Hilfreich bei Rauchverboten, aber noch nicht vollständig untersucht: Elektrische Kippen sind zum Politikum geworden. Volksvertreter fordern die Apothekenpflicht, doch Lobbyisten schlagen mit Studien und Gerichtsverfahren zurück.
Johnny Depp macht es vor: In „The Tourist“ pafft er während der Bahnfahrt genüsslich eine E-Zigarette. Herrschen mittlerweile Rauchverbote, soweit das Auge reicht, sind Elektrokippen die Alternative – solange es noch keine konkreten Anhaltspunkte für eine Gefährdung gibt. Das hat seinen Grund: An klassische Zigaretten erinnert vom Aufbau her eigentlich kaum noch etwas.
Hightech-Vernebler
Ein elegantes Gehäuse mit Hightech-Innenleben: E-Zigaretten verdampfen batteriebetrieben Flüssigkeiten, Liquids genannt, ohne Glut. Neben Geruchs- und Geschmacksstoffen enthält die Füllung meist auch Nikotin in verschiedenen Konzentrationen, und Propylenglykol fungiert als Trägerstoff. Befürworter schwören auf die kleinen Wunderwerke der Technik als gesündere Alternative, auch das leidige Thema des Passivrauchens wäre damit vom Tisch. In der Tat fehlen Verbrennungsprodukte wie Kohlenmonoxid, Teer sowie speziell das krebserregende Benzpyren. Ist der Konsum deswegen aber unbedenklich?
Schädlich…
Das wollten Forscher um Dr. Constantine I. Vardavas vom Bostoner Center for Global Tobacco Control, Harvard School of Public Health, genauer wissen. Im Rahmen einer Studie untersuchten sie, inwieweit sich fünf Minuten elektrischen Qualmens auf die Lungenfunktion auswirken. Dazu mussten 30 gesunde Nichtraucher im Alter von 19 bis 56 Jahren je eine E- Zigarette konsumieren. Der Effekt ließ nicht lange auf sich warten, im Vergleich zur Kontrollgruppe verengten sich die Atemwege der Probanden fast augenblicklich. Auch kam es zu einem verminderten Ausstoß von fraktioniertem, exhaliertem Stickstoffmonoxid (FeNO). Normalerweise gibt dieser Marker Hinweise auf entzündliche Prozesse in den Bronchien, hier ist eher ein Effekt von Hilfsstoffen wie Propylenglykol zu vermuten. Aus diesen Ergebnissen folgerte Constantine I. Vardavas, bereits der einmalige Genuss des neuen Lasters führe zu negativen physiologischen Effekten. Rückschlüsse auf langfristige Auswirkungen lassen seine Daten aber nicht zu.
Angesichts der unklaren Situation raten Vertreter der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erst einmal zur Vorsicht. Der eingeatmete Dampf bestehe bis zu 90 Prozent aus Propylenglykol, das kurzfristig akute Atemwegsreizungen auslösen kann, hieß es. Zudem wies die Food and Drug Administration (FDA) neben bekannten Substanzen wie Ethanol, Glyzerin und Aromastoffen in einigen Kartuschen Krebs erregende Nitrosamine nach. Details hat die US-Behörde aber bis heute nicht veröffentlicht.
Mitte Februar dann die nächste Hiobsbotschaft: Laut „Daily Mail“ explodierte ein Elektroglimmstängel im Gesicht des 57-jährigen Vietnam-Veterans Tom Holloway. Dieser verlor alle Zähne sowie Teile der Zunge und musste schwer verletzt in eine Spezialklinik gebracht werden. Wie es zu dem Feuerwerk kommen konnte, ist noch unbekannt, Ermittler arbeiten auf Hochtouren.
…oder doch harmlos?
Mit einer neuen Studie schlägt der Verband des eZigarettenhandels e.V. jetzt zurück: Sechs Personen bliesen den Dampf der Elektrofluppen in Wasser, jeweils für mindestens 30 Züge. Auch die Atemluft wurde durch eine Waschlösung geleitet. Im Labor ließen sich darin weder Formaldehyd noch Nicotin, Acrylamid, Acrolein oder Propylenglykol nachweisen. Laut dem Versuchsprotokoll seien alle diese Substanzen jeweils unter der Nachweisgrenze gewesen. In einer weiteren Analyse fahndete man nach Nitrosaminen – ebenfalls ohne Erfolg. Damit scheide die Belastung von Rauchern und deren Mitmenschen aus, argumentieren jetzt Befürworter der Hightech-Glimmstängel. Große, unabhängige Studien gibt es dazu noch keine, und der bekannte Effekt des Nikotins lässt sich ebenfalls schwer wegdiskutieren. Aber auch juristische Fragen sind ungeklärt.
Genussmittel oder Medikament?
Momentan werden E-Zigaretten als Genussmittel vertrieben, was unter Experten mehr als umstritten ist. Bereits 2009 beschäftigte sich das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit deren rechtlicher Einordnung, sah sich dafür aber nicht verantwortlich. Jetzt heißt es warten, eine Grundsatzentscheidung zu dem Thema steht noch aus.
Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Bündnis 90/Die Grünen) dauerte das alles viel zu lange. Sie zweifelte an der vermeintlichen Harmlosigkeit des Dampfs für Raucher beziehungsweise Passivraucher – und forderte strengere Regelungen. Für Steffens ist klar, dass die Liquids als Arzneimittel einzustufen sind, vor allem wegen des Nikotingehalts. Damit würde die nikotinhaltige Flüssigkeit zum Funktionsarzneimittel erhoben, einem Pharmakon, das Körperfunktionen beeinflusst, ohne den Anspruch einer Heilwirkung zu erheben. Entsprechende Stoffe dürfen in Deutschland nur über Apotheken vertrieben werden, beispielsweise die bekannten Nikotin-Inhaler zur Tabakentwöhnung.
Mein Urteil – dein Urteil
Vertreter des Bundesverbands des eZigarettenhandels widersprachen dieser Einschätzung mit einer ganzen Sammlung aktueller Urteile aus der deutschen beziehungsweise europäischen Rechtsprechung. Ihr Fazit: Ohne wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse sei die Zuordnung von E-Zigaretten als Medizinprodukt oder Arzneimittel nicht möglich.
Rückendeckung bekamen sie von der Forschungsstelle für Pharmarecht an der Philipps-Universität Marburg. Deren Sprecher Professor Dr. Wolfgang Voit stuft E-Zigaretten nicht als Funktionsarzneimittel ein. Vielmehr beruft er sich auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt an der Oder. Darin fordern Justitias Vertreter, die Elektrokippen müssten diagnostischen oder therapeutischen Kriterien dienen, um dem Arzneimittelgesetz unterstellt zu werden - Fehlanzeige. Sind Chemikalien ansonsten in der REACH-Verordnung der EU (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) nicht als gefährlich beziehungsweise krebserregend klassifiziert, ist Voit zufolge auch deren Verbreitung zulässig.
Das Land Nordrhein-Westfalen hielt indes an seiner Kritik fest – und massive Umsatzeinbrüche bei E-Zigaretten waren die Folge. Händler reagierten umgehend mit Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe. Schließlich der Showdown am Düsseldorfer Verwaltungsgericht. Die Juristen stellten klar, Elektrokippen seien generell für Therapiezwecke verwendbar, und stuften Bedenken damit als vertretbar ein. Zwar heile man keine Krankheiten, bei starken Rauchern käme der Einsatz aber infrage. Barbara Steffens darf also weiter warnen, und wen wundert es: Eine Beschwerde der Lobbyisten ging beim Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen als nächsthöherer Instanz bereits ein.
Das kleinere Übel
US-Wissenschaftler teilen die Bedenken deutscher Gesundheitspolitiker aber keineswegs. Laut Zachary Cahn von der University of California und Michael Siegel von der Boston University School of Public Health bieten E-Zigaretten sogar enorme Potenziale im Kampf gegen Morbidität und Mortalität durch exzessiven Tabakkonsum. Dieses Argument wiegt für sie schwerer als mögliche Langzeitfolgen der elektrischen Glimmstängel. Sicher nicht von der Hand zu weisen, doch bleibt eine Tabakentwöhnung mit pharmakologischer und psychologischer Unterstützung die beste aller Optionen.