Mal wieder Ärger aus München: Vertretungen des Apothekenleiters dürfen nicht auf Honorarbasis erfolgen, fordert die Bayerische Landesapothekerkammer und schaltet ein ortsansässiges Berufsgericht ein. Doch nicht alle schlucken das – Sandra Geiger setzt sich zur Wehr.
Um den gesetzlich verankerten Versorgungsauftrag sicherzustellen, greifen kleine und mittlere Apotheken seit Jahren auf Approbierte, PIs oder Vorexaminierte als Honorarkräfte zurück. Das hat mehrere Vorteile: Eine Vertretung ist flexibel möglich. Gerade in ländlichen Regionen können Kollegen aus Nachbargemeinden schnell und unbürokratisch einspringen – oder eben Honorarkräfte um Hilfe bitten. Sandra Geiger, Apothekerin aus dem bayerischen Seefeld, Landkreis Starnberg, erklärt: „Für den Inhaber bedeutet es einen erhöhten Aufwand, Angestellte im Extremfall für einen Tag an- und dann wieder abzumelden.“ Auf ihrer Homepage offerierte sie entsprechende Dienstleistungen – und erhielt prompt mehrere Rüffel der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK): Sie solle ihren Internetauftritt anpassen und versprechen, in Bayern keine selbständigen Tätigkeiten mehr anzunehmen. Geiger ließ sich davon aber nicht unter Druck setzen.
Jagdszenen aus Oberbayern
19 Monate später kam es zum Showdown in München: Die BLAK klagte gegen Sandra Geiger vor dem Berufsgericht für Heilberufe am Landgericht München. Noch während der Verhandlung wurde ihr mehrfach angeboten, das Verfahren einzustellen – für eine Spende an den BLAK-Unterstützerfonds sowie unter der Prämisse, nur noch im Angestelltenverhältnis zu vertreten. Für Geiger keine Perspektive: „Mein Ziel ist nach wie vor, Kollegen in Notsituationen unbürokratisch und flexibel zu unterstützen“ – was im Rahmen einer befristeten Anstellung nicht möglich sei. Sie endschied sich für das Urteil, was ihr eine Strafe von 3.000 Euro sowie weitere 1.000 Euro Prozesskosten einbrachte. „Ich konnte das Angebot der BLAK aus Solidarität mit der Apothekerschaft einfach nicht annehmen“, sagt die Apothekerin. Dennoch gewann Geiger den Eindruck, gegen sie solle nun „ein Exempel statuiert“ werden. Momentan ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.
Paragraphendschungel
In der schriftlichen Ausfertigung stellte das Gericht fest, Geiger habe gegen Berufspflichten verstoßen. Damit folgten Berufsrichter und ehrenamtliche Richter der BLAK-Auffassung, eine Erbringung von Vertretungsleistungen in selbständiger Tätigkeit sei nicht mit apothekenrechtlichen Vorgaben vereinbar. Sie argumentierten vor allem mit der persönlichen Leistungsverpflichtung des Apothekeninhabers gemäß Betriebserlaubnis und Apothekengesetz, § 7. Darin heißt es, „die Erlaubnis verpflichtet zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung“. Laut BLAK-Interpretation müsse der Leiter also seine pharmazeutische, juristische, wirtschaftliche und organisatorische Leitungskompetenz sowie die entsprechenden Verpflichtungen beibehalten, was im Vertretungsfall nur bei Angestellten, entsprechend weisungsgebunden, möglich wäre. Für einen freien Mitarbeiter sei es typisch, heißt es im Urteil, „dass er Zeit und Inhalt seiner Dienstleistung selbst bestimmen kann“.
Im Netz der Juristerei
Geiger argumentiert, dass sich „aus besagten Stellen, welche die Vertretung betreffen, nämlich dem Apothekengesetzt, §7, und der Apothekenbetriebsordnung, §2, nicht ableiten lässt, dass ein Arbeitsvertrag zwingend erforderlich ist.“ Kammer-Vertreter wiederum berufen sich unter anderem auf das Landgericht Verden. Damals hatten Richter einen Vertrag zur Chefvertretung auf Honorarbasis für ungültig erklärt. Geiger: „Dieses Urteil, sofern man um die Hintergründe weiß, treibt die Begründung durch Weisungsbefugnis ad absurdum, da der Inhaber schwer erkrankt war und damit zwangsläufig keine Anordnungen mehr erteilen konnte.“ Bald darauf verschied dieser tatsächlich – unter den Erben entbrannte ein Streit, ob Honorare zu zahlen seien. Auch das „Visavia-Urteil“ zeigt keine Parallelen zur aktuellen Situation: Die Versorgung von Kunden über ein Multimedia-Terminal sei nicht auf den besonderen Fall der Vertretung laut ApoBetrO übertragbar. Geiger: „Ich bin vor Ort, wurde vom Inhaber beauftragt und vertrete ihn während seiner Abwesenheit.“
Ein Ziel – verschiedene Rechtsnormen
Die Apothekerin aus Seefeld wundert sich zudem, warum bei Zahnärzten oder Ärzten Vertretungen auf Honorarbasis, sowohl in der Praxis, als auch im Krankenhaus, funktionieren: „Auch hier müsste es doch rechtliche Probleme geben mit der Weisung, mit eingeschränkter Wahl von Ort und Zeit.“ Dem hielt das Gericht entgegen, beim Betrieb einer Apotheke gehe es darum, „dass eine zuständige Behörde prüft, ob der jeweils angestellte Apotheker die Voraussetzungen des § 2 des Apothekengesetzes besitzt, die da wären, dass er unter anderem (…) die deutsche Approbation als Apotheker besitzt und (…) die für den Betrieb einer Apotheke erforderliche Zuverlässigkeit besitzt“. Soweit, so gut – nur wer prüft bei langjährig angestellten Apothekern, ob sie trotz Approbation die geforderte Zuverlässigkeit nicht schon längst verwirkt haben? Fragen über Fragen, und Inhaber stehen mit dem Vertretungsproblem oft allein da.
Notfall im HV
Wie Geiger berichtet, können sich Apotheken mit Umsätzen unter 1,2 Millionen Euro, bundesweit immerhin zirka 8.000, neben dem Leiter oft nur eine weitere approbierte Teilzeitkraft sowie eine PTA oder PKA leisten. Darauf zielte auch der richterliche Passus, es sei zu berücksichtigen, „dass es sich um gar keine echte Vertretungstätigkeit handelt, sondern nur um eine zeitlich befristete Aushilfe“. Dem widerspricht Geiger ganz entschieden: „Ich habe schon größere Apotheken erlebt, in denen beispielsweise der Chef Urlaub hatte, eine approbierte Kraft plötzlich erkrankte und die zweite wegen eines Notfalls in der Familie dringend weg musste.“ Hier argumentierten Richter, eine „Anstellung im Rahmen eines Anstellungsvertrages“ könne „jederzeit nachgeholt werden“. Mit Hinweis auf ein Urteil aus dem Jahr 2004 zeigt Geiger mögliche Konsequenzen auf: Das Bundesarbeitsgericht erklärte, Befristungen erforderten generell eine Schriftform – ansonsten seien unbefristete Arbeitsverhältnisse die Folge, auch bei nachträglich verfassten Arbeitsverträgen. Wie ist die Sachlage in anderen Bereichen des öffentlichen Rechts?
Alternative Betrachtungsweisen irrelevant?
Sozial- und finanzrechtliche Streitpunkte kamen während der Verhandlung in München nicht zum Zuge: „Die Auseinandersetzung mit apothekenrechtlichen Bestimmungen ist nicht Aufgabe der Finanzbehörden“, heißt es im Urteil des Berufsgerichts. Können diese Bereiche so einfach ausgeblendet werden? Geiger argumentiert mit Einschätzungen der Deutschen Rentenversicherung Bund: Im „Katalog bestimmter Berufsgruppen zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit“ werden explizit Vertreter eines niedergelassenen Arztes, Zahnarztes oder Apothekers aufgeführt. Andererseits ist immer wieder zu lesen, Apothekenleiter bekämen Probleme, sollte es zu einer Betriebsprüfung durch den Sozialversicherungsträger kommen. „ Dazu dürfte ein lang verschollener Richterspruch den meisten Kollegen nicht bekannt sein – dieser wird in der Diskussion meist nicht erwähnt“, erzählt Geiger. Besagtes Urteil aus dem Jahr 1967 widerspricht klar einer Abgabenpflicht. Viele Argumente für freiberufliche Vertreter – jetzt sind weitere Schritte gefragt.
Ideelle und materielle Unterstützung
Ansonsten käme es zu weitreichenden Konsequenzen: „Einerseits würden etliche Apotheker, PI und Vorexaminierte kriminalisiert, die zurzeit Vertretungen auf Honorarbasis ausüben“, so Geiger. „Andererseits bleibt bei kurzfristigen Ausfällen dann nur noch eine Option, nämlich die Apotheke zu schließen“ – was weder im Interesse der Apothekeninhaber noch im Interesse der Kunden sein kann. Momentan erwägt Sandra Geiger deshalb, weiter zu kämpfen und Berufung gegen das Urteil einzulegen. „Ich bitte alle betroffenen Kolleginnen und Kollegen um ideelle, aber auch um monetäre Unterstützung“, sagt sie. Geplant ist, ein Gutachten bei einer renommierten Kanzlei für Medizinrecht in Auftrag zu geben. Doch dafür fehlt momentan das nötige Geld.
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