Der Blick ins Tumorgenom ist gerade in frühen Krebsstadien deutlich aufschlussreicher als der Befund des Pathologen. Immerhin ändert das Ergebnis eines Multi-Gentests bei frühem Brustkrebs in jedem dritten Fall die Therapieentscheidung. In Deutschland hinken die Leitlinien dieser Entwicklung jedoch noch hinterher.
"Wir erleben derzeit einen Wandel des Therapieansatzes bei Brustkrebs“, sagt Manfred Kaufmann. "Sowohl die Identifizierung der wesentlichen Tumorsubtypen als auch das bessere Verständnis ihrer biologischen Eigenschaften spielen eine immer wichtigere Rolle bei der Therapieentscheidung des Arztes.“ Der Direktor der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Goethe-Universität Frankfurt beschreibt einen Trend bei der Therapieentscheidung, der nicht nur in der Onkologie immer bedeutender wird. In der personalisierten Medizin zeigt sich immer deutlicher, dass es DEN Brustkrebs nicht mehr gibt.
Je nachdem wie aggressiv der Tumor ist und ob er auf seiner Oberfläche entsprechende Zielproteine für effektive Wirkstoffe hat, kann jeweils eine andere Therapie erfolgversprechend sein, ohne die Patientin zu sehr mit Nebenwirkungen zu beschweren. Die klassischen Merkmale für die Geschwulst in der Brust waren bisher Größe, histologischer Subtyp, Grading und Lymphgefäßinvasion. Dazu noch die die Zelloberflächenproteine von Östrogen- und Progesteronrezeptor. Seit einigen Jahren gehört zum Tumortest auch die Bestimmung des Epidermalen Wachstumsfaktors 2 - HER2/neu. Seine Präsenz erlaubt den Einsatz des Antikörpers Trastuzumab.
Schlichtweg übertherapiert
Wenn aber bei frühem Brustkrebs die Lymphknoten frei und nur ganz gering (bis zu drei) befallen sind, ist dann eine Chemotherapie nötig, die Psyche und Körper belastet? Weniger als vier Prozent dieser Patientinnen würden in diesem Stadium von der Chemotherapie profitieren, berichtet Randy Scott von Genomic Health. „Alles deutet darauf hin, dass viele Frauen, bei denen kein Lymphknotenbefall vorliegt, die Belastungen und Nebenwirkungen einer Chemotherapie ertragen müssen, ohne einen gesundheitlichen Nutzen daraus zu ziehen. Sie werden schlichtweg übertherapiert, die Entfernung des Tumors, gegebenenfalls mit Bestrahlung, hätte ausgereicht.“ Das sagt Tjoung-Won Park-Simon, stellvertretende Direktorin der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der medizinischen Hochschule Hannover.
In Deutschland sind etwa 20 Wirkstoffe auf dem Markt, die der Strategie der „Personalisierten Medizin“ entsprechen. Vor ihrem Einsatz steht ein Gentest, der sicherstellen soll, wie hoch die Chancen sind, dass der gewünschte Effekt auch eintritt. Vier davon richten sich gegen das Mammakarzinom. Auch die Wirkung von Tamoxifen lässt sich zusätzlich zum Hormonrezeptor-Status mit einem Test auf die Faktoren HOXB13 und IL17BR besser vorhersagen.
Andere Therapieentscheidung in jedem dritten Fall
Seitdem es inzwischen gang und gäbe ist, das ganze Genom auf Risikofaktoren zu analysieren, spielen Multigentests eine immer größere Rolle - auch bei Brustkebs. Dabei steht ein Test mit 21 Genen (Oncotype DX, Genomic Health) oder 70 Genen (Mammaprint, Agendia) auf dem Markt zur Verfügung. Oncotype prüft mittels RT-PCR das Erbgut auf RNAs von fünf Proliferationsgenen, zwei Faktoren für Gefäßinvasion, zwei Wachstumsfaktoren, vier Hormonrezeptoren und drei anderer Genprodukte. Ein niedriger „Oncotype-Recurrence Score“ bedeutet gute Aussichten für die Patientin und die Möglichkeit, eventuell auf eine Chemotherapie verzichten zu können. Beide Tests sind in den USA schon etabliert und finden sich dort in den Leitlinien wieder, während Deutschland damit noch zögert.
Einen weiteren Expertengeprüften und -befürworteten Test bietet etwa die Frauenklinik der Medizinischen Hochschule in Hannover an. Der ELISA-Assay überprüft den Urokinase Plasminogen Aktivator (uPA) und dessen Antagonisten PAI-1 und erlaubt ebenfalls eine Einschätzung, ob eine Chemotherapie bei nodal-negativem Brustkrebs notwendig ist.
Decision Impact: Test beeinflusst die Arztentscheidung
Nicht immer sind beispielsweise kleine Tumoren harmlos und große aggressiv. Dass sich Ärzte zunehmend auf Genomanalysen verlassen, zeigen mehrere „Decision Impact Studien“. Ärzte änderten demnach bei mehr als ein Drittel der Fälle von frühem Brustkrebs ihre Therapieentscheidung und strichen die Chemotherapie, nachdem ein Gentest der Patientin eine günstige Aussicht bescheinigte. Bei rund vier Prozent der Fälle verordneten sie allerdings zusätzlich zur Hormontherapie auch noch eine Chemotherapie.
Diese Entwicklung dürfte auch an den deutschen Leitlinien-Autoren zur Diagnostik bei Brustkrebs nicht vorbeigehen, obwohl für viele Experten beide Tests noch nicht allerstrengste Validierungsmaßstäbe erfüllen. Neben den amerikanischen Fachleuten der ASCO und NCCN raten inzwischen auch hochrangige internationale gynäkologische Onkologen der internationalen St. Gallener Brustkrebskonferenz zum Gentest, insbesondere zum 21-Gen-Check. Aber auch die strengen S3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und der Deutschen Krebsgesellschaft dürften bei Neufassung Mitte diesen Jahres wohl auch ein besonderes Augenmerk auf die neuen Charakterisierungsmethoden legen.
3.000 Dollar pro Lebensjahr
Neben deutschen Skeptikern sind aber auch die Krankenkassen mit der Erstattung des diagnostischen Hilfsmittels noch recht zurückhaltend. Für den Oncotype-Test läuft seit letzten Jahr an elf Zentren ein Modellversuch mit 400 Patientinnen, der von der AOK Rheinland/Hamburg unterstützt wird. Die Konkurrenz aus den Niederlanden hat inzwischen auch einige Kostenübernahme-Verträge mit Krankenkassen geschlossen. Schließlich übernehmen einige Kassen auch den uPA/PAI-1-Test.
Ein großes Problem dabei dürften die relativ hohen Preise sein, die im vierstelligen Euro-Bereich liegen. Für amerikanische Patientinnen werden pro gewonnenem Lebensjahr (QUALY = quality-adjusted life-years) für den Oncotype-Test rund 3.800 Dollar fällig, für den Mammaprint-Assay rund 2900.
Dass sich Gentests als wichtiger Ratgeber bei der Brustkrebs-Therapieentscheidung durchsetzen, daran zweifelt kaum mehr ein Onkologe. Letzte Widerstände sollen große prospektive Studien ausräumen, an denen die Tests teilnehmen (ADAPT, TAILORx, RxPONDER, PlanB). Die Ergebnisse werden jedoch zum Teil erst in einigen Jahren bekannt sein. Bis dahin könnten neue Untersuchungsstrategien für das Genom die jetzt verwendeten Tests ablösen. Denn die Suche nach neuen zuverlässigen Markern für die personalisierte Therapie bei Brustkrebs ist noch lange nicht zu Ende.
Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie - Brustkrebs: Next Generation Sequencing.