Knapp 3 Millionen Tiere werden jährlich in Deutschland für Tierversuche in der Medizin benötigt. Moralisch von Gegnern abgelehnt, sind die Experimente wissenschaftlich bis dato unverzichtbar. Nanosensoren könnten hier in Zukunft Abhilfe leisten.
Vor wenigen Monaten entwickelte die Fraunhofer-Einrichtung für Modulare Festkörper-Technologien in München eine Ersatzmethode für Tierversuche. Neuartige Nanosensoren sind in der Lage die Wirksamkeit und das Risikopotenzial von Medikamenten zu prüfen. Die Nanosensoren zeigen über unterschiedlich fluoreszierende Signale die Aktivität von ATP und damit die Aktivität der Zellen an.
Dies kann unter anderem für Medikamententests nutzbar gemacht werden: Sterben die Zellen ab, wird das Signal rot und die Nanosensoren zeigen dadurch ein Risikopotenzial für menschliche Zellen. Handelt es sich bei den Zellen jedoch um Krebszellen, bedeutet das gleiche Signal ein Anschlagen des Medikaments, da die Tumormasse effektiv vermindert wird.
Tierversuche in der Geschichte
Tierversuche haben in der Medizin eine lange Tradition. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts nutzte der französische Physiologe Claude Bernard Versuchstiere, um die inneren Zusammenhänge des Menschen zu verstehen - damals ging man noch davon aus, dass sich die Erkenntnisse von Tieren direkt auf Menschen übertragen lassen. Damit sich die Tiere während der Vivisektion nicht bewegen konnten, ließ Claude Bernard diese an Brettern festschnallen und festnageln.
Dieses abschreckende Beispiel hat jedoch nicht dazu geführt, dass auf Tierversuche verzichtet wird. In den 1980er Jahren wurde durch den PETA-Mitbegründer Alex Pacheco die Tierquälerei im Labor von Edward Taub an Silver Spring Affen bekannt. Um die Reorganisationsfähigkeit des Gehirns zu beweisen, wurden den Affen Arme und Beine gebrochen und anschließend mit Elektroschocks Bewegungen stimuliert. Die Bilder gingen um die gesamte Welt und führten zu einem massiven Mitgliederzuwachs in Tierschutzorganisationen und zu neuen Gesetzgebungen. Doch bis heute steigt die Anzahl benötigter Tiere stetig an und alle Proteste scheinen nicht auszureichen.
Was spricht gegen Tierversuche?
In der emotionalen Diskussion um das Leben zahlloser Versuchstiere melden sich diverse Wissenschaftler, Tierliebhaber, Philosophen und selbst der Papst zu Wort. Doch neben ethischen Gesichtspunkten - über die sich streiten lässt - gibt es auch wissenschaftliche Argumente gegen Tierversuche. Die Aufzucht und Haltung der Tiere ist sehr teuer und zeitintensiv, Experimente an einzelnen Zellkulturen gehen dagegen erheblich schneller und einfacher. Weiterhin stellen Tiere kein Abbild des Menschen dar.
Obwohl sich Claude Bernard das gerne gewünscht hätte, ist die Übertragung von Ergebnissen aus Tierversuchen auf Menschen schwierig. Die Konzeption der meisten Studien ist fehlerbehaftet: Da weibliche Tiere durch den Zyklus schwerer in der Handhabung sind, werden vor allem männliche eingesetzt. Daher haben Frauen bei vielen Medikamenten häufig stärkere Nebenwirkungen und eine schwächere Wirkung. Außerdem werden die Versuchstiere meist überfüttert und sind dadurch zu dick - das ist (noch) kein Abbild unserer Gesellschaft.
Tierversuche - der Goldstandard
Tierversuche sind zur Zeit der Goldstandard. Keine Methode, auch Computermodelle oder Zellexperimente nicht, kann den komplexen menschlichen Körper so gut simulieren. Zum Beispiel die De- und Aktivierung von Stoffen durch die Leber kann erst im Tierexperiment annähernd erkannt werden. Darüber hinaus: Es ist immer noch besser die ersten Versuche an Tieren und nicht an Menschen zu machen.
Organisationen, die Tierversuche unterstützen, wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, führen an, dass zahlreiche Erkenntnisse der modernen Medizin erst durch Tierexperimente ermöglicht wurden. In der Chirurgie z.B. können neue Techniken und OP-Methoden an Tieren geübt werden. Insulin als Medikament für Diabetes wurde durch die Versuche an Tieren entdeckt. Zahllose Impfseren würden ohne Tierexperimente nicht existieren.
Die Zukunft ändert sich trotzdem. Gerade neue Entdeckungen, wie die der Nanosensoren als Zellsignale, werden Tierversuche auf vielen Einsatzgebieten zurückdrängen - vor allem weil Tierversuche sehr teuer sind. Der Weg dorthin ist jedoch noch lang. Bis Ersatzmethoden zugelassen werden, dauert es meist zehn Jahre, es kostet viel Geld und Nerven. Bis dahin dürfen wir also noch fleißig in Doktorarbeiten Mäuse kastrieren, operieren und sezieren.