Biegsame Sensoren spielen nicht nur in der Elektronik eine große Rolle, sondern passen sich auch den Formen des menschlichen Körpers an. Sie registrieren auch Gehirnströme feiner als jemals zuvor. Erste in-vivo-Versuche lieferten nicht erwartete Ergebnisse.
Bei der Aufzeichnung von Gehirnströmen hat sich seit der Erfindung der Elektroenzephalographie nicht sehr viel geändert. Elektroden über den Kopf verteilt, zeichnen ein grobes Bild. Wer es feiner haben will, dem bleibt kaum etwas anderes übrig, als unter die Schädeldecke zu gehen und dort mit dünnen Nadeln die elektrische Aktivität abzuleiten. Wollte man aber mit einer Elektrode eine Fläche von 1 cm2 abdecken, so misst man die Aktivität von rund 12 Millionen Nervenzellen.
Bisher unerreichte Auflösung
Ein „Technical Report“ in „Nature Neuroscience“ vom November 2011 zeigt nun eine Möglichkeit auf, zu deutlich besseren Ergebnissen zu kommen und damit eine viel genauere elektrische Landkarte des Gehirns zu erstellen. Brian Litt von der University of Pennsylvania und Hauptautor der Publikation, beschreibt die Vorteile: Die Messungen „erlauben uns, große Teile des Gehirns gleichzeitig zu sehen. Eine solche Auflösung gab es bisher nicht.“
Nur wenn der Abstand der Messpunkte unter einem Millimetermeter liegt, lassen sich wirklich scharfe Bilder von Raum und Zeit der Signale bei gesprochenen Worten, Befehlen an Muskeln oder zur Quelle der Entladungen bei Epilepsiepatienten gewinnen. Die Neuentwicklung ist ein flexible Matte von einigen Quadratzentimetern Größe, auf der hunderte von biegsamen Mikroelektroden mitsamt den entsprechenden Schaltkreisen sitzen.
Kuscheln mit dem Kortex
Die implantierbare Messstation entstand aus einer Zusammenarbeit von Neurologen und Elektrotechnikern von der University of Illinois, die sich nicht mehr mit starren dicken Platinen abfinden wollten. Die extrem dünne Membran von rund 0,3 Millimetern Dicke hat nun den Vorteil, dass sie sich an alle Unebenheiten des Gewebes anschmiegt. Sie passt damit auch in Fissuren und Sulci der Gehirnrinde und kann dort den Stromfluss abgreifen. Zudem entfällt die Gefahr von Verletzungen, wenn die Elektroden nur aufliegen, anstatt wie die zuweilen verwendeten Nadeln in das Gewebe hineinzuragen.
Die elastische Leiterplatte auf Polyimid-Basis hatte bereits vorher erste medizinische Prüfungen bestanden. Wissenschaftler registrierten damit den Stromfluss im Herz und anderen Muskeln. Zumindest im Tierversuch war die neue Technik nun auch im Gehirn erfolgreich. Platziert auf der Oberfläche des visuellen Kortex oder in der Fissur zwischen beiden Hemisphären, gelangen Messungen im Katzengehirn, die bisher nicht möglich waren.
Epilepsie ähnelt Herzrhythmusstörungen
Schlafspindeln sind kurzzeitige Wellen, die während des Schlafs entstehen, anscheinend über die die Gehirnoberfläche verteilt sind und wahrscheinlich mit der Verarbeitung und Konsolidierung von Erinnerungen zu tun haben. Die Messung dieser Aktivität bei den Tieren unter Anästhesie zeigt deutlich, dass diese Ausbrüche entgegen bisherigen Annahmen auf einen kleinen Bereich beschränkt und synchronisiert sind.
Picrotoxin löst bei Tieren Krampfanfälle aus, die jenen von Epileptikern ähneln. Auch bei diesem Modell sahen Brian Litt und seine Kollegen Erstaunliches: Die Wellen der elektrischen Entladungen pflanzten sich spiralförmig über die Gehirnoberfläche fort. In vivo wurde so etwas bisher nicht beobachtet. Die feine Auflösung des Sensors zeigte auch in diesem Modell, dass die Ursache der Krampfanfälle nicht großflächig verteilt ist, sondern von sehr kleinen Spots ausgeht. Die Wissenschaftler registrierten zudem überrascht, wie sehr sich die Muster dieser Messungen und jenen von Patienten mit Herzrhythmusstörungen ähnelten.
NeuroCare: Karbon im Kopf
Die Apparatur „ist nicht nur ein Werkzeug für Forscher, sondern ganz klar für die klinische Anwendung gedacht", sagt Entwickler John Rogers. Die Sensormatte dürfte in der Klinik den Neurochirurgen die Ortung der betroffenen Regionen im Gehirn von Epilepsiepatienten deutlich leichter machen. Möglicherweise, so spekuliert das Team, könnte man sowohl im Herz als auch im Gehirn solche ungewollten Entladungen auch stoppen. Das Implantat würde dann entsprechende gegenläufige Wellen ins Gewebe schicken, um die Eruptionen auszulöschen. Die nächste Gerätegeneration soll daher nicht nur Potentialveränderungen aufzeichnen, sondern auch induzieren. Vielleicht, so die etwas entferntere Zukunftsvision, ließen sich damit auch Wahrnehmungsstörungen im Gehirn aufspüren und dann gleich korrigieren - mit elektronisch gesteuerten Stromstößen.
Allerdings sind Rogers und Litt nicht die einzigen, die flexible Leiterplatten mit ultrahoher Auflösung für die Neurologie entwickeln. Vor einigen Tagen gab das Forschungszentrum Jülich den Start des europäischen Projekts „NeuroCare“ bekannt. Die Partner setzen dabei auf das Material Karbon. Es lässt sich kostengünstig herstellen und ist biologisch inert. „An den Bio-Interfaces treten auch weniger Probleme mit Biofouling - also Verkeimen - auf“, beschreibt Andreas Offenhäusser vom FZ Jülich die Materialeigenschaften. In den nächsten drei Jahren sollen entsprechend dem Projektplan Prototypen für elektronische Implantate im Auge, Ohr und Gehirn entstehen. In etwa zehn Jahren könnte dann auch der Patient davon profitieren.