Wie lassen sich medizinische Daten möglichst anschaulich visualisieren? Ein Schweizer Start-up hat sich für ein virtuelles 3D-Modell des menschlichen Körpers entschieden. Ob Patientenakten, Studienergebnisse oder Nebenwirkungen: Der Avatar schlüpft in alle Rollen.
Manchmal durchlaufen Ideen merkwürdige Karrieren. Vor einigen Jahren, als der Konzern IBM mit Verve ins Gesundheitswesen drängte, da brüteten einige innovative Mitarbeiter über neuen Formen der Visualisierung von medizinischen Informationen. Eine der Ideen war, einen 3D-Avatar zu programmieren, der Daten aus elektronischen Patientenakten am virtuellen menschlichen Körper zusammenführt. Statt sich durch lange Listen von Befunden zu klicken, könnte sich der Arzt im Krankenhaus, so die Idee, einfach anhand eines 3D-Modells durch die Patientenaktendaten zappen.
Von der Patientenakte zur Arzneimittelnebenwirkung
Das klingt erst einmal ganz spannend. Doch bei genauerem Hinsehen stellen sich so einige Fragen, die dann auch für die weitere Karriere des IBM-Avatars relevant wurden. Tatsächlich wurde die landesweite elektronische Patientenakte in Dänemark mit dem Avatar-Interface ausgestattet und arbeitet damit heute noch. Es stellte sich allerdings – wenig überraschend – heraus, dass Ärzte eine solche Hilfe eigentlich nicht wirklich benötigen, weil sie üblicherweise wissen, was sie in einer Akte suchen. Irgendwann beschloss IBM dann, dass diese Art der Visualisierung medizinischer Daten zwar interessant ist, aber letztlich nicht zum Kerngeschäft gehört. Vor drei Jahren wurde ein Startup ausgegliedert, das Unternehmen Nhumi Technologies mit Sitz in Zürich.
Zehn Mitarbeiter haben das Avatar-Projekt seither in eine etwas andere Richtung weiter voran getrieben. „Was wir festgestellt haben ist, dass es seitens der Pharmaindustrie ein relativ großes Bedürfnis gab, Daten aus klinischen Studien anschaulich darzustellen“, erläuterte Nhumi-Geschäftsführer Andre Elisseeff im Gespräch mit DocCheck. Der Avatar wurde deswegen umprogrammiert. Er kann jetzt für Kunden aus der pharmazeutischen Industrie aggregierte Patientendaten darstellen, die direkt aus den Datenbanken der klinischen Studien eingefüttert werden. Dabei geht es in erster Linie um Studienergebnisse. Es wurde aber im Rahmen der Pharmaprojekte relativ schnell deutlich, dass es genauso gut möglich war, unerwünschte Ergebnisse, sprich Nebenwirkungen, auf das 3D-Modell der menschlichen Anatomie zu „mappen“.
Bei Aspirin sieht das Duodenum rot
Und in diesem Zusammenhang lernten die Schweizer dann die FDA-Datenbank für Arzneimittelnebenwirkungen kennen. Dort sammelt die FDA – ähnlich wie die deutschen Behörden – alle gemeldeten oder in Studien und Registern aufgetretenen UAW. Diese Datenbank sind, anders als in Deutschland, öffentlich zugänglich. Das Unternehmen Nhumi hat sie jetzt als Grundlage für einen für jeden Interessierten nutzbaren Prototypen seines Avatars herangezogen. Mit dem Tool Nhumi Drug Safety - hier der Link zur aktuellen Betaversion - können Nutzer jeden beliebigen Wirkstoff anhand der Daten aus der FDA-Datenbank auf Nebenwirkungen „abklopfen“. Und diese Informationen werden nicht einfach aufgelistet, sondern, in Abhängigkeit von dem Organ, in dem sie auftreten, auf einen 3D-Avatar projiziert.
Dadurch entsteht eine völlig neue Art der Darstellung von klinisch relevanten Informationen, die sonst oft sehr viel schwerer zu erfassen sind. Wer beispielsweise nach „Aspirin“ sucht, der sieht, wenn er auf dem UAW-Datenblatt den „Safety“-Reiter oben rechts anklickt, einen menschlichen Körper, der um die eigene Achse rotiert werden kann und der ein ziemlich rotes Duodenum zeigt. Hier vor allem treten Aspirin-Nebenwirkungen auf. Der Magen ist eher grünlich, ähnlich wie die Nasenscheidewand. Beides sind typische Orte für Aspirin-Nebenwirkungen, die relativ häufig, aber eben nicht gar so häufig wie die Duodenalulzera auftreten. Einige andere Organe sind deutlich dezenter eingefärbt. Das alles ist sehr anschaulich und – anders als ein Beipackzettel – auf einen Blick erfassbar.
Auch andere Daten lassen sich mappen
Ob aus dem Nebenwirkungs-Avatar ein eigenes Produkt wird, ist derzeit noch offen. „Die Nebenwirkungen sind für uns vor allem ein Showcase, mit dem wir gut zeigen können, was die Avatar- Technologie leisten kann“, so Elisseeff. Medizinische Daten verständlich im Internet darstellen ist der gemeinsame Nenner. Eines der beiden kommerziell verfügbaren Produkte von Nhumi ist entsprechend ein Avatar für Patientenportale. Damit können Nebenwirkungen, aber auch beispielsweise Symptome visualisiert werden. Eine arabische Variante eines Healthcare-Wikis nutzt den Nhumi-Avatar für die interaktive Illustration von medizinischen Einträgen.
Doch auch den professionellen Kunden behalten die Schweizer im Blick. Am Universitätsspital Zürich soll in Kürze ein Avatar freigeschaltet werden, der es zuweisenden Ärzten erlaubt, anhand eines menschlichen 3D-Modelles medizinische Bilddaten aus dem Krankenhaus abzurufen. Röntgenbilder, Pathologiebefunde oder EKG-Daten werden auf die entsprechenden Körperregionen gemappt und dem zuweisenden Arzt, der sich über ein Browser einwählt, grafisch anhand eines Avatars dargeboten. So ganz vom Krankenhaus verabschiedet hat man sich also doch noch nicht…