Implantate sollen sich schnell mit dem Kiefer verbinden und danach auch hohe Kräfte aushalten. Spezialisten suchen neue Strategien: Oberflächenstrukturen locken knochenbildende Zellen an, vermindern aber auch die Gefahr bakterieller Infektionen.
Ein Blick zurück: Bereits 1965 implantierte Per-Ingvar Brånemark, eigentlich Orthopäde und Chirurg, erste Titanstifte in den menschlichen Kiefer. Über die Zeit wurde seine Methode immer weiter perfektioniert. Knapp 50 Jahre später testen Forscher vor allem Möglichkeiten, um die Osseointegration, also das Verwachsen anorganischer Bauteile mit dem Knochen, zu verbessern, und Bakterien in Schach zu halten. Metallurgie trifft Chirurgie Das beginnt beim Metall selbst: Im Vergleich zu reinem Titan zeigen Legierungen mit sechs Prozent Aluminium und vier Prozent Vanadium (Ti-6Al-4V) deutlich bessere Eigenschaften hinsichtlich der Bruchfestigkeit. Entscheidend ist aber auch deren Oberfläche: Waren frühe Werkstücke möglichst glatt, so verwenden Kieferchirurgen heute Implantate mit mikroskopischen Unebenheiten. Das hat mehrere Gründe: Entgegen landläufigen Erwartungen kolonialisieren Bakterien raue Strukturen weitaus schlechter, während sie ebene, ja sogar superhydrophobe Oberflächen erfolgreich in Beschlag nehmen. Enthalten poröse Oxidschichten zusätzlich noch Fluorid, lässt sich die Anhaftung bei einer Vielzahl klinisch relevanter Stämme weiter unterdrücken. Andererseits bilden entsprechende Schichten eine ideale Umgebung für Osteoblasten, die Baumeister eines jeden Knochens. Jetzt ist vor allem interdisziplinäre Zusammenarbeit gefragt. Bioaktiv beschichtet Beispielsweise gelang es Ärzten und Materialwissenschaftlern des Netzwerks „INNOVENT“, mit Plasma Oxidationsprozesse auszulösen und auf Titanimplantaten eine poröse, bioaktive Oberfläche aus Titandioxid zu schaffen. Bei diesem Verfahren verwandelt sich die natürlich vorhandene, aber extrem dünne Oxidschicht in eine vier Mikrometer dicke keramische Beschichtung. Werden noch Calcium und Magnesium eingelagert, wachsen Knochenzellen leichter an, wie eine vorklinische Studie ergab: Im Tierexperiment erhielten Ratten verschiedene Implantate. Das bioaktive Material zeigte eine hervorragende Scherfestigkeit, der Kontakt zum Knochen war signifikant besser. Andere Forschergruppen wiederum arbeiten mit organischen Beschichtungen. Mehr Knochen – weniger Infektionen Das Ziel südkoreanischer Kollegen war, neue Implantate zu entwickeln, die Osteoblasten anlocken, gleichzeitig aber die Gefahr bakterieller Infektionen verringern. Wissenschaftler funktionalisierten dazu Titanoberflächen mit Heparin und Dopamin und verankerten Gentamicin beziehungsweise das knochenmorphogenetische Protein 2 (Bone Morphogenetic Protein 2, BMP2). Der Arbeitsgruppe gelang jedoch nicht nur, Osteointegrationsvorgänge zu verbessern. Gerade Infektionen führen häufig zum Verlust des Implantats, auch dagegen wirkte die spezielle Beschichtung. Eine dünne, Bisphosphonat-freisetzende Fibrinogen-Matrix zeigte ähnliche Eigenschaften wie BMP2, bei komplett anderem Wirkprinzip: Die Arzneistoffe hemmen knochenabbauende Zellen, Osteoklasten, und vermindern chemisch eine Entmineralisation des Knochens. Oral eingenommene Bisphosphonate, wie sie zum Beispiel in der Osteoporosetherapie verwendet werden, verhalten sich anders. Sie verdreifachen die Wahrscheinlichkeit, dass Implantate an Stabilität verlieren. Dahinter stecken Umbauprozesse im Bereich des Schädels, vor allem im Kiefer. Aus einem Guss Doch Titan ist nicht der einzige Werkstoff für Implantate. Zirkonium, chemisch ein enger Verwandter, hat noch ganz andere Reize: Mit Zirkoniumdioxid lassen sich Verankerung und Kopfteil aus einem Stück fertigen. Österreichische Kollegen untersuchten deren Eigenschaften im Rahmen einer prospektiven Studie. Dabei zeigten klinische und radiologische Parameter eine 95-prozentige Integration – trotz sofortiger Belastung. Mittlerweile wurde eine randomisierte, kontrollierte klinische Studie initiiert, um entsprechende Hinweise zu bestätigen. Jetzt oder nie Unabhängig vom Material diskutieren Kollegen immer wieder die Frage, ob nach einer Zahnentfernung sofort Implantate in die Extraktionsalveole gesetzt werden können. Um für Klärung zu sorgen, verglich man Daten von 150 Patienten retrospektiv. Diese erhielten 480 Sofortimplantate sowie 542 Implantate in reifen Knochen platziert – Unterschiede hinsichtlich der Lebensdauer künstlicher Zähne ließen sich nicht nachweisen, außer bei Sofortimplantaten im hinteren Oberkiefer. Weitere Untersuchungen beschäftigen sich mit der Geometrie besagter Metallteile. Klein – aber auch fein? Bei durchmesserreduzierten Implantaten ist die Studienlage noch immer nicht zufriedenstellend. Von diesen Medizinprodukten profitieren vor allem Patienten mit stark reduzierter Knochenmasse. Auch sind entsprechende Eingriffe weitaus weniger belastend als bei der klassischen Vorgehensweise. Jetzt haben Kollegen der Harvard School of Dental Medicine, Boston, USA, eine Literaturarbeit zu dem Thema veröffentlicht. Sie nahmen Untersuchungen mit Implantaten von maximal 3,5 Millimetern Durchmesser auf, und zwar randomisierte klinische Studien sowie retrospektive oder prospektive Kohortenstudien. Das Follow-up musste über mindestens fünf Monate gehen, auch waren den Autoren Angaben zur Lebensdauer dieser Medizinprodukte wichtig. Insgesamt entsprachen 10.093 Implantate allen Kriterien. Nach Auswertung der Daten fand das Team vergleichbare Werte für kleine Implantate und Modelle mit Standardbreite. Liegt der Durchmesser jedoch unter drei Millimetern, sind die Verankerungen nur stark eingeschränkt verwendbar, etwa zur Fixierung von Vollprothesen oder bei schmalen Einzelzahnlücken – laut den Autoren dennoch „eine effiziente, kostengünstige Lösung für Ältere, um Probleme mit dem Zahnersatz zu verringern“. Oben ohne? Verankerungen im Kiefer sind nur die halbe Miete – Kopfteile haben es ebenfalls in sich. Ein Durchbruch ist kürzlich am Otto-Schott-Institut für Glaskeramik gelungen: Mit Werkstoffen auf Basis von Magnesiumoxid, Siliziumdioxid und Aluminiumoxid erreichten Chemiker fünf Mal höhere Festigkeiten als bei bekannten Keramiken. Auch sollte das Aussehen normaler Zähne perfekt nachgebildet werden. Das ließ sich nur durch mehrfaches Schmelzen und Zerkleinern realisieren – schließlich entstanden winzige Kristalle, maximal 100 Nanometer groß und sowohl für die Festigkeit als auch für das transparente Erscheinungsbild ausschlaggebend. In der modernen Implantologie haben eben Ästhetik und Qualität ihren Platz.