Die deutsche Biotech-Industrie verstärkt ihren Kampf gegen den Krebs. Auf einem Kongress in Berlin stellte sie kürzlich viel versprechende Wirkstoffkandidaten vor, die schon bald helfen könnten. Im Mittelpunkt standen Antikörper und therapeutische Vakzine.
Bei den meisten Krebsarten haben Patienten umso schlechtere Karten, je weiter die Krankheit fortgeschritten ist. Doch nun wollen Forscher mit immer ausgefeilteren Waffen das Blatt wenden. Das wurde am 2. Februar auf dem ersten German Science Day im Virchow-Hörsaal der Berliner Charité deutlich, wo mehrere deutsche Biotech-Unternehmen ihre neuesten Therapieansätze gegen Krebs vorstellten. Diese Veranstaltung wurde von den Unternehmen ins Leben gerufen, um einer breiteren Öffentlichkeit den Beitrag der deutschen Forschung auf diesem Gebiet zu präsentieren.
„Im europäischen Vergleich muss sich Deutschland nicht verstecken“, sagte Peter Heinrich in seiner Begrüßungsrede. Zur Verdeutlichung nannte der Vorstandssprecher der BIO Deutschland einige Zahlen: So gebe es in den neun europäischen Ländern, die auf dem Gebiet der Biotechnologie führend sind, 109 Unternehmen, die Krebsmedikamente entwickeln. Davon befänden sich 29 in Deutschland. Insgesamt hätten diese Unternehmen zurzeit 256 onkologische Programme in ihrer Pipeline. Davon würden 58 von deutschen Firmen vorangetrieben.
Antikörper aktiviert Immunzellen
Heinrich erwartet, dass Krebspatienten schon bald von einigen dieser Projekte profitieren können. Für viel versprechend hält er zum Beispiel den Arzneimittelkandidaten Rencarex der Münchener Firma Wilex: Dieser wird zurzeit im Rahmen einer sich in der Endphase befindenden Zulassungsstudie bei Patienten mit klarzelligem Nierenzellkarzinom getestet. Rencarex basiert auf dem Antikörper Girentuximab, der an das Antigen CA IX bindet, das von klarzelligen Nierenzellkarzinomen im verstärkten Ausmaß hergestellt wird. Der therapeutische Antikörper rekrutiert natürliche Killerzellen, die den Tumor zerstören sollen.
In früheren Studien konnte Wilex bereits zeigen, dass Rencarex die aggressiven Nierenkrebszellen vernichten kann und sich dadurch das krankheitsfreie Überleben von Betroffenen verlängert. Wie Professor Olaf Wilhelm, Vorstandsvorsitzender von Wilex, auf dem Kongress berichtete, hat das Unternehmen aber auch eine mit radioaktivem Iod markierte Version des Antikörpers hergestellt, die in der Diagnostik bei Patienten mit Verdacht auf ein Nierenzellkrebs verwendet werden soll. Mit dem diagnostischen Antikörper, so Wilhelm, könnten Mediziner schon vor einer Operation sagen, ob eine gutartige Wucherung oder ein bösartiger Tumor vorliege. Auch dieser Antikörper wird momentan in einer Zulassungsstudie geprüft und würde bei deren erfolgreichem Abschluss schon nächstes Jahr auf den Markt kommen.
Immunsystem erkennt Krebszellen
Nicht nur bei Antikörpern sondern auch auf dem Gebiet der therapeutischen Vakzine machen deutsche Biotech-Firmen große Fortschritte. Die Idee, Krebs mit einer Impfung zu bekämpfen, ist schon alt, aber erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelang es Forschern, auf Tumorzellen Zielmoleküle zu identifizieren, die sich als potenzieller Angriffspunkt für das patienteneigene Immunsystem eignen. „Die Expressionsrate vieler Gene unterscheidet Tumorzellen und normale Gewebszellen voneinander“, erklärte Professor Hans-Georg Rammensee vom interfakultären Institut für Zellbiologie der Universität Tübingen in seinem Vortrag. „Die körpereigene Abwehr ist prinzipiell in der Lage, diesen Unterschied zu erkennen.“
Rammensee hat auf Grundlage dieser Erkenntnis mehrere Methoden entwickelt, mit denen das Immunsystem von Patienten so stimuliert werden kann, dass es Krebszellen attackiert und dabei gesunde Zellen so weit wie möglich verschont. Eines dieser Verfahren beruht auf der Isolierung von kleinen Peptiden, die auf der Oberfläche von Zellen der Körperabwehr präsentiert werden. Besonders geeignet für eine Immuntherapie, so Rammensee, seien Peptide, die vor allem auf Krebszellen vorkommen.
Peptidgemisch hilft bei Nierenkrebs
Da ein akademisches Institut nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um die Entwicklung eines marktfähigen Impfstoffes voranzutreiben, haben Mitarbeiter von Rammensees Tübinger Forschungsgruppe vor einigen Jahren das Biotech-Unternehmen Immatics gegründet. Es konzentriert sich hauptsächlich auf die Herstellung von Peptid-Cocktails zur Behandlung von Patienten mit metastasierendem Nierenzellkarzinom oder kolorektalen Zellkarzinom. Im Rahmen mehrerer klinischen Studien konnte die Tübinger Firma bereits den Nachweis erbringen, dass diese Peptidgemische bei der Mehrheit der getesteten Personen eine Immunantwort gegen die Krebszellen auslöst. Nun will Immatics in einer bereits angelaufenen Zulassungsstudie endgültig die Wirksamkeit des therapeutischen Vakzins IMA910 bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenkrebs zeigen.
Rammensee ist in seinen Bemühungen um eine möglichst effiziente Krebsbekämpfung noch einen Schritt weitergegangen und hat eine auf den Patienten individuell zugeschnittene Tumorimpfung entwickelt. Dank moderner Sequenziertechnologien konnten er und seine Mitarbeiter Gewebeproben von Patienten mit Leberkrebs einzeln untersuchen. Jeder Tumor weist auf seiner Oberfläche eine Vielzahl von mutierten Molekülen auf, die jedoch bei jedem Patienten verschieden sind. Deswegen muss das für die Impfung verwendete Peptidgemisch bei jedem Patienten maßgeschneidert werden.
Bessere Effizienz durch persönlichen Impfstoff
Der Tübinger Immunologe verspricht sich von einer individualisierten Tumorimpfung nicht nur eine bessere Durchschlagskraft gegen Krebszellen sondern auch, dass sie praktisch keine nachteiligen Nebenwirkungen beim Patienten verursacht. Weiterer Vorteil einer solchen Impfung: Verändert sich der Tumor im Lauf der Behandlung, lässt sich die Zusammensetzung des Peptidgemisches modifizieren und der Patient kann erneut geimpft werden. Rammensee: „So wie der Zahntechniker für jeden Patienten einen eigenen Zahnersatz herstellt, personalisieren wir die Tumortherapie, indem wir für jeden Patienten seinen persönlichen Impfstoff bereitstellen.“