi als Phase zwei des Versorgungsstrukturgesetzes. Für Medizinstudierende sah die Sache anfangs sogar recht gut aus: Ende Dezember brachte das BMG eine Änderung der Approbationsordnung auf den Weg, auch das Kabinett stimmte zu. Die Kernpunkte: Bahr setzt beim Staatsexamen am Ende des Studiums, besser bekannt als „Hammerexamen“, an. Schriftliche Prüfungen wären vor Beginn des praktischen Jahrs abzulegen, damit sich angehende Ärzte ganz der Ausbildung widmen können und nicht nebenbei auch noch büffeln müssen.
Erst danach kämen mündlich-praktisch Inhalte an die Reihe. Das PJ selbst können angehende Ärzte bald in Teilzeit absolvieren, entsprechend länger, aber immerhin ein Beitrag zur Vereinbarkeit von Job und Familie. Auch wären künftig 30 statt bislang 20 Fehltage möglich, sei es durch Schwangerschaft, Geburt oder Krankheit. Zudem soll die Allgemeinmedizin einen höheren Stellenwert bekommen: über längere Blockpraktika sowie über mehr PJ-Plätze, momentan plus zehn, später plus 20 Prozent. Die Änderungen stießen auf breite Zustimmung, doch wo dürfen angehende Ärzte ihr praktisches Jahr absolvieren?
Kampf um die besten Köpfe
Um die Mobilität zu erhöhen, stehen PJlern schon bald die Türen aller Lehrkrankenhäuser Deutschlands offen. Momentan beklagen Medizinstudenten, es sei leichter, ein Tertial tausende Kilometer entfernt zu absolvieren als im Bundesland um die Ecke. Auch besteht die Welt eben nicht nur aus Einrichtungen der Hochschulmedizin – hier bietet die Neuregelung vielen angehenden Ärzten einen Blick über den Tellerrand, und zwar stärker als bisher. Die Sache hat einen strategischen Hintergrund: Gesundheitspolitiker hoffen, dass junge Mediziner kleineren Einrichtungen auch nach ihrer Approbation treu bleiben würden, um gerade strukturschwache Regionen besser zu versorgen. Kliniken hingegen hätten den Vorteil, ärztlichen Nachwuchs schon früh unter die Lupe zu nehmen und langfristig zu binden. Hingegen befürchten Kritiker schon jetzt, die Wahl könne sich eher an der Aufwandsentschädigung als an der Ausbildungsqualität orientieren. Vor allem die Hochschulmedizin ist besorgt, kämen doch preisgünstige Arbeitskräfte abhanden – Zeit, aktiv zu werden.
Zurück auf los
Das beginnt schon mit organisatorischen Fragen, schafft die neue Mobilität etwa ein bürokratisches Ungetüm? Laut Medizinischem Fakultätentag (MFT) müssen nunmehr alle betroffenen Unis mit rund 600 Kliniken entsprechende Verträge abschließen, aus Sicht der Lehrkrankenhäuser wären sage und schreibe 36 verschiedener Logbücher für die Ausbildung relevant. Vertreter der Bundesärztekammer sehen hier nur vorgeschobene Argumente. Deshalb ein Griff in die juristische Trickkiste: Entsprechende Änderungen verstoßen möglicherweise gegen die Bundesärzteordnung. In Paragraph 4 Absatz 3 steht zu lesen, dass Hochschulen im Einvernehmen mit der zuständigen Gesundheitsbehörde Krankenhäuser auswählen – und eben nicht der Gesetzgeber. Laut MFT ganz klar ein Affront gegen die Lehrfreiheit der Universitäten, gleichzeitig befürchtet man drastische Einschnitte der Ausbildungsqualität. Auch der Kulturausschuss des Bundesrats stellte sich quer. Sollte ursprünglich bereits Mitte Februar abgestimmt werden, geht die Kabinettsvorlage aufgrund zahlreicher Änderungswünsche erst einmal zurück an die Landesministerien. Eine Umsetzung vor 2013 wird immer unwahrscheinlicher.
Europa schießt quer
Weitere Hiobsbotschaften kommen vom europäischen Parlament: Brüssel plant, zwei Semester zu streichen, bestehende Inhalte aber nicht auszumisten. Das bedeutet im Klartext, rund 3.500 Arbeitsstunden zusätzlich unterzubringen. Alle Erleichterungen der neuen Approbationsordnung wären mit einem Federstreich hinfällig, aber auch unter Qualitätsaspekten ist das Ansinnen äußerst fragwürdig. Die deutsche Hochschulmedizin äußerte dementsprechend ihren Unmut – schließlich würden besagte Reformen alle Bestrebungen, mehr Medizinstudierende anzulocken, konterkarieren. Ob es mit einer besseren Approbationsordnung jedoch getan ist, das bleibt zu bezweifeln. Schließlich entscheiden sich laut der Bundesärztekammer rund zwölf Prozent aller Absolventen gegen einen Job am Patienten – und für die Industrie beziehungsweise für die Verwaltung. Ein Modellprojekt der Landesärztekammer Thüringen könnte gegen den ursächlichen Praxisschock vielleicht helfen: Bereits während des Studiums geben erfahrene Mentoren Einblick in die reale Welt der Patientenversorgung – und deren Mentees profitieren, da gerade in dieser Phase die Weichen meist noch nicht gestellt sind.