Das Beenden der immer häufiger beanspruchten Beatmung bei Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose sollte dem Patientenwillen folgen. Doch fehlen Leitlinien zur Beendigung der Therapie. Eine retrospektive Untersuchung nähert sich an.
Die Ateminsuffizienz bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) ist das Symptom, das die Terminalphase der Erkrankung bestimmt. Fragen zur Art einer möglichen Beatmung müssen mit Patienten und deren Angehörigen geklärt werden. Ob invasiv oder nicht invasiv mit Maske beatmet, viele Patienten wünschen zu irgendeinem Zeitpunkt die Beendigung der Beatmung und damit die Beendigung lebensverlängernder Maßnahmen. In der ersten Märzwoche erreichte dies in der Berliner Charité zuletzt ein weiterer Patient.
Für viele Beteiligte ist das ein heikles Thema. Handelt sich um einen legitimen Wunsch und eine rechtliche Grauzone? Immerhin glauben 40 Prozent der onkologisch und palliativmedizinisch ausgebildeten Ärzte, die elektive Beendigung der Beatmungstherapie sei aktive Sterbehilfe, schreibt Professor Thomas Meyer der Ambulanz für ALS der Berliner Charité in der Zeitschrift Nervenarzt. Im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8.5.1991 heißt es: „Auch bei aussichtsloser Prognose darf Sterbehilfe nicht durch gezieltes Töten, sondern nur entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Parteiwillen durch die Nichteinleitung oder den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen geleistet werden“. Bleibt der verfügte Patientenwille unberücksichtigt und wird gegen den Patientenwillen beatmet, ist dies juristisch eine Körperverletzung. Die Rechtslage gestattet natürliches Sterben, unklar aber ist das Vorgehen.
Natürlich sterben – aber wie?
Denn es existieren keine offiziellen Empfehlungen oder Leitlinien. Einfach die Atmung unterbrechen – das geht natürlich nicht. Die palliative Pharmakotherapie dient der Symptomkontrolle. Thomas Meyer und Kollegen beschreiben in einer restrospektiven Studie dezidiert ihr Vorgehen bei der elektiven Beendigung der Beatmung von neun Patienten mit ALS im Alter zwischen 33 und 73 Jahren, die maschinell oder mechanisch beatmet wurden. Dabei zählten einheitliche Behandlungsgrundsätze. In die systematische klinische Auswertung der Daten gingen Prämedikation, Einleitung einer tiefen Sedierung, Unterbrechung der Beatmung und die anschließende Sterbephase ein.
Die Forscher unterscheiden zwei Modalitäten der medikamentösen Behandlung mit unterschiedlichen Zielen. Diese sind von der bestehenden Spontanatmung abhängig:
Die intensivierte Symptomkontrolle (IS) von Angst, Agitation und Dyspnoe ist mit Benzodiazepinen, Morphinsulfat sowie einer Sauerstoffgabe erreichbar. Vorrangiges Ziel ist nicht die sich ergebende Bewusstseinsminderung. Diese Behandlung wurde für Patienten mit Maskenbeatmung und verbliebener Spontanatmung bevorzugt und führt über die CO2-Retention zur Narkose, die das Entfernen der Beatmungsmaske zulässt.
Die tiefe Sedierung (TS) ebenfalls mit Benzodiazepinen und Morphinsulfat zielt auf den tiefen Bewusstseinverlust ab und ist bei Patienten mit fehlender oder minimal residueller Spontanatmung zu bevorzugen, da die Trennung von der Beatmung zur sofortigen Dyspnoe und Hypoxie führt. Eine primäre Narkoseeinleitung mit einem Bolus Morphinsulfat und die anschließende kontinuierliche Verabreichung über einen Perfusor bewahrt vor dem als inakzeptabel bewerteten erhaltenen Bewusstsein.
Art der Behandlung beeinflusst Sterbeverlauf
IS und TS beeinflussen den zeitlichen Verlauf der Endphase. Diese ist bei IS verlängert und betrug zwischen 22 und 28 Stunden. Die durchschnittliche Dosisrate von Morphinsulfat betrug 10mg/h, die Gesamtdosis 185 bis 380 mg. Patienten mit TS starben nach durchschnittlich 31 Minuten. Bolus und hohe Dosisrate ergaben eine mittlere Gesamtdosis des Morphinsulfat von 120 mg. Komplikationen oder schwerwiegende unerwünschte Ereignisse kamen nicht vor. Posthypoxische Myoklonien und Automatismen sind möglich und kamen bei zwei Patienten vor.
Das Konzept der Versorgung und der Todeseintritt fanden bei allen Angehörigen Übereinstimmung, auch wenn hierzu keine Daten erhoben wurden. Für die Zukunft wären kontrollierte Multivcenterstudien erforderlich, um vielen drängenden Fragen nachzugehen, so die Autoren. Nur so ließen sich evidenzbasierte Leitlinien der Palliativversorgung erarbeiten. Und diese werden immer dringender benötigt. Seit der Veröffentlichung der Studie wurden allein an der Berliner Charité 20 Patienten nach dem Konzept versorgt, so Meyer.
Beatmung – nicht unbedingt bis zum Ende
Dass sich viele Patienten gegen eine Beatmung entscheiden, liegt meist an der Angst vor Autonomie- und Kontrollverlust. Viele Patienten können ihre Lebensqualität durch eine Beatmung aber zunächst verbessern, was eine Untersuchung aus dem Deutschen Ärzteblatt belegen kann. Mit Informationen über die Möglichkeit der Beendigung einer Beatmungstherapie steigt der Anteil beatmeter Patienten, sodass die elektive Beendigung der Behandlung immer größere Bedeutung gewinnt.