Zwischen biologischen Problemen und ökonomischen Zwängen: Bei Senioren haben Zahnärzte alle Register der Heilkunst zu ziehen. Ihr Einsatz lohnt sich, ist ein funktionierendes Gebiss doch weitaus mehr als nur die Ansammlung von Zähnen.
Wenn der Zahn in Rente geht: Vom natürlichen Alterungsprozess sind nicht nur Haut und Haare, Knochen oder Knorpel betroffen, auch der Zahnschmelz bleibt nicht verschont. Er wird spröde und zeigt Risse beziehungsweise Abnutzungserscheinungen, kritisch bei mechanischer Belastung. Die Pulpa baut ebenfalls ab, Kanäle verengen, das Dentin sklerotisiert – und eine Vitalitätsprüfung liefert teils falsche Resultate. Wunden wiederum heilen deutlich langsamer, und Patienten verkraften chirurgische Eingriffe nicht mehr so leicht.
Geduld und Spucke
Abgesehen von biologischen Randbedingungen unterscheiden sich Therapien bei jungen oder alten Patienten jedoch nicht grundlegend. Schwieriger wird es schon bei der Zusammenarbeit: Wie aus der Geriatrie bekannt, nehmen manche Patienten große Zeitkontingente für Diagnostik und Therapie in Anspruch – selbst ein OPG kann zur Zerreißprobe für Nerven und Zeitmanagement werden. Dahinter steckt keineswegs Renitenz, vielmehr sind Einfühlungsvermögen und viel Erklärungsbedarf vom Behandler gefordert, um Ängste auszuräumen, aber auch Verständnisschwierigkeiten zu beseitigen. Je nach Allgemeinbefinden gehen Senioren auch mit ganz verschiedenen Erwartungen in die Praxis: Rüstige Rentner erwarten eine weitestgehende Wiederherstellung der Kaufunktion wie in jungen Jahren – und bereits kränkelnde, pessimistische Individuen teilen eher die Einstellung, jeglicher Aufwand lohne sich nicht mehr. Oftmals sind umfangreiche Gespräche mit den Betroffenen, aber auch mit Angehörigen erforderlich, um hier einen goldenen Mittelweg zu finden.
Vertrauen auf dem Behandlungsstuhl
Gerade bei neuen Patienten, die vielleicht Jahrzehnte vom mittlerweile selbst verrenteten Kollegen behandelt wurden, muss ein grundlegendes Vertrauen erst mühsam aufgebaut werden. Kritik an Methoden, die nach heutigem Wissensstand längst überholt sind, vor Jahren aber als Goldstandard galten, hilft da nicht weiter. Andererseits bietet heute der Markt gerade beim Zahnersatz eine Vielfalt an Lösungen – und Kollegen werden immer mehr zu Beratern, die bei Entscheidungen zur Seite stehen. Ehrliche und objektive Antworten führen nicht selten dazu, dass gerade ältere Patienten Premium-Varianten wählen, andererseits fordert die Ethik eines jeden Heilberufs, alle Menschen grundlegend zu versorgen. Gerade in Seniorenheimen trifft das Thema einen wunden Punkt.
Mangelware Mundhygiene
Patienten mit körperlichen Einschränkungen haben oftmals ihre liebe Not mit der täglichen Körperpflege – Zähne inklusive. Untersuchungen konnten jetzt bestätigen, dass es bei Senioren in Altenheimen um die Mundgesundheit schlecht bestellt ist - oftmals bestanden eklatante Behandlungsdefizite. Neurodegenerative Erkrankungen machen die Sache nicht gerade einfacher. Guter Rat ist nicht einmal so teuer: Kollegen müssen mit speziellen Leistungen hinsichtlich Prophylaxe und Therapie gegensteuern sowie Pflegekräfte schulen: Welche Maßnahmen zur Zahnhygiene brauchen speziell immobile Patienten, und wann sollte ein Zahnarzt kontaktiert werden? Aus dentaler Sicht deutet viel auf eine Verschlechterung hin, sollten Patienten plötzlich die gewohnte Prothese nicht mehr tragen wollen, lieber Suppen und Pudding essen oder einseitig kauen. Dass entsprechende Programme für Pflegekräfte durchaus ihre Berechtigung haben, zeigen mittlerweile auch wissenschaftliche Arbeiten. Dennoch fehlt gerade jungen Kollegen das Know-how: Im Studium kommt Alterszahnheilkunde nicht als Pflichtgegenstand vor, und zur Approbation müssen Zahnärzte in spe auch kein dementsprechendes Wissen vorweisen. Andererseits haben erfahrene Kollegen mittlerweile durchaus einen Marktvorteil: Die Deutsche Gesellschaft für Alterszahnmedizin etwa zertifiziert „besonders qualifizierte und kompetente Zahnärzte, die das Fach Alterszahnmedizin umfassend in Theorie und Praxis beherrschen“. Patienten wiederum können via Online-Tool entsprechende Angebote in der näheren Umgebung recherchieren. Für Menschen, die trotz ihrer Gebrechlichkeit noch zu Hause leben, wird der Gang in die Praxis aber zum unüberwindlichen Hindernis.
Zahnarzt to go
Deshalb haben einige Kollegen in mobile Behandlungseinheiten investiert – Kostenpunkt zwischen 3.000 und 10.000 Euro. Tragbare Röntgenkameras wiederum sind mittlerweile ab 3.000 Euro zu haben. Natürlich müssen sich diese Anschaffungen auch amortisieren. Dr. Volkmar Göbel aus Gössenheim im unterfränkischen Main-Spessart-Kreis etwa hat den Service für immobile Patienten stark ausgebaut und ist mittlerweile drei Nachmittage pro Woche auf Achse. „Ich habe meine Praxis umstrukturieren müssen, um dem Bedarf gerecht zu werden“, erzählt er. Seine tragbaren Gerätschaften ermöglichen das gewohnte Spektrum vor Ort: von der Kariesprophylaxe über Füllungen und Zahnsteinentfernungen bis hin zur Reparatur von Prothesen. Auch Pflegedienste greifen gern auf seinen Service zurück, vor allem bei dementen Patienten ein heikles Thema.
Zwischen Selbstbestimmung und Betreuungsperson
Ganz klar: Gibt es zahnmedizinische Probleme, so ist auch eine Behandlung angezeigt – egal, wie alt der Patient ist. Kritisch wird es bei Demenz oder vergleichbaren Erkrankungen mit dem Recht auf Selbstbestimmung – hier greift das Grundgesetz, sprich eine Behandlung kann auch abgelehnt werden. Sind entsprechende Willensbekundungen nicht mehr möglich, bleibt als einziger Ausweg, nach dem Familienverfahrensgesetz (FamFG) gerichtlich eine Betreuung anordnen zu lassen. Weder Pflegekraft noch Arzt oder Zahnarzt können sich eigenmächtig diesen Status zusprechen. Speziell für die zahnärztliche Therapie gilt als Kriterium, das Wohlbefinden zu sichern, sprich Schmerzen zu behandeln und eine Nahrungsaufnahme zu ermöglichen. Komplexere chirurgische Sanierungen hingegen sollten nur bei gutem Allgemeinbefund durchgeführt werden, während bei mangelnder Gesundheit Maßnahmen zur Schmerzbeseitigung sowie die Versorgung mit einfachen Kunststoffprothesen im Mittelpunkt stehen. Hinzu kommen ökonomische Fragen.
Terminplan voll – Kasse leer?
Zahnärzte leisten viel, gerade für ältere Menschen. Mit dem Versorgungsstrukturgesetz bietet der Staat Kollegen, die immobile Mitbürger besuchen, sei es im Heim oder zu Hause, mittlerweile zwar eine gesondert abrechenbare Gebührenposition an. Ob diese aber ausreicht, um wirtschaftlich arbeiten zu können, mag niemand glauben. „Es ist leider nicht allein damit getan, den Zahnarzt zum Patienten zu bringen, wo der Patient nicht zum Zahnarzt kommen kann“, betont Professor Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer. Vielmehr bräuchten auch Menschen, die nicht selbstständig Mundhygiene betreiben könnten, besondere Therapie und Prophylaxe. Der Bedarf an entsprechenden Leistungen wird steigen – allein schon durch die demographische Entwicklung. Und damit muss auch eine Entlohnung für Zahnärzte sichergestellt werden, die sich am Zeitaufwand orientiert.