Auch heute noch erkranken weltweit fast neun Millionen Menschen pro Jahr neu an Tuberkulose. Dabei werden Resistenzen immer häufiger zum Problem, aber es bleibt auch so manche TBC lange unentdeckt – vor allem in den westlichen Ländern.
München, Frühsommer 2011: In einer Vorschule infizierten sich zwölf Kinder mit Tuberkulose (TBC), sie hatten sich bei ihrer Erzieherin angesteckt. Diese war bereits seit Monaten in ärztlicher Behandlung, wegen Nachtschweiß, Husten und allgemeiner Erschöpfung. Nach kurzer Krankheit, Verdachtsdiagnose Pfeiffer´sches Drüsenfieber, kehrte die Kindergärtnerin wieder an ihren Arbeitsplatz zurück – und steckte unwissentlich einige der Kleinen an. Bei den beschriebenen Symptomen denkt heute kaum ein Kollege an TBC. Das unbekannte Leiden Eigentlich eine gute Nachricht: In Deutschland sinkt die Zahl an Patienten immer weiter, vom Robert Koch-Institut wurden bundesweit nur noch knapp 5.000 Erkrankungen und rund 150 Todesfälle dokumentiert, Tendenz sinkend. TBC wurde damit zur seltenen Erkrankung, und so mag es nicht verwundern, dass bei Hausärzten auch das entsprechende Wissen verschwindet. Eine Umfrage des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) brachte eklatante Wissenslücken bei Diagnostik, Therapie und Meldeverfahren zu Tage – den meisten Kollegen fehlen heute schlicht und ergreifend entsprechende Erfahrungen. Risikogruppen im Fokus Viele Menschen kommen zwar im Laufe des Lebens mit Tuberkulose-Erregern in Kontakt, ihr Körper kann den Infekt jedoch abwehren. Hier scheinen spezielle Makrophagen eine zentrale Rolle zu spielen, die sich durch eine flexible Immunerkennung auszeichnen. Risikogruppen mit Immundefiziten, etwa HIV-Patienten, sind aber nach wie vor besonders exponiert. Auch Diabetes verdoppelt die Gefahr einer TBC-Erkrankung, wie Forscher kürzlich in Schwellenländern nachweisen konnten, weitere Untersuchungen müssen die Relevanz der Daten für Industrienationen klären. Eine andere Studie befasste sich mit dem Risiko bei Schwangeren beziehungsweise bei Frauen nach der Geburt. Auch hier stieg die Zahl an TBC-Fällen von 9,1 auf 15,4 pro 100.000 Personenjahre. Pneumologen raten deshalb, bei unklarem Husten auch Tuberkulose in Betracht zu ziehen, doch ohne eine exakte Diagnose wird das schwierig. Immunologische Spuren Die altbekannten Tuberkulin-Hauttests liefern keine befriedigenden Ergebnisse, vor allem irritieren falsch-positive Reaktionen infolge früherer BCG-Impfungen. Andererseits lassen sich Mykobakterien in Gewebeproben oder im Sputum nur recht mühsam nachweisen. Erfolg versprechender sind schon bildgebende Verfahren, allen voran das Röntgen, sowie immunologische Methoden. Beim Interferon-Gamma-Release-Assay (IGRA) werden im Labor Immunzellen aus einer Blutprobe mit Antigenen von Tuberkulose-Bakterien versetzt. Sollte der Patient bereits mit Erregern in Kontakt gekommen sein, entsteht der Botenstoff Interferon-Gamma in verstärktem Maße. Allerdings sind Sensitivität und Spezifität jenseits des Hightech-Forschungsinstituts noch nicht gut genug. Die Methode hat auch ihre Grenzen, wie spanische Wissenschaftler jetzt zeigen konnten. Im Rahmen einer Metaanalyse fanden Sie für IGRAs bei HIV-Patienten keine hinlänglich genauen Ergebnisse. Hier sind T-Spot-TB-Tests weitaus besser geeignet, das Verfahren detektiert spezifische Antigene des Mykobakteriums. Für Reihenuntersuchungen erweisen sich die Messmethoden aber als unbrauchbar. Genchips und elektronische Nasen Dementsprechend groß ist das Interesse der wissenschaftlichen Welt an einem kürzlich entwickelten genetischen Schnelltest. Im Gegensatz zu IRGAs oder T-Spot-TB-Tests liefert dieser bereits in kurzer Zeit brauchbare Ergebnisse und detektiert ebenfalls mögliche Resistenzen. Eine Untersuchung soll mit nur 17 Dollar zu Buche schlagen, weniger als bei Zellkulturen. Allerdings sind für die Hardware rund 17.000 Dollar fällig, was für Entwicklungsländer nur mit Fördergeldern zu stemmen ist. Andere Forschergruppen setzen eher auf den Nachweis spezieller Biomarker in der Atemluft von TBC-Patienten. Nach ersten viel versprechenden Resultaten könnte der Prototyp eines tragbaren Detektors bereits Ende 2013 im Feldversuch getestet werden. Doch lösen diese Innovationen nicht alle Sorgen der Ärzte – die Behandlung ist nicht ohne. Kummer mit der Compliance In den letzten Jahrzehnten hat sich die Standardtherapie kaum verändert – immer noch müssen Patienten über mehrere Monate Arzneistoffe wie Ethambutol, Isoniazid, Pyrazinamid, Streptomycin oder Rifampicin einnehmen. Probleme macht vor allem die schlechte Compliance, da sich Menschen mit TBC oft nicht sonderlich krank fühlen, unter der Medikation aber zahlreiche Nebenwirkungen auftreten. Vor Therapiebeginn ist deshalb eine verständliche Beratung über die Grundprinzipien des Leidens sowie über unerwünschte Arzneimittelwirkungen dringend erforderlich. Ansonsten geht der Schuss schnell nach hinten los: Experten des Robert Koch-Instituts finden als Folge mangelnder Therapietreue oder zu niedriger Dosierung immer häufiger multiresistente Erreger, bei denen Isoniazid und Rifampicin, also die beiden wichtigsten Arzneistoffe, wirkungslos bleiben (multidrug-resistant tuberculosis, MDR-TBC). Sorgenkind Multiresistenz Sollten sich im Labor Resistenzen nachweisen lassen, hilft nur ein Griff in die chemische Trickkiste. Zur Verfügung stehen dabei Reservesubstanzen wie Aminoglycoside, Fluorchinolone sowie Cycloserin beziehungsweise 4-Aminosalicylsäure, mittlerweile rät die DZK jedoch von Ciprofloxacin und Ofloxacin ab. Als Ultima Ratio kann hingegen – wie zu Ferdinand Sauerbruchs Zeiten – die Entfernung eines Lungenlappens oder eines kompletten Lungenflügels helfen. Bei extrem widerstandsfähigen XDR-Stämmen (extensively drug resistant tuberculosis) versagen auch Therapeutika der zweiten Wahl sowie mindestens ein Antibiotikum zur intravenösen Gabe. Entsprechende Bakterien isolierten Wissenschaftler kürzlich im indischen Mumbai. Leider kein Einzelfall: Bereits 2007 berichtete das italienische WHO Collaborating Centre for TB and Lung Diseases von superresistenten TBC-Bakterien. Hier helfen nur neue Wirkstoffe oder Impfungen. Innovationen aus der Pipeline Wie der Verband forschender Arzneimittelhersteller jetzt berichtete, befinden sich nach einer jahrzehntelangen Durststrecke etliche neue Wirkstoffe gegen TBC in der Entwicklung. Die erfolgreichsten Kandidaten sind Delamanid, hier läuft das Zulassungsverfahren, sowie Bedaquilin, SQ 109, Sudoterb und Sutezolid, bei denen verschiedene Phase II-Studien in Arbeit sind. Für Moxifloxacin rechnet die Industrie bald mit einer Zulassungserweiterung, und Rifapentin darf in den USA schon heute bei TBC eingesetzt werden. Andere Konsortien widmen sich verstärkt dem Thema Impfschutz. Während Ärzte von BCG-Lebendimpfstoffen, also abgeschwächte Mykobakterien-Stämme, längst abgekommen sind, befinden sich momentan mehrere viel versprechenden Kandidaten in Phase I- und Phase II-Studien. Die Vakzine enthalten dabei rekombinante TBC-Proteine sowie ein Adjuvans. Tierversuche hatten den Seren bereits im Vorfeld gute Eigenschaften bescheinigt, die Immunisierung half sowohl gegen Neuinfektionen als auch gegen die Reaktivierung von TBC im Körper.