Kollegen trauten in den letzten Monaten kaum ihren Ohren: Aus Berlin hieß es, Krankenkassen hätten Milliardenüberschüsse erwirtschaftet. Ganz klar, jetzt müsste auch für Apotheken endlich mehr drin sein. Bald darauf die Ernüchterung: Wieder einmal stiegen Arzneimittelausgaben.
Ein seltenes Spektakel: Krankenversicherungen sprechen plötzlich von vollen Töpfen, von satten Überschüssen und von einer sicheren Zukunft. Schnell wurden Gerüchte um eine Abschaffung der verhassten Praxisgebühr laut. Auch begannen Politiker, über die Höhe von Kassenbeiträgen nachzudenken. Derzeit bei 15,5 Prozent in Stein gemeißelt, wären 0,1 Prozent weniger durchaus denkbar. Vertreter des Bundesverbands der Deutschen Industrie gingen sogar noch einen Schritt weiter, sie empfahlen 12 Prozent als Richtwert. Zwar bremste das Bundesministerium für Gesundheit jeden Aktionismus, doch in der Koalition brodelt es gewaltig. Eine Frage beschäftigt alle: Wohin mit den Milliarden?
Gerüchte aus der Union
Bereits Ende Januar sorgte ein ominöses Strategiepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Wirbel: Gesundheitspolitiker planten offenbar, Teile des AMNOG-Paketes wieder rückgängig zu machen. Das hätte zwar primär pharmazeutische Hersteller glücklich gemacht, die für Biosimilars zwei Jahre Schonfrist eingeräumt bekämen. Generikahersteller wiederum wären in den Genuss von Erleichterungen gekommen, da Produzenten von Originalpräparaten nicht mehr kurz vor Ende des Patentschutzes Rabattverträge abschließen könnten. Bereits bestehende Portfolioverträge, die Arzneimitteln nach Ende des Schutzes automatisch in Rabattverträge überführen, wären auch betroffen gewesen, Neuabschlüsse gehören allerdings seit 2009 der Vergangenheit an. Schön und gut, doch was wäre für Apotheker vorgesehen?
Mit einem Schlag sorgenfrei
Um die Situation öffentlicher Apotheken zu entschärfen, hätte der Arbeitsentwurf empfohlen, den leidigen Abschlag von 2,05 Euro auf 1,75 Euro verringert und zudem Erleichterungen bei Zytostatika-Ausschreibungen umzusetzen. Nullretaxationen bei BtMs sollten ebenfalls von staatlicher Seite her stärker eingedämmt werden, hier mussten vor allem Kollegen in Nordrhein-Westfalen ziemlich viel schlucken. Andere Themen wie das heiß ersehnte Pick-up-Verbot haben mit der Novelle zur Apothekenbetriebsordnung längst ihre Eigendynamik entwickelt: In der Regierung und im Bundesrat sind diverse Szenarien diskutiert worden, etwa ein generelles Verbot des Versandhandels. Jetzt ist der schwarze Peter in Sachen Arzneimittelsicherheit wieder bei der Koalition angekommen. Hinsichtlich ökonomischer Probleme treten Gesundheitspolitiker aber auf der Stelle – das wollen Apotheker nicht länger hinnehmen.
30.000 Euro mehr pro Apotheke
Wie Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands, betonte, seien zwischen 2001 und 2011 die GKV-Einnahmen um 35 Prozent gestiegen. Apotheken hingegen könnten nur ein Plus von „mageren 2,4 Prozent“ vorweisen. Damit soll jetzt Schluss sein: ABDA und DAV forderten umfangreiche Maßnahmen, die in Summe zu 624 Millionen Euro mehr führen könnten, rein rechnerisch 30.000 Euro pro Apotheke. Denkbar wäre beispielsweise eine Erhöhung der Packungspauschale von 8,10 Euro auf mindestens 9,14 Euro. Auch von einer zusätzlichen Vergütung für Nacht- und Notdienste ist die Rede. Derzeit gibt es hier lediglich 2,50 Euro pro Patient, was laut Becker bei Apothekenleitern zu einem Minus von 192 Millionen Euro pro Jahr führt. Sollten entsprechende Vergütungen pro Arzneimittel nicht möglich sein, schlagen ABDA und DAV eine zusätzliche Nachtdienstpauschale vor, gegebenenfalls differenziert nach Wochentagen und Wochenenden. Für BtM-Rezepte hingegen, diese sind bekanntlich mit einem erhöhten Aufwand hinsichtlich Beratung und Dokumentation verbunden, sieht die neue Empfehlung pauschal 2,50 Euro pro Packung vor. Nicht ohne Grund, schließlich gibt es in einer alternden Gesellschaft immer mehr Palliativpatienten. Viele Ideen und Zahlen, ein Weg: Laut ABDA-Chef Heinz-Günter Wolf sei die AMG-Novelle Mittel der Wahl, um Forderungen rasch umzusetzen, schließlich gibt es – man erinnere sich – 20 Milliarden Überschüsse im Topf.
„Apotheker schreien nach mehr Geld“
Entsprechende Forderungen der Standesvertretung stießen – wie nicht anders zu erwarten – auf ein geteiltes Echo. Manche Medien bekamen dieses Ansinnen offenbar in den falschen Hals, und so spricht die „Süddeutsche Zeitung“ vom „Glanz im Auge“ der Apotheker. Auch Kassenvertreter gaben contra und führten wie so oft an, es gebe ohnehin ein zu dichtes Netz – vor allem in Großstädten. Weniger Apotheken führen aber noch lange nicht zu niedrigeren Ausgaben im Arzneimittelbereich, doch scheint diese Botschaft, von ABDA und DAV ständig wie ein Mantra wiederholt, nicht anzukommen. Vertreter des GKV-Spitzenverbands hingegen beklagten sich über die mangelnde Bereitschaft, exakte Wirtschaftszahlen zu veröffentlichen. Ähnliche Kritik kann auch aus den Reihen der Union. Deren gesundheitspolitischer Sprecher Jens Spahn zeigte sich über den Maßnahmenkatalog mehr als verwundert.
Wie gewonnen, so zerronnen
Schließlich wendete sich das Blatt: Laut Angaben der Apothekerverbände und der AOK schnellten Arzneimittelausgaben wieder einmal in die Höhe, allein im Februar 2012 waren es bereits 5,4 Prozent mehr als im gleichen Monat des Vorjahres. Diese Entwicklung führt IMS Health vor allem auf Rx-Präparate zurück, hier wurden schlicht und ergreifend größere Packungen verschrieben. Krankenversicherungen sorgen sich dennoch, dass die Tendenz anhält. Vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) kam in der Sache eine weitaus differenziertere Betrachtungsweise: „Abgesehen davon, dass der von den Kassen herangezogene Vergleich von zwei Monaten bei der komplexen Dynamik der Arzneimittelversorgung kaum Rückschlüsse auf den Trend zulässt, sind Kostenanstiege durch therapeutische Verbesserungen unvermeidbar“, heißt es in einer Erklärung. „Wer einen solchen Ausgabenanstieg beklagt, wendet sich gegen kranke Menschen und befürwortet Rationierung und Zwei-Klassen-Medizin“, moniert BPI-Chef Henning Fahrenkamp.
Kalender oder Kassenrezept?
Doch stimmen die Berechnungen generell? Das wiederum bezweifeln Experten des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa): „Wer Januar und Februar als Grundlage für eine Hochrechnung auf das ganze Jahr wählt, verzerrt die Rechnung“, kritisiert vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer. Auf der Basis von zwei Monaten eine Steigerung von 1,5 Milliarden Euro für das ganze Jahr 2012 hochzurechnen, sei „reine Spekulation“. Bereits durch je einen zusätzlichen Geschäftstag im Januar und Februar 2012 ergibt sich rein rechnerisch ein Wachstum von jeweils rund vier Prozent – durch den Kalender, nicht durch Kassenrezepte. Korrigiert man die Daten entsprechend, beträgt das Ausgabenplus plötzlich nur noch ein Prozent. Genau genommen kein Grund zur Panik – für Apotheker heißt es dennoch wieder einmal, abzuwarten, ob sich ihre ökonomische Situation endlich verbessert. Das könnte schon recht bald der Fall sein, Koalitionskreise planen, wahrscheinlich 200 Millionen Euro als Bonus bereitzustellen, um AMNOG-Nebenwirkungen abzumildern.