Dank einer ausgeklügelten Kombination von optischen und genetischen Methoden können Wissenschaftler seit kurzem neuronale Schaltkreise und Verhaltensweisen nicht nur analysieren, sondern auch auf einfache Weise kontrollieren.
Wie Gedanken und komplexe Verhaltensmuster im Gehirn entstehen, ist immer noch weitgehend ungeklärt. Vor allem deshalb, weil Neurobiologen bis vor wenigen Jahren kaum eine Möglichkeit hatten, aktive neuronale Schaltkreise in Gänze zu beobachten. Ein neuer Wissenschaftszweig versetzt die Forscher nun in die Lage, die Funktion des Gehirns mit großer Detailgenauigkeit zu studieren: Die Optogenetik verknüpft die Gentechnik mit Methoden der Optik, um das Verhalten bestimmter Zelltypen sichtbar zu machen und zu beeinflussen.
Für diesen Zweck schleusen Forscher die Bauanleitung eines lichtempfindlichen Proteins in das Erbgut von Nervenzellen ein. Spezifische Genschalter sorgen dafür, dass das Protein nur im gewünschten Zelltyp produziert wird. Das Protein steckt in der Zelloberfläche und lässt sich durch Bestrahlung mit Licht aktivieren, wodurch sich seine Gestalt verändert. Im Protein öffnet sich ein Kanal und geladene Teilchen wie zum Beispiel Natriumionen strömen in die Zelle hinein. Durch die Ladungsverschiebung entsteht ein Aktionspotenzial, das die Nervenzelle als elektrischen Impuls an weitere Nervenzellen im Gehirn weiterleitet.
Kommando zum Abheben
Als Erster konnte Professor Gero Miesenböck zeigen, dass sich mit Hilfe der Optogenetik das Verhalten eines Lebewesen gezielt steuern lässt. Fruchtfliegen eignen sich besonders gut für solche Experimente, da sie ein kompaktes Gehirn besitzen und deshalb eine gleichzeitige Bestrahlung ihrer rund 100.000 Nervenzellen möglich ist. Für ihre Experimente veränderten Miesenböck und sein Team das Erbgut der Tiere derart, dass das lichtsensitive Protein nur in den beiden Kommando-Nervenzellen erzeugt wurde. Dieser Zelltyp löst über einen untergeordneten Schaltkreis den Fluchtreflex von Fruchtfliegen aus.
Zur Freude der Forscher hoben die Fliegen nach Bestrahlung mit einem Laserblitz tatsächlich sofort ab und flogen weg. „Das war der Beweis, dass der optogenetische Sensor wie beabsichtigt funktionierte“, berichtet Miesenböck, der heute Leiter einer Arbeitsgruppe an der Universität Oxford ist. „Da der Sensor nur in den Kommandozellen aktiv war, musste der Lichtstrahl nicht einmal gezielt auf bestimmte Zellen gerichtet werden.“ Diese Form der drahtlosen Kommunikation, so der Neurobiologe, erinnere ihn an die Übertragung einer Radiobotschaft zu einem Autoradio, für die man auch nicht wissen müsse, wo sich das Fahrzeug genau befinde.
Fruchtfliegen wiederholen Verhalten
Nach Ansicht von Miesenböck ist das nicht-invasive Ansteuern von Nervenzellen per Licht bisherigen Methoden deutlich überlegen: „Mit dem Einführen von Elektroden ins Gehirn lassen sich nur wenige Zellen gleichzeitig beeinflussen“, findet Miesenböck. „Außerdem muss die Position der anvisierten Nervenzellen im Gehirn bekannt sein, damit man Elektroden überhaupt einsetzen kann.“ In der Zwischenzeit haben Miesenböck und seine Mitarbeiter das lichtempfindliche Protein auch in anderen Klassen von Nervenzellen eingebaut. Zum Beispiel gelang es ihnen damit, die Funktion von Zellen, die das Glückshormon Dopamin ausschütten, genauer zu studieren: „Wenn wir bei Fliegen ein bestimmtes Verhalten mit einem Lichtblitz belohnten, wurden dadurch die dopaminproduzierenden Zellen aktiviert,“ so Miesenböck. „Das hatte zur Folge, dass die Tiere vermehrt dieses Verhalten wiederholten.“
Aktuell konzentriert sich das Team um Miesenböck auf die Erforschung der Entscheidungsfindung. Auch die neuronalen Mechanismen dieses Verhaltens lassen sich mit Hilfe der Fruchtfliege untersuchen. „Wir wollen die Tiere vor die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Umgebungen stellen“, sagt Miesenböck. Vorher müssen wir den Fruchtfliegen jedoch beibringen, eine dieser Umgebungen zu bevorzugen. Im nächsten Schritt sorgen wir dann dafür, dass sie ihre favorisierte Umgebung nicht mehr so gut erkennen.“ Wenn die Insekten, so der Forscher, mehr Zeit als vorher benötigten, sich zu entscheiden, wäre das ein starkes Indiz dafür, dass sie tatsächlich die beiden Möglichkeiten rational abwägten.
Bestrahlung mit fiberoptischem Kabel
Dass Forscher mit optogenetischen Sensoren nicht nur in die neuronalen Schaltkreise von Insekten eingreifen können, zeigten erste Versuche mit Säugetieren. Doch die Experimente mit Mäusen gestalteten sich komplizierter als mit Fruchtfliegen. „Da die Tiere einen lichtundurchlässigen Schädel besitzen, muss man über eine Bohrung ein fiberoptisches Kabel ins Gehirn einführen – mit dem Nachteil, dass anschließend nur eine bestimmte Region und nicht mehr das gesamte Gehirn bestrahlt werden kann“, erklärt Miesenböck.
Auch wenn Forscher mittlerweile Verhaltensweisen bei so unterschiedlichen Tierarten wie Wurm, Fliege, Zebrafisch oder Maus erfolgreich kontrollieren können, ist der therapeutische Einsatz der optogenetischen Sensoren beim Menschen noch reine Zukunftsmusik. Zu groß erscheinen momentan die damit verbundenen Risiken: „Wir müssten das Gen für den lichtempfindlichen Kanal mit Hilfe von Viren ins Gehirn einschleusen“, sagt Miesenböck. „Niemand kann garantieren, dass das Gen an der vorgesehenen Stelle im Erbgut der Nervenzellen eingebaut werden würde.“ Außerdem, so Miesenböck, sei nicht auszuschließen, dass es eine Immunreaktion gegen das fremde Protein gebe.
Farbstoff macht Kanalprotein lichtempfindlich
Forscher um Professor Dirk Trauner, Leiter einer Arbeitsgruppe am Department Chemie der LMU München, versuchen nun mit einer neuen Methode, den Transfer von fremden Genen zu umgehen. Ihre Idee: Bestimmte Kanalproteine, die die Kommunikation zwischen Nervenzellen steuern und normalerweise nicht auf optische Reize reagieren, werden mit einer Substanz aus der Klasse der Azofarbstoffe lichtempfindlich gemacht. Diese besteht im Wesentlichen aus einem Molekül, bei dem zwei Benzolringe über zwei Stickstoffatome miteinander verknüpft sind.
QAQ, wie die Forscher den Stoff nennen, reagiert auf Licht mit einer Änderung seiner Gestalt. In Abhängigkeit von der Wellenlänge des einfallenden Lichts kann sich QAQ entweder strecken oder zusammenklappen. Trauner und seine Mitarbeiter haben die Struktur des Moleküls so ausgewählt, dass QAQ in seiner gestreckten Form vor allem Kanalproteine von Nervenzellen blockiert, die den Schmerz weiterleiten. Wie Trauner und weitere Kollegen in der Fachzeitschrift Nature Methods kürzlich berichteten, erbrachte ein Tiermodell den Nachweis, dass das neu entwickelte Verfahren auch bei Ratten funktioniert.
Lichtempfindliches Molekül unterdrückt Blinzeln
Die Augenhornhaut von Ratten enthält besonders viele Nozizeptoren – Nervenfortsätze, die auf Reizungen oder Verletzung von Körpergewebe reagieren. Ratten fangen deshalb an zu blinzeln, wenn ihre Hornhaut zum Beispiel mit Capsaicin – einer Substanz, die die Schärfe von Chili-Schoten verursacht – in Kontakt kommt. Diesen Reflex nutzten die Forscher aus, um die Wirkung von QAQ zu testen. Tröpfelten sie die Substanz zusammen mit Capsaicin auf die Hornhaut der Tiere, ließ das Blinzeln deutlich nach. Der Effekt war jedoch umkehrbar: Bestrahlten die Forscher die Hornhaut mit ultraviolettem Licht, klappte QAQ zusammen und die Reizleitung der Ratten wurde wieder aktiviert.
Nach Ansicht von Trauner zeigen die Ergebnisse, dass QAQ sich prinzipiell als Lokalanästhetikum eignet. Gegenüber klassischen Betäubungsmitteln wie Lidocain habe es den Vorteil, dass man seine Wirkung durch einfache Beleuchtung rasch abschalten könnte. Vor allem in der Zahnmedizin, findet Trauner, könnte sich eine Substanz wie QAQ durchsetzen: „Viele Patienten mögen die örtliche Betäubung nicht, aber nicht so sehr, weil sie den Stich mit der Spritze fürchten, sondern weil das unangenehme Gefühl in der Backe über Stunden anhält.“