Lichen sclerosus, eine Entzündung des Bindegewebes, gilt als seltenes Leiden von Frauen jenseits der Menopause. Untersuchungen zeigen aber, dass Jungen häufiger betroffen sind als bisher angenommen. Auslöser für die inflammatorischen Vorgänge haben Forscher bis heute nicht gefunden, doch es gibt mehrere Verdachtsmomente.
Anfangs oft unentdeckt: Viele Leidensgeschichten beginnen mit einem unspezifischen Juckreiz und einem Erythem – Symptome, die eher auf eine Pilzerkrankung hindeuten und von Patientinnen meist in Eigenregie behandelt werden. Dahinter kann sich ein Lichen sclerosus (LS) verbergen.
Zufallsbefund
Begeben sich die Betroffenen zum Dermatologen oder zum Gynäkologen, fallen bei der Untersuchung vor allem weiße, porzellanartige Vernarbungen an der Vagina auf. Unbehandelt schrumpfen Schamlippen und Klitoris langfristig durch diese Atrophie. Engen sich dann noch Körperöffnungen ein, sind Schmerzen beim Stuhlgang, Wasserlassen oder beim Geschlechtsverkehr vorprogrammiert. LS ist jedoch nicht so selten wie angenommen: Möglicherweise erkrankt bis zu einem Prozent aller Frauen jeden Alters, etliche Patientinnen bleiben jedoch anfangs beschwerdefrei, so dass ihr Leiden zufällig bei Vorsorgeuntersuchungen entdeckt wird. Andere wiederum suchen aus falsch verstandener Scham den Weg in die Praxis viel zu spät. Eltern wiederum sollten auch bei ihrem Nachwuchs auf Anzeichen der LS achten.
Kinder, Kinder…
Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Relevanz des Leidens vor allem bei Jungen völlig unterschätzt wurde – LS kann zu einer Phimose führen. Deshalb sollte jede erworbene Vorhautverengung auch unter diesem Aspekt gesehen werden. Momentan operieren Kollegen meist, ohne eine histologische Untersuchung durchzuführen. Wird nicht hinreichend viel Gewebe entfernt, kann es zu Rezidiven sowie zum Befall der Harnröhre kommen.
Bei jungen Mädchen ist die Sache noch in anderer Hinsicht kritisch: Vom Erscheinungsbild her gleicht LS den Folgen eines Missbrauchs. Andererseits kann sexuelle Gewalt über den sogenannten isomorphen Effekt nach Stunden oder Tagen zu einem ähnlichen Bild führen – für Kollegen bedeutet das, mit Fingerspitzengefühl vorzugehen. LS verläuft im Gegensatz zu sonstigen Hautirritationen schubweise, was für eine Autoimmunerkrankung spricht, mit Hinweisen im Blutbild.
Kampf im Körper
Bereits früh häuften sich Anhaltspunkte auf eine Beteiligung des Immunsystems: Forscher wiesen bei 64 von 86 LS-Patienten im Blut eine Reaktivität gegen das extrazelluläre Matrixprotein (ECM1) nach, in der Kontrollgruppe waren lediglich sechs von 85 Proben positiv. Auf der Suche nach auslösenden Faktoren tappen Dermatologen nach wie vor im Dunkeln, konnten aber zumindest eine Komorbidität mit anderen Autoimmunerkrankungen nachweisen: Im Rahmen einer retrospektiven Analyse werteten Kollegen die Krankenakten von 82 Patienten aus, bei allen ließ sich LS durch Biopsien nachweisen. Fünfzehn Patienten hatten Schilddrüsenerkrankungen (vor allem eine Hashimoto-Thyreoiditis), sechs Diabetes mellitus Typ 1, fünf Asthma, und fünf litten unter anderen Autoimmunerkrankungen. Dazu gehören etwa Lupus erythematodes, Vitiligo, die Autoimmungastritis sowie der kreisrunde Haarausfall. In den Hautschichten fand man aber noch ganz andere Pathogene.
Die üblichen Verdächtigen
Infektionen mit dem humanen Papillomavirus (HPV) stehen im Mittelpunkt des Interesses. Entsprechend kontrovers wird die Frage diskutiert, ob LS an sich oder HPV in seltenen Fällen Plattenepithelkarzinome auslöst. Die interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Vulvakarzinoms bewertet LS als nicht infektionsassoziierten Risikofaktor. Mehrere Arbeiten schätzen die Wahrscheinlichkeit der Krebsentstehung bei Frauen auf unter fünf Prozent der Fälle ein, Männer sind sogar noch seltener betroffen. Die nächste Spur: Österreichische Dermatologen fanden in 38 von 60 LS-Biopsien Borrelien, vor allem während entzündlicher Krankheitsphasen. Sollten sich diese Befunde bekräftigen, wären alle LS-Therapien neu zu überdenken: Anstelle von antiviralen oder antibakteriellen Maßnahmen steht heute ausschließlich die Kontrolle der Entzündung im Fokus.
Schmieren, schmieren, schmieren
Bei Frauen lassen sich inflammatorische Prozesse momentan nur in Schach halten, aber nicht heilen. Als Goldstandard gelten dabei topische Kortikosteroide – zu Beginn eine Stoßtherapie etwa mit Clobetasolpropionat, dann eine Umstellung auf mildere Vertreter wie Hydrocortison. Zusätzlich stabilisieren Wasser-in-Öl-Cremes als Basispflege die Hautbarriere. Mechanische Beanspruchungen führen ansonsten schnell zu Rissen und ideale Eintrittspforten für Mikroorganismen entstehen.
Als zweite Wahl kommen Immunsuppressiva wie Tacrolimus oder Pimecrolimus zum Einsatz. In einer doppelblinden, randomisierten, kontrollierten Studie verglichen Forscher jetzt den Effekt von Clobetasol und Pimecrolimus. An der Untersuchung nahmen 38 Patientinnen teil, bei denen ein LS via Biopsie nachgewiesen worden war. Nach zwölf Wochen dann erste Resultate: Clobetasol wirkte sich positiver auf entzündliche Vorgänge aus, in beiden Gruppen verbesserten sich jedoch Juckreiz, Brennen oder Schmerzen nahezu vergleichbar. Aus den Daten folgerten die Autoren, sowohl Clobetasol als auch Pimecrolimus seien wirksam und für die LS-Therapie gut geeignet. Sie raten jedoch, an erster Stelle das Kortikoid einzusetzen, da sich Langzeiteffekte von topischen Imunsuppressiva in der Erhaltungstherapie beziehungsweise Prophylaxe noch nicht abschätzen ließen. Pimecrolimus und Tacrolimus hätten möglicherweise sogar einen Vorteil: Im Gegensatz zu Kortikoiden passieren sie die Haut vor allem durch nicht mehr intakte Regionen. Mit zunehmendem Heilungsprozess könnte auch die Resorption sinken, wird vermutet.
Beschnitten und vergessen
Sind Männer zu behandeln, so hilft die Pharmakotherapie primär recht wenig, und Kollegen greifen zum Skalpell. Ihre Erkenntnis: Durch korrekt ausgeführte Beschneidungen lassen sich in über 90 Prozent der Fälle Läsionen beheben, alternativ berichten Hautärzte von guten Folgen mit der Kryochirurgie. Allerdings treten ohne topische Prophylaxe vor allem an der Eichel beziehungsweise an der Harnröhre in bis zu 45 Prozent der Fälle Rezidive auf. Ganz klar: Ohne evidenzbasierte Kriterien wird es langfristig nicht funktionieren.
Leitlinie überfällig
Allein die Unterschiede bei der Therapie von Frauen und Männern sind eine Herausforderung für Gynäkologen, Pädiater und Chirurgen. Kollegen fordern deshalb seit geraumer Zeit, eine interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der LS zusammenzustellen - in Großbritannien bereits Standard.