Bei Neuromyelitis optica zerstören körpereigene Abwehrzellen die Myelinschicht, ohne Therapie erblinden die Patienten. Ärzte haben zur Therapie ein ganzes Arsenal an Wirkstoffen zur Verfügung – nur sucht man gute Studien immer noch vergebens.
Anfangs für eine besondere Form der multiplen Sklerose (MS) gehalten, bewerten Ärzte die Neuromyelitis optica (NMO) heute als eigene Entität. Beide Erkrankungen haben große Ähnlichkeiten, und so kommt es auch bei NMO im Rückenmark zu Entzündungen. Anders als bei MS ist die Remissionstendenz nach Krankheitsschüben aber relativ gering, und Nekrosen treten vergleichsweise häufig auf. Eine Verschlechterung zwischen NMO-Schüben kommt jedoch äußerst selten vor. Meist erkranken Patienten zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr, also deutlich später als bei MS. Differentialdiagnostisch ist eine Unterscheidung unbedingt erforderlich, um richtig behandeln zu können.
Verräterische Eiweiße
Neben spinalen und kranialen MRTs kommen diverse Marker in Betracht, etwa Auto-Antikörper gegen das Zellmembranprotein Aquaporin-4. Welche Rolle diese beim Erkrankungsprozess spielen, ist noch unklar, Forscher vermuten jedoch, dass besagte Antikörper auch pathophysiologische Vorgänge auslösen. So oder so sind sie diagnostisch wertvoll – ohne deren Nachweis würden bis zu 40 Prozent aller Fälle fälschlich als MS klassifiziert.
Auf der Suche nach weiteren Testverfahren bestimmten japanische Forscher verschiedene Eiweiße, etwa das saure Gliafaserprotein (GFAP, Glial fibrillary acidic protein), S100B (ein bekannter Marker bei Schädel-Hirn-Traumata oder Schlaganfällen), das Myelin-basische Protein (MBP) sowie das Neurofilament H (NF-H) in Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit bei Patienten mit NMO, MS, Enzephalomyelitis, Ischämie und Meningitis. Einzig und allein das Filament-Protein GFAP lieferte diagnostisch hinsichtlich der Sensitivität und Spezifität brauchbare Werte, um NMO eindeutig zu identifizieren und von den anderen Krankheitsbildern zu unterscheiden. Auch ließ sich damit ein Therapieerfolg gut nachweisen – schlug die Behandlung an, sank der GFAP-Spiegel wieder auf ein normales Level. Kürzlich haben britische Forscher dazu Resultate einer Multizenter-Studie mit 322 Patienten veröffentlicht. Sie bestätigen im Prinzip alle japanischen Daten, kommen aber zu dem Schluss, dass nur GFAP aus der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit diagnostische Relevanz hat, nicht aber aus dem Serum. Der Marker S100B, bei den japanischen Kollegen noch in die engere Wahl gekommen, scheidet laut der aktuellen Arbeit jedoch aus. Ist NMO eindeutig nachgewiesen, müssen Kollegen die Autoimmunerkrankung bekämpfen, bei vergleichsweise schlechter Datenlage.
Auf tönernen Füßen
Wie bei anderen Autoimmunerkrankungen wissen Forscher auch heute noch nicht, welche Vorgänge eine NMO auslösen, wobei vieles für Gen-Umwelt-Interaktionen spricht. Bei bis zu 30 Prozent der Betroffenen ging eine virale oder bakterielle Infektion dem Leiden voraus – ein Ansatz, der momentan zu keinem Ziel führt. Ärzten bleibt nichts anderes übrig, als die Symptome unter Kontrolle zu bringen. Hier müssen sie sich auf offene, prospektive Studien oder retrospektive Analysen verlassen – hochwertige randomisierte, placebo-kontrollierte Studien existieren angesichts der geringen Patientenzahlen nicht.
Dementsprechend bewerten japanische und brasilianische Autoren in einem Übersichtsartikel Evidenzen verschiedener Behandlungsverfahren nicht gerade positiv: Unter anderem erhält die Methylprednisolon-Stoßtherapie eine „III“, die Plasmapherese eine „IIb“, Azathioprin eine „III“, Mycophenolat-Mofetil eine „III“ und Rituximab eine „III“. Dahinter verbirgt sich ein System der Agency for Healthcare Research and Quality zur Bewertung der Aussagekraft klinischer Studien: Bei der Evidenzklasse IIb existiert zumindest eine methodisch gute, quasi-experimentelle Arbeit, während bei III nur Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fall-Kontroll-Studien und bei IV klinische Berichte oder Expertenmeinungen vorliegen. Randomisierte, placebokontrollierte Studien, diese hätten „Ia“ oder „Ib“ verdient, gibt es bei der NMO-Therapie jedoch nicht.
Das Immunsystem in Schach halten
Generell versuchen Neurologen, überschießende Immunreaktionen unter Kontrolle zu bringen: Während eines Schubs kommen Kortikoide zum Einsatz, etwa als Methylprednisolon-Stoß, fünf Tage lang. Vor allem bei steroidresistenten Formen ist die therapeutische Plasmapherese eine gute Option. Dabei wird Plasma aus dem Blut des Patienten abgetrennt und durch Frischplasmakonzentrate oder durch eine Austauschlösung ersetzt. Nicht nur Auto-Antikörper bleiben auf der Strecke, auch die Konzentration an Zytokinen, also inflammatorischen Botenstoffen, sinkt. Für Patienten hat das einen angenehmen Zusatznutzen: Ihr Komplementsystem wird herunter geregelt, und Entzündungsprozesse klingen schneller ab. Forscher haben diese Methode weiterentwickelt: Bei der Immunadsorption geben sie Blutplasma durch eine Säule, in der schädliche Bestandteile an Polyvinylalkohol-Membranen, die mit speziellen Aminosäuren beschichtet wurden, andocken. Danach bekommen Patienten ihre wertvolle Flüssigkeit reinfundiert, ein wesentlicher Unterschied zur klassischen Plasmapherese. Folglich können bei der Immunadsorption weitaus größere Plasmavolumina gereinigt werden.
Langfristig beschwerdefrei?
Ist der akute Krankheitsschub überwunden, erhalten Patienten zur Stabilisierung Immunsuppressiva wie Azathioprin. US-amerikanische Forscher konnten aus Daten von 99 Patienten ableiten, dass der Arzneistoff generell effektiv ist und auch gut vertragen wird. Sie raten zur frühzeitigen Gabe, empfehlen Kollegen jedoch, regelmäßig Laborwerte zu bestimmen, da eine Veränderung des Blutbildes nicht auszuschließen ist. Alternativ kann auch das Immunsuppressivum Mycophenolat-Mofetil zur Anwendung kommen. NMO-Patienten profitieren zusätzlich von Erfahrungen, die bei anderen Autoimmunerkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis gemacht wurden – monoklonale Antikörper sind aus der Therapie nicht mehr wegzudenken.
Rettungsanker Rituximab
Schon lange wissen Forscher, dass B-Zellen eine zentrale Rolle bei demyelierenden Vorgängen spielen – was liegt näher, als das Übel an der Wurzel zu packen und therapeutische Antikörper einzusetzen? Gute Resultate haben Kollegen mit Rituximab erzielt. Neben der Akuttherapie geht es bei NMO aber auch darum, weitere Schübe zu unterbinden, diese führen oft zu irreversiblen Schäden. Umso wichtiger sind Ergebnisse eines südkoreanischen Teams zu bewerten: Die Wissenschaftler versuchten, einen weiteren Krankheitsausbruch bereits im Vorfeld zu erkennen, indem sie bei 30 Patienten den Titer von CD27+-Gedächtniszellen bestimmten. Die Betroffenen erhielten zunächst eine Induktionstherapie mit Rituximab, gefolgt von einer Erhaltungstherapie, sollte der CD27+-Titer mehr als 0,05 Prozent über dem Anteil mononukleärer Leukozyten liegen. Mit dieser Strategie verringerte sich in 28 Fällen die Zahl der Schübe signifikant um 88 Prozent, 70 Prozent der Patienten wurde über 24 Monate rezidivfrei, und Stehstörungen verbesserten oder stabilisierten sich bei 97 Prozent.
Eine wiederholte Behandlung mit Rituximab wurde im Allgemeinen gut vertragen, klinisch relevante, unerwünschten Ereignisse, die einen Abbruch der Behandlung erfordert hättet, traten nicht auf. Das Fazit der Autoren: Wird Rituximab zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt, kann sogar die Dosis verringert werden. Allerdings lassen sich bei zu geringen Gaben schon bald wieder schädigende B-Zellen nachweisen. Jetzt bleibt abzuwarten, was größere Studien bringen.