Welche Therapie ist ideal für Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit? Diese Frage beschäftigt Kardiologen seit Jahren. Neue Studien sehen bei stabilen Erkrankungen keinen Vorteil für Stents, während Arzneimittel oder Bypass-OPs zu Unrecht im Abseits stehen.
Volkskrankheit Arteriosklerose: Ablagerungen in den Schlagadern verringern deren Lumen immer weiter. Als Revaskularisationstherapie greifen Kardiologen oft zur perkutanen Koronarinterventionen (PCI), gegebenenfalls inklusive Stentimplantation, oder sie legen einen Bypass. Dem steht ein Arsenal pharmazeutischer Möglichkeiten zur Therapie und Prophylaxe gegenüber, etwa Nitrate, Betablocker, Calcium-Antagonisten, Thrombozytenaggregationshemmer oder Cholesterinsenker. Trotz des breiten Methodenspektrums ist in den letzten Jahren die Zahl PCI um rund 30 Prozent angestiegen, während 27 Prozent weniger Herzoperationen, etwa Bypässe, durchgeführt worden sind - wirklich eine sinnvolle Tendenz?
Katheter oder Bypass, das ist hier die Frage
Bereits vor fünf Jahren zeigte ein Fachartikel im „New England Journal of Medicine“, dass Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) von einer PCI nicht profitieren. Dem folgten kontroverse Debatten über die Daten – Befürworter und Gegner der interventionellen Therapie verteidigten leidenschaftlich ihre Position und forderten neue Untersuchungen. Beispielsweise sollte die „FAME II“-Studie einen möglichen Nutzen herzkathetergestützter Behandlungen eingeengter oder verschlossener Herzkranzgefäße zeigen. Im Gegensatz zu älteren Arbeiten setzten Kardiologen zur Diagnose jedoch keine Angiographien ein. Vielmehr bestimmten sie die fraktionelle Flussreserve (FFR), eine Größe, die über Druckunterschiede genauere Aussagen zur Therapiebedürftigkeit von Stenosen erlaubt. Ihre Resultate: Verglichen mit der medikamentösen Therapie waren im PCI-Studienarm signifikant weniger Klinikaufenthalte zur Revaskularisierung nötig. Mittlerweile hat St. Jude Medical, ein weltweiter Dienstleister im medizinischen Sektor, deshalb sogar mitgeteilt, keine weiteren Patienten mehr in diese Untersuchung aufzunehmen. Trotzdem ist nicht alles eitel Sonnenschein: Wie Forscher im Rahmen der SYNTAX-Studie nachweisen konnten, profitieren Patienten langfristig von einer modernen Bypass-OP weitaus mehr als von einer PCI - je länger der Eingriff zurückliegt, desto deutlicher werden die Unterschiede. Bei der Implantation von Stents sieht die Sachlage wieder anders aus.
Teuer und ohne Mehrwert
Sollten Patienten an einer stabilen koronaren Herzkrankheit leiden, so haben Stents gegenüber der optimalen Pharmakotherapie keinen Vorteil. Das hat eine kürzlich veröffentlichte Metaanalyse ergeben. Während ältere Arbeiten Implantaten einen Mehrwert bescheinigten, kamen Kathleen Stergiopoulos und David L. Brown vom Stony Brook University Medical Center, New York, jetzt zu einem anderen Resultat. Sie nahmen dazu prospektive, randomisierte Studien unter die Lupe, acht Untersuchungen mit insgesamt 7229 Patienten erfüllten ihre Kriterien. Nach durchschnittlich 4,3 Jahren fanden die Autoren erstaunliche Resultate: In der Stentgruppe verstarben 8,9 Prozent aller Patienten (unter Arzneimitteln 9,1 Prozent), und 8,9 Prozent erlitten einen Myokardinfarkt (unter Arzneimitteln 8,1 Prozent). Eine Revaskulisation mussten hingegen 21,7 Prozent der Stent-Patienten (unter Arzneimitteln 30,7 Prozent) über sich ergehen lassen. David L. Brown zieht daraus das Fazit, Patienten mit stabiler KHK hätten von einer initialen Stent-Implantationen im Vergleich zur Arzneimitteltherapie keinerlei Nutzen.
Milliarden verschleudert
Die Metaanalyse wirft jedoch weitere Fragen auf: Haben Kardiologen in den letzten Monaten und Jahren Unsummen durch überflüssige Implantate in den Sand gesetzt? Laut William E. Boden, Albany, New York, würden allein in den USA mehr als eine Million Stents pro Jahr eingesetzt, allerdings sei nur jeder zweite Patient zuvor mit Medikamenten behandelt worden. Unter dem Strich macht das gesundheitsökonomisch etwa sechs bis acht Milliarden Dollar aus, die sich im gleichen Zeitraum einsparen ließen, wohlgemerkt, ohne die medizinische Versorgung zu verschlechtern. Dennoch werden Stents bei speziellen Patientengruppen auf lange Sicht ihren Platz behalten.
Zwischen Akutversorgung und Non-Compliance
Das hat mehrere Gründe: In der Akutversorgung öffnen Kardiologen verschlossene Gefäße mit Hilfe eines Herzkatheters, hier haben Implantate laut William E. Boden zur Stabilisation definitiv ihre Berechtigung. Andererseits wird es immer Patienten geben, die aufgrund von Non-Compliance oder Nebenwirkungen für die Pharmakotherapie nicht infrage kommen. Ihnen bleibt als einziger Ausweg die Stent-Implantation. Mittlerweile hat sich in diesem Bereich aber viel getan.
Thrombosegefahr gesunken
Galten Thrombosen bei Koronarstents der älteren Generation, die Medikamente freisetzen (drug eluting stents, DES), noch als Problem, so bewerten aktuelle Forschungsergebnisse moderne Implantate deutlich besser. Dafür konnten Wissenschaftler auf das Swedish Coronary Angiography and Angioplasty Registry (SCAAR) zugreifen – mit Daten von mehr als 60.000 KHK-Patienten, die an Schwedens Herzzentren 94.384 Stents erhielten – 64.631 unbeschichtete Modelle (bare metal stents, BMS), 19.202 DES älterer Bauart und 10.551 DES neueren Typs. Im Vergleich zu unbeschichteten Stents setzen DES antiproliferative Substanzen frei. Noch vor fünf Jahren hatten skandinavische Kollegen gewarnt, DES der ersten Generation führten zu höheren Mortalitätsrisiken und zu mehr Thrombosen als BMS. Die aktuellen Daten zeigen hingegen eine deutliche Tendenz: Bei modernen DES verringert sich das Risiko einer Restenose um 38 Prozent, einer Stentthrombose um 43 Prozent, und die Mortalität sank um 23 Prozent – jeweils verglichen mit älteren DES. In puncto Stentthrombosen schnitt Everolimus besonders gut ab (1,4 Prozent Stentthrombosen), gefolgt von Sirolimus (2,9 Prozent) und Paclitaxel (4,4 Prozent). Rotterdamer Kardiologen haben darauf aufbauend resorbierbare Stents aus Polymilchsäure getestet, die Everolimus freisetzen. Neben psychologischen Vorteilen, viele Patienten empfinden das Metallteil als Fremdkörper, könnte damit auch die biologisch gewünschte Vasomotion wieder hergestellt werden – weitere Studien sind aber erforderlich.
Muster ohne Wert?
Dennoch bleibt ein großes Problem: Während Arzneimittel im Vorfeld einen mehrstufigen Zulassungsprozess durchlaufen, reicht bei Medizinprodukten eine simple CE-Kennzeichnung. Die meisten Studien entstehen erst im Zuge des klinischen Einsatzes. Nicht erst seit dem Skandal um Brustimplantate des französischen Herstellers PIP sind Kollegen sensibilisiert, und andere Länder haben längst Maßnahmen ergriffen. In den Vereinigten Staaten etwa prüfen Materialwissenschaftler der Food and Drug Administration heikle Produkte, nur Deutschlands Regierungspolitiker sträuben sich dagegen. Doch der Druck von fachlicher Seite wächst: Mittlerweile fordern Vertreter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eine frühe Nutzenbewertung, wie für Arzneimittel längst etabliert. Das würde bedeuten, auch für Stents randomisierte Studien durchzuführen, um einen Mehrwert zu belegen.
Welchen Behandlungsweg präferieren Sie: PCI, Bypass-Operation oder Medikamente? Diskutieren Sie in den Kommentaren!