Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) warnt besonders Teenager vor dem TV-Konsum von Castingshows a la „Germany´s Next Topmodel“. Wie eine neue Studie zeigt, beeinflussen diese vor allem das subjektive Körperbild weiblicher Teenager, die derartige Shows regelmäßig verfolgen.
Häufig betrachten sich viele Mädchen und junge Frauen als Reaktion auf derartige Shows als zu dick. Damit können Castingshows die Tendenz zu Esstörungen wie Magersucht oder Bulimie verstärken, warnt die DGPM. Die Fachgesellschaft weist darauf hin, dass beispielsweise Magersucht ohne fachgerechte Therapie rasch chronifiziert und sowohl die seelische als auch die körperliche Gesundheit schwer in Mitleidenschaft ziehen kann.
„Hilfe ich bin zu dick“
Castingshows sind gerade bei Kindern und Jugendlichen extrem populär, wie ein Marktanteil von bis zu mehr als 62 Prozent bei den zwischen 12- und 17-Jährigen beweist. In der neuen Untersuchung des Internationalen Zentralinstituts für für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) des Bayerischen Rundfunks wurden 120 Jugendliche (98 Mädchen und 22 Jungen) die regelmäßig Germany's next Topmodell (GNTM) verfolgten, offen schriftlich befragt. Bereits im Sommer 2009 wurden bei einer Repräsentativbefragung, durchgeführt von iconkids & youth 1.166 repräsentativ ausgewählte Kinder und Jugendliche zwischen 9 und 19 Jahren im Face-to-face-Interviews befragt. Dabei war das Hauptmotiv GNTM zu verfolgen „Schöne Menschen zu sehen“ mit 79 Prozent Zustimmung. Die Gefühle der jugendlichen Zuschauer schwankten zwischen Neid und Bewunderung. Allgemein veranlasst GNTM die Betrachter weniger zu essen bzw. mehr Sport zu treiben. „Alle wollen Modelmaße, weil es sich bei Mädchen in unserem Alter oft um Dinge wie Aussehen und Figur dreht“, so eine 13-Jährige. „Alle Kandidatinnen haben so eine tolle Figur, das gibt mir Anreize abzunehmen“, gab eine 14-Jährige an. Ein 15-jähriges Mädchen meinte: „Dann denke ich mir oft, warum ich nicht so dünn bin.“ Und schließlich bezeichnete eine Elfjährige ihren Bauch und ihre Beine als zu dick, weil Topmodels ja schlank sein müssten.
Obwohl rund 80 Prozent der Mädchen normalgewichtig sind, sind mehr als die Hälfte mit ihrem Körper nicht zufrieden. Häufig findet sich der Wunsch „schlanker zu sein“ und der Traum von „einem flachen Bauch“ sowie von Veränderungen an Beinen und Gesicht (vgl. iconkids & youth 2009). „Wenn Mädchen sich trotz Normalgewichts als zu dick empfinden, sind sie anfälliger für eine Essstörung wie Magersucht (`Anorexia nervosa` AN) oder Esssucht (`Bulimia nervosa` BN))“, warnt Professor Dr. Stephan Herpertz von der DGPM. Studien zufolge leiden alleine in Deutschland 0,8 Prozent der weiblichen Teenager zwischen 14 und 20 Jahren an Magersucht und drei Prozent an Bulimie. Dabei versteht man unter AN eine selbstinduzierte Mangelernährung mit einem Gewichtsverlust bis hin zur Kachexie. Dabei schränken die von Magersucht Betroffenen ihre Nahrungsaufnahme erheblich ein und reduzieren ihr Gewicht aktiv, beispielsweise durch Erbrechen, exzessive Ausübung von Sport oder die Einnahme von Abführmitteln. Junge Frauen, die an BN leiden, streben durch die Einnahme häufig hochkalorischer Nahrung ebenfalls ein Körpergewicht an, das ihnen ständiges Fasten auferlegt. Gleichzeitig haben sie jedoch die persönliche Kontrolle über ihr Essverhalten verloren, was einen Teufelskreis zwischen übermäßigen Essen, Erbrechen und Fasten hervorruft.
Seit 1994 wird von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung die Binge-Eating-Störung (BES) in die vierte Revision des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM-IV) aufgenommen, in der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) kann sie unter der Kategorie „nicht näher bezeichnete Essstörungen“ verschlüsselt werden. Der genaue Verlauf der BES ist noch wenig erforscht, im Rahmen von ambulanten Psychotherapien schwanken die Remissionsraten zwischen 50-80 Prozent.
Bis zu 12 Prozent sterben an Essstörungen
Sowohl AN als auch BN können schwerwiegende seelische wie auch körperliche Schäden nach sich ziehen. So wirkt sich die Magersucht negativ auf die Knochendichte bei Jugendlichen aus, das Längenwachstum und die Hirnreifung werden ebenfalls negativ beeinflusst. Im schlimmsten Fall führen Essstörungen bei bis zu 12 Prozent der Betroffenen zum Tod. „Essstörungen wie Magersucht haben gravierende Folgen für die Gesellschaft“, warnt daher Prof. Herpertz von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bochum. „Sie betreffen fast ausschließlich junge Menschen und beeinträchtigen sowohl deren gesundheitliche als auch berufliche Entwicklung.“ Für die Behandlung der Patienten rät die DGPM in einer aktuellen wissenschaftlichen S3-Leitlinie schwerpunktmäßig zu einer Psychotherapie, wobei die kognitive Verhaltenstherapie, die speziell auf die jeweilige Essstörung ausgerichtet ist, über die größte Evidenz verfügt. Als flankierende Maßnahme kann zudem bei der Bulimia nervosa die Medikation von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) empfohlen werden. Eine evidenzbasierte Indikation zur Pharmakotherapie der Anorexia nervosa existiert nicht. Während die Bulimia nervosa mit leichter und mittelgradiger Ausprägung und geringer psychischer Komorbidität gut ambulant behandelt werden kann, ist bei dem Vollbild der Anorexia nervosa in der Regel eine stationäre Behandlung angezeigt. „Eine Psychotherapie soll das Essverhalten wieder normalisieren und die mit der Krankheit verbundenen seelischen Probleme lösen.
Der Heilungserfolg bei Magersucht liegt lediglich bei etwa der Hälfte der Patientinnen“, erläutert ein Sprecher der Leitlinie. In jedem Fall sollte eine Chronifizierung der Magersucht oder Bulimie unbedingt vermieden werden. Wichtigster Hinweis bei der Magersucht ist das stetig sinkende Körpergewicht: Während bei Erwachsenen das Unterschreiten eines Body-Mass-Index (BMI) von 17,5kg/m² als kritisch angesehen wird, ist bei Kindern und Jugendlichen bei Unterschreiten der zehnten BMI- Altersperzentile Gefahr in Verzug. Wenn man die drei Parameter Gewicht, Größe und Geschlecht berücksichtigt, würde das bedeuten, dass mehr als 90 Prozent der Gleichaltrigen mehr wiegen als der Betroffene. Die verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers als zu dick trotz objektivem Untergewicht ist ein weiteres wichtiges Warnzeichen sowohl für Magersucht wie auch Bulimie. „Castingshows wie beispielsweise GNTM haben sicherlich ein nicht zu unterschätzendes Gefährdungspotenzial für junge Frauen und ein öffentlicher Diskurs wäre wichtig“, so Professor Herpertz abschließend. Wohin verzerrte Schönheitsideale in extremer Form führen können, zeigt jüngst das Beispiel der "Lebenden Barbie", Valeria Lukjanowa. Die Ukrainierin investierte laut "Huffington Post" fast 600.000 Euro in ihr Äußeres. Sie wollte ihrem Vorbild, der Puppe "Barbie", möglichst ähnlich sehen.