Wenn der Schock nach einer schwerwiegenden Diagnose nachlässt, folgt oft die Wissbegier. Viele Patienten möchten sich intensiver mit ihren Erkrankungen auseinandersetzen und suchen nach Gesprächen. Leider können Ärzte das meistens nicht ausreichend stemmen.
Das Bedürfnis der Patienten nach Information war eines der viel diskutierten Themen auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit im Juni in Berlin: Ärzte und Pflegende beklagten, dass im Alltag meist nicht genügend Zeit bleibe. Man könne den Patienten nicht ausreichend erklären, welche Erkrankung sie haben, was sie bewirkt und wie man sie genau therapieren könnte. Insbesondere chronisch Kranke fielen nach der Diagnose häufig in ein Loch aus Verzweiflung und Mutlosigkeit. „In den ersten Monaten nach der Diagnose ging es mir sehr schlecht“, sagte Eva Maria Streppel, die als Betroffene auf dem Podium saß. 2003 war bei ihr nach einem jahrelangen Marathon durch Praxen Morbus Crohn festgestellt: „Kurz nach der Diagnosestellung habe ich in den ersten Wochen gar nicht realisieren können, um was für eine Krankheit es sich handelt. Zwar hatte das Kind jetzt einen Namen, aber zum Beispiel die Erkenntnis, dass dies eine chronische Krankheit ist, habe ich anfangs nicht wahrgenommen oder unbewusst ausgeblendet.“
Streppel fühlte sich von ihrem Arzt gut betreut, aber dennoch auf eine gewisse Art und Weise allein gelassen: „Da waren sehr viele Fragen zu Verhaltensweisen, der Ernährung, den Therapiemöglichkeiten und zu meinem Belastungslevel. Ich war nämlich von jetzt auf gleich nicht mehr belastbar.“ Nach einiger Zeit, wechselte das Scheuklappen-Gefühl zu einer hohen Wissbegier: „Ich wollte mich genau informieren. Was ist Morbus Crohn überhaupt? Was bedeutet das für mich? Wie finde ich einen Alltag, mit dem ich klarkomme?“ Im Internet habe sie die eine oder andere Information bekommen. „Aber dies war nicht nur hilfreich, sondern schürte auch neue Ängste“, so Streppel, „vor allem in den Foren kursieren alle möglichen Meinungen und Kommentare.“
Auch Ulla Ohlms, die 2000 an Brustkrebs erkrankte, war zu Anfang vollkommen perplex. Doch dann habe sie gehandelt: „Ich gehöre aber zu den Menschen die, sobald der erste Schock überwunden ist, anfangen, sich zu informieren. Es hilft, wenn man weiß mit wem und mit was man es zu tun hat.“ Ohlms besorgte sich Literatur aus Bibliotheken und besuchte Foren. Außerdem engagierte sich in einem Verein, indem sich andere Brustkrebspatientinnen austauschten. „Man kann sich mittlerweile im Internet gut informieren, und es ist nicht so schwer, gute Information von schlechter oder falscher zu unterscheiden“, äußert sie. Leider lassen sich gerade Frauen leicht von esoterischen Mitteln verführen: „Da gibt es Mistel-Präparate, Vitamin D und ich weiß nicht was. Ich versuche immer, andere mit realistischen, nüchternen und sachlichen Informationen zu versorgen, aber manchmal geht es ins Leere.“
Ähnlich erlebte es Streppel: „Nach einer gewissen Zeit kann man differenzieren, was eine gute und was eine weniger gute Quelle ist. Ich habe mir später teilweise medizinische Sachbücher gekauft, weil ich verstehen wollte, was die Erkrankung genau ist und was mit mir los ist.“ Heute gebe es gute Angebote im Internet. „Auf der einen Seite bieten sie ein gutes Portfolio an Informationen und an Informationsquellen“, so Streppel. „Zudem merkt man durch die Erfahrungsberichte von anderen Patienten, dass man nicht allein ist mit den Problemen und den Ängsten, die einen beschäftigen.“
Ohlms engagierte sich in der Brustkrebs-Organisation Mamazone und gründete mit der Stiftung Patients´ Tumor Bank of Hope (PATH) eine Biobank für frisches Tumorgewebe. Streppel rief auf Facebook den Verein „Chronisch Glücklich“ ins Leben und schreibt seit vielen Jahren einen Blog. Auf dieser Plattform teilt sie ihre Tipps und Informationen mit andere. „Wenn mir mein Arzt damals geraten hätte, auf welchen Webseiten ich mich umschauen könnte, hätte mir das sehr weitergeholfen“, reflektiert Streppel heute. „Ich will auch nicht alles auf den Arzt abwälzen, aber generell sollten wir schauen, dass jemand, der so einer Diagnose bekommt, von irgend einer Institution abgeholt wird.“
Auch Markus Wartenberg sprach auf den Podium im Interesse von Patienten. Seine Organisation „Lebenswerk“ betreut in den Indikationsgebieten Gastrointestinale Stroma-Tumore (GIST), Sarkomen und Nierenkrebs rund 4000 Patienten. „Wir müssen zu besseren Arzt-Patienten Gesprächen kommen. Sowohl Patienten als auch Ärzte beklagen, dass zu wenig Zeit für dieses Gespräch da ist“, sagt er. „Wir rechnen heute damit, dass zwanzig Prozent aller Krebsarten selten sind. Das bedeutet, dass in Deutschland jedes Jahr an die 100.000 Patienten durch das Gesundheitssystem irren auf der Suche nach Ärzten, die von dieser Erkrankung etwas verstehen, nach Informationen und Unterstützung.“ Manche Gesundheitssysteme anderer Länder seien bei der Übermittlung der Informationen an die Patienten viel besser aufgestellt als wir, findet Wartenberg. In Großbritannien oder in Kanada hätten Patientenvertreter im System einen ganz anderen Stellenwert. Sie seien stärker involviert in politische Prozesse und in der Forschung: „Damit sind natürlich auch ihre Interessen viel stärker vertreten.“