Schon der Gedanke an Borrelien treibt manchem den Angstschweiß auf die Stirn. Ein neues Gel zur Instant-Therapie des Zeckenstichs könnte „Borrelia“ einiges von ihrem Schrecken nehmen. Vielleicht.
Beim diesjährigen Internistenkongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) Mitte April war die Sache wieder einmal Thema. Unspezifische chronische Krankheitssymptome in Verbindung mit einer tatsächlich oder vermeintlich positiven Borrelien-Serologie veranlassen noch immer viele Kollegen dazu, ihre Patienten oder Patientinnen mit einem antibiotischen Marathonverlauf zu beglücken. Und so wurde denn in Wiesbaden wieder einmal vorgerechnet, dass bei einer positiven Borrelien-Antikörperquote von je nach Studie bis zu zehn und mehr Prozent in der gesunden Bevölkerung die Wahrscheinlichkeit gegen Null geht, dass bei einer positiven Serologie ohne typische Symptomatik und vielleicht sogar ohne Zeckenanamnese eine Borreliose vorliegt.
Auf die Durchseuchung kommt es an
In Sachen Borreliose wird also massiv übertherapiert, daran zweifelt eigentlich niemand. Nun sind die Borrelien aber auch blöde Keime. Die akute Infektion verläuft oft blande. Das typische Erythem kann auftreten, muss es aber nicht. Trotz des sachten Beginns können echte Borreliosen schweren Folgen an Gelenken und Nervensystem nach sich ziehen. In den USA werden deswegen in einigen Regionen Menschen, die sich von Zecken stechen lassen, routinemäßig für einige wenige Tage prophylaktisch mit Antibiotika behandelt. Dass das nicht so sehr aus medizinischen sondern vor allem aus haftungsrechtlichen Gründen geschieht, daraus machen US-Ärzte kein Geheimnis. Neben der etwas anderen Versicherungssituation in den USA gibt es aber noch einen anderen Unterschied: Die Durchseuchungsquote von Zecken mit Borrelien ist dort wesentlich höher und die Gefahr, dass tatsächlich eine Borreliose übertragen wird, ist entsprechend größer. Wie groß die Durchseuchung der Zecken in Deutschland ist, hängt stark von der Gegend ab, in der man sich seine Zecke fängt. Bis zu 30 Prozent werden punktuell angegeben. Flächenbasierte Daten zu einzelnen Bundesländern liegen allerdings deutlich darunter, meist im einstelligen Prozentbereich. Die prophylaktische orale Antibiose scheint angesichts dessen etwas übertrieben, und auch in Anbetracht der Tatsache, dass eine Borrelien-positive Zecke schon zwölf oder mehr Stunden ungestört am Werke sein muss, um die Bakterien überhaupt zu übertragen.
Borrelien sind die Trödler unter den Keimen
Aber vielleicht kommt demnächst ohnehin Abhilfe, sodass sich diese Frage gar nicht mehr stellt. Am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) wurde in Kooperation mit der LMU München und dem Schweizer Unternehmen Ixodes AG – Ixodes heißt Zecke – ein Gel entwickelt, das das auch in oraler Form erhältliche Antibiotikum Azithromycin in einer Konzentration von zehn Prozent enthält. Es ist gedacht für die Lokaltherapie unmittelbar nach Zeckenstich. „Das Gel tötet im präklinischen Modell Borrelien bis drei Tage nach dem Zeckenstich effektiv vor Ort ab“, betont Dr. Jens Knauer, der am Fraunhofer IZI für diese Untersuchungen verantwortlich war. Das Gel verhindert also, dass die Borrelien in die Zirkulation gelangen.
Das klingt erst einmal eigenwillig, macht aber Sinn, wenn man sich die Vorgänge beim Zeckenstich etwas genauer ansieht. „Die Zecke sticht nicht wie ein Moskito direkt ins Blutgefäß, sondern setzt mit ihrem Stechrüssel eine Wunde“, so Knauer. Den dort sich sammelnden Wundsaft trinkt die Zecke über Stunden und Tage. Sie verdaut den Saft und scheidet jene Bestandteile, mit denen sie nichts anfangen kann, wieder aus. Und erst an dieser Stelle kommen die Borrelien ins Spiel, die sich nicht im Stechrüssel, sondern im Darm der Zecke befinden, und die deswegen – anders als FSME-Viren – nicht beim initialen Stich übertragen werden. Und auch wenn die Borrelien dann in der Wunde sind, breiten sie sich nicht sofort aus. „Sie ändern zunächst einmal ihre Proteinstruktur, um sich an den neuen Wirt, also den Menschen, anzupassen“, betont Knauer. Während dieses Zeitfensters bleiben sie vor Ort und sind entsprechend lokal verwundbar.
Studie will der Zecke eins auswischen
Die Ixodes AG testet das Azithromycin-Gel seit vergangenem Sommer in einer großen klinischen Studie in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Welche Zentren teilnehmen, kann auf der Internetseite Zeckenstudie.com nachgeschlagen werden. Angepeilt werden etwa 1000 Patienten, die ihre jeweilige Zecke mitbringen müssen. Die genaue Zahl hängt unter anderem vom durchschnittlichen Durchseuchungsgrad der Zecken ab. Derzeit sind etwa 15 Prozent aller analysierten Zecken infiziert.
„Das Gel wird drei Tage lang zweimal täglich aufgetragen“, so Knauer. Es trocknet an und kann dann nach dem Auftragen nach etwa einer halben Stunde abgewischt werden. Die Studie ist placebokontrolliert. Die Probanden können also auch ein Gel ohne Wirkstoff bekommen. Treten im Verlauf der Nachbeobachtungszeit Symptome einer Borreliose auf, wird das registriert und die Patienten entsprechend behandelt. Die Idee ist, dass in der Verumgruppe keine oder signifikant weniger behandlungsbedürftige Borreliosen auftreten als in der Placebogruppe.
Wenn das so funktioniert, dann wäre das Gel eine interessante Option für Personen mit hohem Risiko für Zeckenstiche und natürlich auch für Menschen, die in Regionen mit hoher Durchsuchung der Zecken mit Borrelien leben. Größere Verträglichkeitsprobleme sind angesichts des lokalen Wirkprinzips nicht zu erwarten, zumal Azithromycin ja auch keine neue Substanz ist.