Mit Hilfe von Schauspieler-Patienten werden im Rahmen des Medizinstudiums Untersuchungs- und Gesprächssituationen simuliert. So können die Studenten im sicheren Umfeld ihr theoretisches und praktisches Wissen anwenden und Fertigkeiten trainieren.
In vielen medizinischen Fakultäten wird heute in mehr oder weniger großem Umfang das Konzept der Simulationspatienten genutzt um Anamnese, Gespräche, Diagnostik und Untersuchungstechniken möglichst realitätsnah zu üben. Die Schauspieler werden geschult, Beschwerden und Symptome bestimmter Erkrankungen darzustellen oder bestimmte Reaktionen zu zeigen, auf die der Student spontan und unvorbereitet reagieren muss.
Möglichkeiten der Anwendung
In Psychologie-Seminaren zum Beispiel, haben die Studenten an der Uni Duisburg-Essen schon in der Vorklinik Kontakt mit solchen Simulationspatienten zu tun. Die Studenten können aktiv mit dem Schauspieler Kommunikationstechniken in verschiedenen Arzt-Patienten-Gesprächssituationen trainieren. Wie überzeugt man zum Beispiel einen 50-jährigen erfolgreichen Manager, der sich für kerngesund hält und keine Zeit für Sport und gesunde Ernährung hat, von risikoreduzierenden Maßnahmen und davon, dass er Medikamente gegen seinen hohen Blutdruck nehmen solle? Oder, wie beruhigt man einen hypochondrischen jungen Studenten, der vier Mal im Quartal immer wieder mit einer neuen Erkrankung den Arzt aufsucht?
Auch in Prüfungen ist dieses Konzept anwendbar. In einer sogenannten OSCE (Objective Structured Clinical Examination) wird im klinischen Abschnitt des Studiums in verschiedenen Fachrichtungen das erlernte Wissen über Anamnese, klinische Untersuchung und Vorsorge praktisch geprüft. Von EKG-Auswertung, Aufklärungsgesprächen, Impfberatung, krankem Kind bis Brustuntersuchung am Modell und Blutabnehmen am Plastikarm - natürlich am Simulationspatient anliegend - ist alles dabei. Innerhalb von 6 Minuten muss der Prüfling vor dem schweigend zusehenden Prüfer möglichst schnell entscheiden, welche weiteren Behandlungsschritte er ausführt. Zum Beispiel, wie er eine Impfgegnerin davon überzeugt, ihr Kind und die Bevölkerung durch Impfungen zu schützen.
Das schwere Gespräch
In der Psychosomatik haben die Studenten erneut das Vergnügen mit den Simulanten. Das Thema ist aber weniger erheiternd. Es geht darum, verschieden reagierenden Patienten eine unheilbare Krebsdiagnose zu überbringen. Der eine reagiert geschockt, traurig, völlig niedergeschlagen. Der andere will dem „Arzt“ nicht glauben, schlägt ihm andere alternative Heilverfahren vor, ist überzeugt davon gesund zu werden und will sich nichts Gegenteiliges sagen lassen. Die nächste Patientin ist gefasst und nimmt die Nachricht scheinbar abgeklärt auf.
Dieses schwierige und belastende Aufgabe, Patienten und/oder Angehörigen eine schlechte Nachricht zu überbringen, sollte nicht unbedingt am echten Patienten geübt werden. Selten hat man die Möglichkeit, bei einem solchen Gespräch dabei zu sein, da diese Situationen für den Betroffenen und den Arzt belastend genug sind und unnötig viele Zuschauer nicht angemessen wären. Meistens wird man mit einer solchen Aufgabe unvorbereitet konfrontiert und ins kalte Wasser geworfen. Auch wenn ein Gesprächsverlauf nie vorhersehbar ist und jedes Gespräch anders verläuft, könnte es beruhigend sein, wenn man zumindest eine solche Situation bereits geprobt hat. Dass diese Übung nicht ganz so unnötig und oberflächlich ist, merkt man, wenn man einmal dabei war.
In einen Raum mit etwa 15 Studenten tritt der Simulationspatient ein. Eine zuvor ausgesuchte Studentin (beispielhaft Stephanie aus dem fünften Klinischen Semester) spielt die Ärztin und beim Eintreten des „Patienten“ geht es sofort los. Die „Ärztin“ begrüßt die „Patientin“, sie setzten sich, das Gespräch beginnt. „Wir hatten heute diesen Termin vereinbart, um über die Ergebnisse der letzten Untersuchungen zu sprechen. Auf welchem Stand sind Sie bis jetzt? Was haben Ihnen die Ärzte und die Pfleger bisher über den Stand Ihrer Erkrankung erklärt?“ Die „Patientin“ berichtet, was man ihr bisher mitgeteilt habe, sie erscheint leicht beunruhigt, besorgt. „Leider muss ich Ihnen eine schlechte Nachricht mitteilen. (Pause) Wir haben in der letzten Untersuchung, der MRT, ein weiteres Wachstum der Tochtergeschwülste Ihres Tumors entdeckt. (Pause) Wir hatten gehofft, dass die Therapie das Wachstum der Tochtergeschwülste aufhalten und sie zurückdrängen würde. Doch leider ist dies nicht eingetreten, sie sind gewachsen und es sind noch weitere hinzugekommen. (Pause) Das bedeutet, nach unseren jetzigen Erkenntnissen, dass wir das Fortschreiten ihrer Erkrankung nicht mehr aufhalten können, sie nicht mehr heilen können.“
Im Raum ist es still. Keiner der zuschauenden Studenten rührt sich, alle schauen gebannt auf die Patientin. Diese schaut fassungslos die Ärztin an, schluckt, versucht zu sprechen, beginnt einen Satz, verstummt wieder. „Aber... Was soll das heißen? Ich habe doch die Chemotherapie bekommen und am Anfang sah es doch gut für mich aus. Ich dachte, es wird wieder. Mir ging es doch besser. Die Nebenwirkungen waren viel geringer als beim ersten Zyklus...“ (Pause) Die Augen werden feucht. „Ich… kann doch nicht sterben. Meine Kinder…“, sie verstummt. Die „Ärztin“ lässt die Patientin ausreden, wartet, sieht sie an. „Auch, wenn wir Ihre Erkrankung nicht mehr heilen können, heißt es nicht, dass wir nichts mehr für Sie tun können. Sie werden die Chemotherapie nicht mehr bekommen, was Sie von den Nebenwirkungen befreien wird. Wir können dann alles medizinisch Mögliche tun, um Ihre Schmerzen zu lindern. Wir werden Sie bei Beschwerden sofort mit Medikamenten unterstützen und werden Ihnen helfen, dass Sie die Ihnen verbliebene Zeit so gut wie möglich, in der Umgebung, die Sie sich dafür wünschen, gestalten können.“
Die „Ärztin“ ist sehr konzentriert, spricht ruhig und langsam. Die Patientin ist sichtlich durcheinander, ihre Hände sind gefaltet, sie sind rot vor Anspannung, die Fingergelenke scheinen weiß hervor. Sie versucht etwas zu sagen, stockt, schweigt wieder. Ihre Lippen zittern. Wiederholt muss sie einen begonnenen Satz abbrechen. „Ich kann das nicht glauben. Nicht verstehen…“. Nach einer längeren Pause spricht die Ärztin wieder: „Es ist natürlich jetzt ein Schock für Sie. Diese Situation ist sehr belastend und schwer für Sie. Es ist normal, dass Sie durcheinander sind. Es wird Zeit brauchen, um die Informationen zu verarbeiten. Aber Sie sind nicht alleine. Sie können mir und den anderen Ärzten jederzeit Fragen stellen. Wir werden uns die Zeit nehmen, aufkommende Fragen in Ruhe mit Ihnen zu besprechen. Auch Ihre Angehörigen können gerne zu uns kommen. (Pause) Wir vereinbaren nun erstmal einen Termin für ein weiteres Gespräch.“ Wieder eine lange Pause. „Ich glaube, ich brauche erst mal Zeit für mich, um das zu verarbeiten. Ich werde auf mein Zimmer gehen.“
Die Auswertung
„Sie dürfen anfangen. Wie haben Sie sich in der Rolle der Ärztin gefühlt?“, fragt der Dozent. Die Studentin ist sichtbar erleichtert, die Aufgabe hinter sich gebracht zu haben. „Es war schwer, die Traurigkeit und Verzweiflung zu ertragen, die sehr gut gespielt war. Aber im Laufe des Gesprächs wurde ich immer ruhiger und habe mich auf die Reaktionen der Patientin konzentriert und versucht, mich an die gelernten Kommunikationsanleitungen zu halten.“ Nun darf auch die Schauspielerin sagen, wie sie sich bei der „Ärztin“ aufgehoben gefühlt hat. „Mir hat es sehr gut gefallen, wie Sie mit mir umgegangen ist. Es ist wahrscheinlich schwierig, damit umzugehen, wenn ein Patient so wenig redet und man so viel Stille und Verzweiflung aushalten muss, ohne den Patienten mit zu viel Informationen zu überfordern.“ Auch die anderen Studenten dürfen nun berichten, wie es ihnen gefallen hat. „Die Situation war sehr angespannt, es hat sich sehr echt angefühlt. Dem Schauspieler war die Angst und der Schock am Gesicht abzulesen und man konnte sich vorstellen, wie schwer solch ein Gespräch in Wirklichkeit sein wird.“
In der nächsten Gesprächsrunde gibt es einen ganz anderen Patienten, der sehr gut gelaunt ist, voller Lebensmut und Kraft strotzt und nicht glauben will, was ihm gesagt wird. Die Atmosphäre ist anders, aber es ist auch keine leichte Aufgabe für den nächsten Studenten die Nachricht glaubhaft zu übermitteln.
Nach dem Seminar erzählt Stephanie, dass sie froh ist, eine solche Situation geprobt zu haben. „Es ist schon eine Herausforderung, vor den anderen Studenten und dem Dozenten ein solches Gespräch zu führen, vor allem bei diesem Thema. Aber als es losging, hatte ich die anderen schnell vergessen. Wir haben vorher theoretisch verschiedene Gesprächstechniken durchgesprochen. Dass man sich Zeit nimmt, einen ruhigen Ort sucht, dem Patienten Raum lässt, Pausen macht, ihm nicht zu viele Informationen auf einmal übergibt und so weiter. Natürlich bin ich jetzt keine Expertin, was das „Überbringen schlechter Nachrichten“ angeht, aber ich habe es zumindest einmal gemacht. Auch wenn die Situation gespielt war, wird es mir vielleicht ein bisschen mehr Mut geben, wenn ich so etwas zum ersten Mal selbst machen muss.“