Immer häufiger droht Apothekern eine Kriminalisierung durch Veröffentlichungen in den Medien: Neben Retaxationen bei BtM-Rezepten baden Apotheker womöglich unklare Formulierungen in Gesetzestexten aus oder sollen nicht verfügbare Präparate im Zuge von Rabattverträgen liefern. Was steckt wirklich dahinter?
Ein Zeichen der Zeit: Mittlerweile stehen Apotheker unter gesellschaftlichem Generalverdacht, das Gesundheitssystem auszubeuten. Dabei wird die Justiz zunehmend instrumentalisiert: Medien begleiten jeden noch so kleinen Anhaltspunkt, der zu Ermittlungen führen könnte. Klären sich die Verdachtsmomente auf, meist werden entsprechende Verfahren eingestellt, haben Journalisten häufig das Interesse verloren – gemäß dem alten Motto „Only bad news is good news“.
Strafandrohung mit System
Dahinter steckt der Anspruch unseres Gesundheitssystems, alle Patienten adäquat zu versorgen, aber dennoch bezahlbare Konditionen zu bieten. In dieser Rollenverteilung spielen Leistungserbringer – sprich Kostenverursacher – die Rolle der Bösen, der Abzocker, während Leistungsträger völlig außen vor bleiben. Dabei gleichen sich die Situationen wie ein Ei dem anderen: Nachdem vermeintliche Unregelmäßigkeiten zu Tage gefördert wurden, folgt eine Strafanzeige, kombiniert mit massiver medialer Begleitung. Den Apothekern selbst drohen Kassen drakonische Strafen an, sollten sie – trotz bereits erbrachter Leistungen – nicht die vollen Beträge zurückzahlen. Oftmals erstatten Kollegen vermeintliche Schäden ohne rechtliche Notwendigkeit, um teure und langwierige Verfahren zu umgehen.
Mauscheleien hinter dem HV-Tisch?
Zwei Beispiele: Die AOK Baden-Württemberg etwa hatte einen Rabattvertrag zu Metoprolol abgeschlossen, nur konnte der pharmazeutische Hersteller anfangs nicht liefern, auch erfolgte keine Korrektur der EDV, und Apotheker gaben ein alternatives Präparat ab, im Eifer des Gefechts teilweise ohne entsprechenden Vermerk. Laut Dr. Heinz-Uwe Dettling von der Kanzlei Oppenländer Rechtsanwälte, Stuttgart, beliefen sich entsprechende Schäden pro Apotheke und Monat auf fünf bis 20 Euro, dennoch hagelte es massenhaft Anzeigen – und „Bild.de“ witterte sofort „Betrug mit falschen Abrechnungen“. „Spiegel online“ hingegen mutmaßte, Apotheker hätten „in großem Stil Medikamente abgerechnet, die noch gar nicht auf dem Markt waren“. Der Ausgang dieser Geschichte schien außerhalb von Fachkreisen keine Meldung mehr wert zu sein – wie nicht anders zu erwarten, lösten sich alle Betrugsvorwürfe vor Gericht in Luft auf, in manchen Fällen wurde die Klage auch wegen Geringfügigkeit abgewiesen.
Kein Einzelfall, auch Zytostatika ließen die Volksseele kochen. Hinter dem „Riesen-Betrug mit falschen Krebs-Mitteln“ verbargen sich Fertigarzneimittel heimischer Hersteller, zugelassen für den deutschen Markt, aber für das Ausland bestimmt. Auch hier baute sich ein massiver Druck gegen Apotheker auf, die sich zu teilweise sechsstelligen Rückzahlungen verleiten ließen, wohlgemerkt ohne Verurteilung. Zwar läuft derzeit eine Revision beim Bundesgerichtshof, mehrere Instanzen hatten aber keine strafbaren Anhaltspunkte und – ganz klar – auch keine Mängel hinsichtlich der Qualität gefunden.
Zwischen Substitution und Zulassung
Rabattverträge und massive Ansätze zur Kostendämpfung machen Apothekern ebenfalls das Leben schwer. Wie Professor Dr. Ute Walter von der Kanzlei Rechtsanwälte Wigge, Münster, berichtet, hatte ein Arzt für ein an pulmonal-arterieller Hypertonie erkranktes Kleinkind Sildenafil (zwei Milligramm) verordnet, ein Fertigpräparat dieser Stärke gibt es nicht. Das Dilemma: Revatio® (20 Milligramm Sildenafil) ist bei dieser Erkrankung zugelassen, allerdings sehr teuer und nur in Großpackungen erhältlich. Vigra® (25 bis 100 Milligramm Sildenafil), preisgünstiger und in kleinere Einheiten abgepackt, darf jedoch nur bei erektiler Dysfunktion angewendet werden. Ganz klar, die Apothekerin wählte für ihre Verdünnung Revatio® - und wurde umgehend retaxiert, mit Hinweis auf das V. Sozialgesetzbuch, Paragraph 129. Dem gegenüber stehen Vorschriften der Apothekenbetriebsordnung, aber auch der unnötigen „Off-Label“-Use. Jetzt liegt es an der Justiz, ein Grundsatzurteil zu fällen. Das ist bei Talern und Märkchen für Kassenrezepte bereits geschehen, offene Fragen bleiben aber dennoch.
Gefährliche Gefälligkeiten
Zwar hat der Bundesgerichtshof am 9. September 2010 entschieden, dass Rx-Boni als Verstöße gegen die im Arzneimittelrecht enthaltenen Preisbindungsvorschriften, also das Arzneimittelgesetz, die Arzneimittelpreisverordnung sowie gegen das im Heilmittelwerberecht geregelte Verbot von Werbegaben einzustufen sind. Ein Urteil, das laut Dr. Timo Kieser von der Kanzlei Oppenländer Rechtsanwälte, Stuttgart, „mehr Steine als Brot“ gebracht hat: Rabatte sind nach Einschätzung der BGH-Richter nämlich nur dann eine spürbare Beeinträchtigung der Konkurrenz, sollte deren Wert die Bagatellgrenze von einem Euro überschreiten. Nachfolgende Urteile anderer Instanzen lichteten die Nebel etwas, nach juristischer Auffassung ist diese Summe pro Präparat möglich, nicht pro Rezept. „Auch mit Gutscheinen im Wert von einen Euro bekommen Sie möglicherweise Post von der Kammer, vor allem im Süden Deutschlands“, berichtet Kieser aus der aktuellen Praxis. Anderenorts verteilt der Briefträger eher Schreiben diverser Krankenkassen.
Einnahmequelle Nullretaxation
Gerade in Nordrhein-Westfalen sind BKKen im letzten Jahr dazu übergegangen, BtM-Rezepte wegen größtenteils marginaler Formfehler auf null zu retaxieren. Auch hier wurden Leistungen erbracht, sollen aber nicht beglichen werden. Der Rechtsanwalt Dr. Valentin Saalfrank, Köln, schätzt, dass entsprechende Vorgänge mittlerweile rund 0,5 Prozent des Arzneimittelumsatzes ausmachen, verlorene Arbeitszeiten von Apothekern nicht mitgerechnet. Trotz klärender Gespräche warten alle Betroffenen jetzt auf das Bundessozialgericht. Vertreter der Kassen und des Deutschen Apothekerverbands hatten sich zu diesem Schritt entschlossen, um ein für alle Mal Rechtssicherheit zu schaffen. Für Apotheken, die der Musterstreitvereinbarung beigetreten sind, kommt es nach dem BSG-Urteil zu einer Korrektur, andere Kollegen können sich nur für die Zukunft darauf berufen. Doch lässt sich der Spieß auch umdrehen: Wie das Bundessozialgericht jetzt entschieden hat, müssen Apotheken keinen Abschlag zahlen, sollte eine Kasse aufgrund falscher Retaxationen ihre Rechnungen nicht bezahlen. Die Urteilsbegründung liegt noch nicht vor, dennoch schafft die Entscheidung mehr Rechtssicherheit.
Fahrlässigkeit oder Mutwilligkeit
Dennoch begehen auch Kollegen folgenschwere Fehler, wie kürzlich bei der Belieferung einer Wuppertaler Klinik mit Augentropfen. Das Präparat enthielt Benzalkoniumchlorid in 1000-facher Überdosierung - Verätzungen bei Frühgeborenen waren die Folge. Zwar scheint ein Fehler bei der Übertragung der Daten passiert zu sein, dennoch wäre laut Apothekenbetriebsordung, Paragraph 7, eine Überprüfung erforderlich gewesen. Während dieser Fall juristisch eher als – möglicherweise grobe – Fahrlässigkeit zu bewerten ist, sieht es im Falle mutwilliger Betrügereien für die Täter nicht gut aus: Ein Apotheker aus Niedersachsen steht unter Verdacht, Rezepte mit Sprechstundenbedarf frisiert zu haben. In Hessen wiederum beschuldigen Ermittlungsbehörden einen Kollegen, Rezeptvordrucke gestohlen und dann zu seinen Gunsten abgerechnet zu haben. Je nach Faktenlage drohen den vermeintlichen Tätern bis zu zehn Jahren hinter schwedischen Gardinen, vom Entzug der Approbation ganz zu schweigen.
Meistens geraten Apotheker jedoch ohne Schuld in die Mühle der Justiz. Ihnen rät Dr. Heinz-Uwe Dettling: „Wer kämpft, kann gewinnen oder verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren“.