Von sieben Millionen Menschen mit Diabetes mellitus in Deutschland haben etwa fünf bis zehn Prozent einen Typ-1-Diabetes. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft hat ihre aktualisierte evidenzbasierte S3-Leitlinie zur Therapie des Typ-1-Diabetes verabschiedet.
Ziel der aktualisierten Fassung ist es u.a., die Rate diabetesassoziierter Komplikationen und diabetesassoziierter Folgeschäden zu senken. Erstmals wird auch die Diagnostik und Behandlung von Lipodystrophien beschrieben. Insgesamt soll die Lebensqualität von Patienten mit Typ-1-Diabetes verbessert werden. Die Leitlinie geht auch auf die Versorgung im klinischen Bereich ein, auf den Schutz vor Hypoglykämien und auf Schulungsmaßnahmen. Insulintherapie, Ernährung, Schulung und psychosoziale Betreuung, das sind die vier Säulen der modernen Diabetestherapie.
Ziel: Patient als ärztlicher Partner
Einer der Autoren der Leitlinie ist der DDG-Pressesprecher Professor Dr. med. Andreas Fritsche aus Tübingen. Er ist der Auffassung, dass der Patient eine herausragende Rolle einnimmt und sieht ihn quasi als Co-Therapeuten: "Von Menschen mit Typ-1-Diabetes erwarten Ärzte in der Regel, dass sie die Therapie - unter ärztlicher Anweisung - selbst umsetzen." Die Leitlinien empfehlen, den HbA1c-Zielwert individuell mit dem Patienten zu vereinbaren und dabei in der Regel einen HbA1c-Zielwert im Bereich < 7,5 % anzustreben.
Es gilt als gesichert, dass eine intensivierte Insulintherapie und Betreuung der Menschen mit Typ-1-Diabetes im Vergleich zu einer konventionellen Insulintherapie und Betreuung zu einer stärkeren Senkung des HbA1c-Wertes führt. Die Wahl der Höhe des HbA1c-Zielwertes sollte stets ein Kompromiss zwischen dem Risiko für Hypoglykämien, dem erwartbaren Nutzen der Risikoreduktion hinsichtlich diabetesbedingter Folgekomplikationen, der Patientenpräferenz und den Möglichkeiten des Patienten zur Therapieadhärenz sein, wobei etwaige Komorbiditäten zu berücksichtigen sind.
Kontrolle: beim Bruch der HbA1c-Vereinbarung
Menschen mit Typ-1-Diabetes sollen mindestens 4mal täglich (vor dem Essen und vor dem zu Bett gehen) eine Blutglukoseselbstmessung durchführen. Eine postprandiale Blutglukosekontrolle sollte erwogen werden, wenn Differenzen zwischen den vereinbarten HbA1c-Zielwerten und den entsprechenden präprandial gemessenen Blutglukosewerten einer Abklärung 130–160 mg/dl bzw. 7,2–8,9 mmol/mol. bedürfen. Orientierungswerte hinsichtlich der postprandialen Blutglukosewerte (1,2 Std., kapillär) sind 130–160 mg/dl bzw. 7,2–8,9 mmol/mol.
Insulin: Intensiviert
Für die Mehrzahl der Patienten muss die Insulindosis (basal und prandial) sekundär individuell angepasst werden. Der Insulinbedarf wird umso höher ausfallen, je stärker die metabolische Entgleisung und damit die sekundäre Insulinresistenz ausgeprägt ist. Umgekehrt reduziert bei nur teilweisem Betazellverlust die verbliebene Insulinrestsekretion den täglichen Insulinbedarf des Patienten. Die DCC-Studie wies eine Bandbreite individueller Insulindosis zwischen 0,4 und 0,85 E/kg/h auf.
„Die intensivierte Insulintherapie sollte der Behandlungsstandard bei Menschen mit Typ-1-Diabetes sein“, so die Empfehlung der neuen Leitlinie. Die intensivierte Insulintherapie ist aufgrund der DCC-Studie definiert als Gabe von mindestens drei Insulininjektionen pro Tag. Vor allem aber ist sie gekennzeichnet durch eine Substitution von basalem Insulinbedarf mit langwirkendem „Basalinsulin“ und prandialem Insulinbedarf mit kurzwirksamem „Bolusinsulin“ zu den Mahlzeiten.
Die bisherigen Studien zeigen überwiegend einen statistisch signifikanten, jedoch klinisch marginalen positiven Effekt der Insulinanaloga auf den HbA1c-Wert der Typ-1-Diabetiker. Bezüglich des Risikos von Hypoglykämien liegen keine konsistenten Ergebnisse für einen Zusatznutzen gegenüber Humaninsulinen vor. Die Mehrzahl der Experten der DDG und der hinzugezogenen Organisationen werten beide Insulinarten als gleichermaßen zur Insulintherapie geeignet. Die Indikation für Insulinanaloga wird insbesondere dort gesehen, wo Patienten ausgeprägt zur Hypoglykämie neigen.
Die Unterschiede der subkutanen Durchblutung in verschiedenen Körperregionen tragen wesentlich zur Variabilität der Resorptionsgeschwindigkeit bei:
Die regionalen Resorptionsunterschiede sollten bei der Therapiegestaltung berücksichtigt und genutzt werden. Heiße Bäder, Heizkissen, Sauna, Umschläge oder Massagen fördern die Insulinresorption. Ernährung: Diabetikerprodukte sind nutzlos
Eine weitere Säule der Leitlinien ist die Schulung des Patienten über die Blutglukoseauswirkung von Kohlenhydraten, Fetten und Eiweißen. Vernichtend fällt das Urteil der Leitlinienautoren über „Diabetikerprodukte“ aus: „Nahrungsmittel, die als spezielle Diabetikerprodukte angeboten werden (z. B. Diabetikergebäck, Diabetikerschokolade), sind für Menschen mit Typ-1-Diabetes nicht notwendig. Vielmehr sind sie gegenüber allgemeinen Nahrungsmitteln meist teurer und enthalten häufig mehr Fett und Kalorien“.
Schulung: Linda & Co nicht wirklich wirkungsvoll
Patienten sollen dahingehend beraten werden, dass sie die Insulindosis ein Leben lang an den aktuellen Blutzucker, die Kohlenhydrataufnahme und die körperliche Bewegung anpassen. Das „Behandlungs- und Schulungsprogramm für Typ-1-Diabetiker“ ist das einzige ausreichend evaluierte Basisschulungsprogramm für Menschen mit Typ-1-Diabetes in Deutschland. Ein Nutzen für andere Programme ist nicht belegt oder sogar negativ. In der DCC-Studie, die eine nichtstandardisierte Schulung beinhaltet, war die HbA1c-Senkung mit einer Steigerung des Hypoglykämierisikos verknüpft. Programme wie HyPOS, LINDA, SUBITO, BGAT und andere wurden sehr kritisch unter die Lupe genommen.
Psychosoziale Betreuung
Die psychosoziale Betreuung von Menschen mit Typ-1-Diabetes ist eine entscheidende Säule der Therapie. Da die aktualisierte Langfassung dieser gesonderten Leitlinie zur Verfügung steht, wird in den S3-Leitlinien darauf jedoch nicht näher eingegangen. Die Vermeidung von Hypoglykämien ist eine der größten Herausforderungen bei der Erreichung eines möglichst normnahen Blutglukosespiegels. Die so genannte Hypoglykämiewahrnehmungsstörung (Hypoglycaemia unawareness) ist ein wesentlicher Risikofaktor für das Auftreten von schweren Hypoglykämien.
Glucose bitte verdünnen
Hinsichtlich der Angabe, dass die 50% Glucoselösung pur und als Bolus gegeben wird, sollten die Leitlinien nachgebessert werden. In der Konzentration kann die Lösung zum Veröden von Krampfadern verwendet werden. Die intravenöse Gabe von Glukoselösung ist definitiv invasiver als die orale Applikation. Viele Hersteller einer Glucose 40 % Lösung untersagen strikt die Gabe einer unverdünnten Lösung. „Nur verdünnt als Zusatz zu Infusionslösungen“ steht eindeutig und ohne Interpretationsmöglichkeit in der wissenschaftlichen Fachinformation. Weicht der Anwender von der in der Fachinformation genannten Indikation oder der Art der Anwendung ab, wendet er das Arzneimittel nach dem „off-label-use“ an.
Die Verdünnung sollte VOR und nicht AM oder IM Patienten stattfinden. Wegen der großen Gefahr bei paravenöser Injektion sollte die 40%ige Lösung mindestens 1:1 mit 0,9%iger NaCl-Lsg. verdünnt werden. Bei der Verdünnung mit einer „laufenden“ Infusionslösung am Dreiwegehahn kann unverdünnte, hochosmolare Lösung ins Gewebe gelangen. Hypertone Lösungen entziehen den Erythrozyten Wasser, wodurch diese schrumpfen und die sogenannte Stechapfelform (Echinozyt) annehmen. In hypotonen Lösungen strömt hingegen Wasser in die Erythrozyten ein und lässt diese anschwellen (Sphärozyt). Im Extremfall können sie platzen und Hämoglobin freisetzen.
Glukose dient den Erythrozyten zur Energiegewinnung und wird über Transporter von den Zellen aus dem Blutplasma aufgenommen. Durch ein Glukoseüberangebot kann gleichfalls eine kolloidosmotische Hämolyse ausgelöst werden. Die neuen S3-Leitlinien sind didaktisch gut aufbereitet, berücksichtigen viele Meinungen und orientieren sich am aktuellen Standard.