Bedürftige Patienten liegen dem Apotheker Dr. Peter Sandmann aus München besonders am Herzen. Anstatt auf Initiativen des Gesetzgebers zu warten, hat er zusammen mit Kollegen ein Projekt zur Medikamentenhilfe initiiert, um sozial schwache Bürger mit preisgünstigen OTCs zu versorgen.
Die ältere Dame, sie hat ihr Leben lang als Verkäuferin gearbeitet, ist Stammkundin. Nach Schicksalsschlägen wie einer Scheidung und bald darauf einer Krebserkrankung muss sie mit einer schmalen Rente und 384 Euro ergänzende Grundsicherung auskommen. Sie bräuchte dringend Nahrungsergänzungsmittel, finanziell gibt es aber keinen Spielraum mehr in ihrem Portemonnaie. Oder ein Mann mittleren Alters aus dem Männerwohnheim, der seinen Job in der Gastronomie und damit auch seine Unterkunft verloren hat, erkrankt an einem starken grippalen Infekt. Analgetika, schleimlösende Medikamente oder Nasensprays – mit knapp 350 Euro monatlich, sprich dem Regelsatz abzüglich einer Energiekostenpauschale, kommt er nicht weit.
An der Apotheke führt kein Weg vorbei
Zwei Schicksale aus dem täglichen Kundenstamm der Apotheke – aber mit Sicherheit keine Einzelfälle: Immer mehr Menschen sind auf staatliche Leistungen wie Arbeitslosengeld oder „Hartz IV“ angewiesen. Zwar erhalten sie für Rx-Präparate eine Befreiung von der Zuzahlung, das ist aber nur die halbe Miete: OTCs, darunter befinden sich etliche wirksame Medikamente, die aus ökonomischen Gründen nicht mehr verschreibungspflichtig sind, bekommen sozial schlecht gestellte Menschen nicht erstattet, was schnell zum Problem werden kann. Jetzt schließen Apotheker diese Versorgungslücken – „wir möchten nicht, dass Sie aus Kostengründen auf den Gang in die Apotheke verzichten“, sagt Dr. Peter Sandmann, Inhaber der Nauplia-Apotheke, München. „Damit Sie sich auch Medikamente leisten können, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, haben wir das Projekt „Medikamentenhilfe München“ ins Leben gerufen“.
Sandmann erinnert sich noch gut: „Der Anstoß kam dabei von der Bayerischen Landesapothekerkammer“. Zusammen mit Kollegen, mit der ökumenischen Krisen- und Lebensberatung „Münchner Insel“, dem Referat für Gesundheit und Umwelt, der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns und der Wohnungslosenhilfe ging es an den Start. „Meine Apotheke war von Beginn an mit dabei, auch bei den Verhandlungen zum Nachlass.“
Positive Resonanz der Kollegen
Als Nachweis der Bedürftigkeit müssen Patienten erst einmal den München-Pass beantragen. Dieses Dokument bekommen Bezieher von Hilfen zum Lebensunterhalt, ansonsten Personen mit geringem Einkommen, Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerbergesetz, Wohnungslose sowie Teilnehmer am freiwilligen ökologischen Jahr beziehungsweise am Bundesfreiwilligendienst. Sandmann: „Für München und das Umland sind damit schätzungsweise knapp 100.000 Personen anspruchsberechtigt.“ In der Arztpraxis erhalten diese für OTCs ein grünes Rezept, alternativ kommt natürlich auch ein Privatrezept infrage. „Das Projekt soll bedürftigen Menschen die Möglichkeit geben, sich wichtige Medikamente, die nicht mehr von den Kassen übernommen werden, leisten zu können. Daher beschränkt sich die Aktion auf vom Arzt für wichtig erachtete Medikamente“, erklärt der Apotheker. Nur so können Auswüchse gegebenenfalls im Keim erstickt werden.
Mit dem Rezept und dem München-Pass geht es in teilnehmende Apotheken – mittlerweile eine lange Liste im ganzen Stadtgebiet - die wohnortnahe Versorgung ist auch hier eine treibende Kraft hinter dem Modell. Apotheker wiederum nehmen freiwillig an der „Medikamentenhilfe München“ teil. Peter Sandmann war selbst von der positiven Resonanz vieler Kollegen überrascht, und immer mehr Bürger nutzen die Möglichkeit, OTCs vergünstigt zu bekommen.
Medikamente für sozial Schwache
Die Angebote zeichnen sich vor allem durch ihre Niedrigschwelligkeit aus. „In meine Apotheke kommen überraschend viele Patienten mit „München-Pass“ und „grünem Rezept“, berichtet Sandmann, im Schnitt seien es fünf bis zehn pro Tag. „Wir konnten zuerst gar nicht glauben, wer alles den München-Pass hat.“ Natürlich spiegelt sich hier auch das soziale Umfeld einer jeden Apotheke wider. „Selbstverständlich ist aber der Anteil älterer Menschen höher, wie es ihrem Anteil am normalen Patientenstamm entspricht.“
Kunden erhalten 20 Prozent Nachlass auf die grünen Rezepte soweit auf Produkte, die nicht verschreibungspflichtig sind. Auf den ersten Blick mag die Ersparnis beispielsweise bei Schnupfensprays, Hustentropfen oder einem ASS-Analgetika gering erscheinen. „Für Menschen, die am Existenzminimum leben, sind aber oft schon Cent-Beträge entscheidend.“ Dennoch bleibt die Höhe des Rabattes allen teilnehmenden Apotheken überlassen, im Schnitt sind es 20 Prozent. Sandmann: „Ein Gewinn ist hier nicht drin, aber das ist ja auch nicht Sinn der Sache. Wir wollen lediglich, dass unter dem Projekt betriebswirtschaftlich eine schwarze Null steht.“
Bundesweite Initiativen statt regionaler Projekte?
Dennoch fordert Peter Sandmann auch Lösungen, von denen alle Bedürftigen profitieren, bundesweit und ohne große Hürden: „Eine Absenkung oder gar der Wegfall der Umsatzsteuer würde vielen den Zugang zu sinnvollen Medikamenten aus der Apotheke erleichtern.“ Deutschland zählt nach wie vor zu den EU-Spitzenreitern bei der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, berichtet die ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Nur Dänemark (25 Prozent) und Bulgarien (20 Prozent) toppten im Steuerjahr 2011 die hiesigen Verhältnisse. Während Rx-Präparate oder erstattungsfähige Medikamente mittlerweile in etlichen Ländern einem verminderten Mehrwertsteuersatz unterliegen oder sogar völlig von dieser Abgabe freigestellt sind, hält die Bundesregierung an ihren 19 Prozent fest. In anderen Bereichen begnügt sich Wolfgang Schäubles Ministerium mit dem ermäßigten Satz von sieben Prozent, Stichwort Hotelübernachtungen. Warum nicht bei Arzneimitteln – eine Forderung, die mittlerweile auch Vertreter der Krankenkassen teilen, denn Medikamenteninitiativen gibt es schließlich nicht überall. Mittlerweile wirbt auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen massiv für eine Absenkung der Mehrwertsteuer, und zwar nicht ganz uneigennützig: Damit ließen sich mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Unterstützung kommt sowohl von der Apothekerschaft als auch von anderen Verbänden.
Doch zurück nach München: Das regionale Projekt ist zunächst auf ein Jahr befristet und soll anschließend evaluiert werden. An dem Erfolg zweifelt unter den teilnehmenden Apothekern aber niemand.