Forscher, die zuletzt an einer Krebstherapie mit dem eigenen Immunsystem arbeiteten, mussten Rückschläge einstecken. Aber: T-Zellen, die per Gentechnik bewaffnet werden, können Tumorzellen komplett zerstören.
Wer am 12. September letzten Jahres die New York Times las, könnte genauso wie Ärzte an der Universität in Philadephia einmal kurz an eine medizinische Sensation gedacht haben: Es schien, als hätte man den Durchbruch im Kampf gegen den Krebs geschafft.
Komplette Remission statt ein bisschen Hoffnung
Die Zeitung berichtete über drei Leukämie-Patienten, alle drei austherapiert. Sie stellten sich Carl June und seinen Kollegen für einen Versuch einer adoptiven T-Zell-Therapie zur Verfügung. Im Herbst 2010 entnahmen die Ärzte ihrem Patienten William Ludwig rund eine Milliarde T-Zellen, veränderten deren Genom dermaßen, dass sie sich nun gegen B-Zellen richteten und gaben sie dem Blutkreislauf zurück. Arzt und Patient hatten sich mit dieser Therapie einen weiteren Schlag gegen die chronisch lymphatische B-Zell-Leukämie erhofft, ein paar Monate weitere Lebenszeit. Was sie nicht erwarteten, war eine komplette Remission, ein vollständiges Verschwinden der Tumorzellen aus dem Körper für nun mindestens ein Jahr. 20 Kilogramm schwerer, als am Ende der Chemotherapie, sagte Ludwig in einem Interview: Ich fühle mich großartig. Ich bin gerade über 18 Löcher auf dem Golfkurs gegangen.“ Zumindest bei zwei der drei Patienten dauerte die komplette Remission beim Erscheinen des Artikels an, beim dritten Patienten registrierten die Onkologen zumindest eine partielle Remission.
Noch sind es nur drei Patienten und nach einem Jahr gelten auch sie noch nicht als geheilt. Aber zusammen mit neueren Ergebnissen einer weiteren Gruppe um Steven Rosenberg am amerikanischen National Institute of Health bedeuten die Erfolge einen großen Schritt vorwärts bei der Suche nach scharfen Waffen gegen transformierte Zellen.
In „Science Translational Medicine“ und dem „New England Journal of Medicine“ erschienen im August letzten Jahres die Details über die erfolgreiche Therapie. Nach der Entnahme der T-Zellen und ihrer Anreicherung in vitro depletierten die Ärzte die restlichen Lymphozyten im Körper. Ein HIV-Vektor stattete die autologen T-Zellen mit der DNA eines „chimären Antigen Rezeptors“ (CAR) aus, der sich gegen das B-Zell-Antigen CD19 richtete und gleichzeitig Elemente für die notwendige Kostimulation enthielt, CD137 und die ζ (zeta-)Kette des T-Zell-Rezeptors. Nach der Infusion vermehrten sich die T-Zellen im Kampf gegen transformierte, aber auch verbliebene normale B-Zellen um den Faktor 1.000 bis 10.000.
Maus-Dosis mit enormer Schlagkraft
Schüttelfrost, Fieber, Fatigue und große Schwankungen des Blutdrucks irritierten zunächst die Beteiligten. Verantwortlich dafür waren inflammatorische Zytokine wie IFN-γ oder IL-6, die bis zum 160-fachen ihres Normalwerts anstiegen. Wie sich herausstellte, standen diese Symptome für den wirkungsvollen Kampf CAR-Zelle gegen Tumoren. Einem der drei Patienten (er hatte eine komplette Remission) konnten die Ärzte nur rund 150.000 T-Zellen pro Kilogramm Körpergewicht Zellen zurückgeben, eine „Dosis für Mäuse“, wie Carl June launig kommentierte. Drei Wochen nach der Infusion fanden sich im Körper dieses Patienten keine CLL-Zellen mehr. Aber auch die effizienten B-Zell-Mörder waren bis auf wenige Gedächtniszellen verschwunden.
Antigen-Erkennung unabhängig vom HLA-System
Die Strategie des Teams aus Pennsylvania schloss die gentechnische Veränderung von T-Zellen durch ihren gefährlichsten Feind ein, den HI-Virus, der freilich durch entsprechende Veränderungen im Genom seine Gefährlichkeit verloren hatte. Schon bei anderen Erkrankungen hatte sich dieser effiziente Gentransporter bereits bewährt. Durch die Kombination von spezifischem Rezeptor und zusätzlicher Aktivierungsdomäne in einem Molekül entfällt auch die HLA-Restriktion. Das bedeutet, dass nicht für jeden einzelnen Patienten ein neues Konstrukt notwendig ist.
Lebenslange Last: Immunglobulin-Gaben gegen Infektionen
Einen Erfolg mit ähnlichen Mitteln präsentierte ein Team aus dem National Cancer Institute vor einigen Wochen in der Fachzeitschrift „Blood“. Auch James Kochenderfer und seine Kollegen nutzten CARs mit anti-CD19-Fängern. Entsprechende Domänen im Molekül mit Teilen von CD3, CD28 und CD137 dienten zur Kostimulation. Immerhin erfuhren sechs von acht Patienten mit fortgeschrittenem progressivem B-Zell-Lymphom eine Remission.
Auch hier führten schon kleine Mengen modifizierter T-Zellen zu einem starken Rückgang von B-Zellen, malignen wie benignen. Analog waren hohe Konzentrationen von Zytokinen wie TNF und IFN-γ an der Vernichtung beteiligt, aber produzierten auch starke Hypotonie und Nierenprobleme durch ein Tumorlyse-Syndrom. Ganz ohne Nachteile ist die Methode leider nicht: Die Patienten brauchen - mangels eigener B-Zellen - regelmäßige Immunglobulin-Gaben, um ihre Infektionsabwehr instand zu halten. In früheren Studien attackierten infundierte T-Zellen auch schon einmal gesundes Gewebe. Eine direkte Verbindung mehrerer Todesfälle zu CAR-T-Zellen scheint es jedoch nicht zu geben.
Auch ein deutsches Forschungsteam mischt bei neuen immunologischen Therapien gegen B-Zell-Leukämien fleissig mit. Schon als Phase II-Studie veröffentlichten Wissenschaftler der Biotech-Firma Micromet Ergebnisse mit einem bispezifischen Antikörper (Blinatumomab). Mit seiner anti-CD3-Domäne bringt er T-Zellen mit den B-Zellen zusammen, die er mit dem Anti-CD19-Abschnitt des Moleküls fängt. Das Konzept muss wohl sehr vielversprechend sein, denn Micromet wurde dieses Jahr vom Biotechnologie-Riesen Amgen komplett übernommen.
Truppenabzug nach der Tumorschlacht
Währenddessen möchten sich die Onkologen aus Philadelphia demnächst auch an solide Tumoren wagen. Besonders attraktiv erscheinen ihnen dabei schwer behandelbare Krebsarten wie Mesotheliome und Geschwüre an Ovar und Pankreas. Das allerdings dürfte nicht ganz einfach werden, weil das potentielle Zielantigen auch auf normalem Gewebe in Brust und Abdomen vorkommt. Die Folge wäre, wie Carl June vermutet, eine massive chronische Entzündungsreaktion. Auch die Möglichkeit von lebensgefährlichen Zytokinstürmen besteht beim Frontalangriff auf den Tumor.
Zur Zeit laufen mindestens 10 Studien, die CAR-T-Zellen für den weiteren Gebrauch erproben. Der Vorteil der Methode: Sie taugt auch für den Einsatz, wenn die Möglichkeiten der Chemotherapie ausgereizt sind. Und sie hat - so scheint es zumindest nach den jetzigen Versuchen - einen weiteren attraktiven Pluspunkt: Sie reguliert ihre Truppen von selber, ohne sie ganz zurückzuziehen. Nach Vernichtung der Krebszellen schwindet auch die Zahl der scharfen T-Zellen. Übrig bleiben Gedächtniszellen für die schnelle Reaktion nach einer erneuten Bedrohung. Sollten große Studien die unerwartet guten Ergebnisse bei William Ludwig und anderen Leukämiepatienten bestätigen, wäre das vielleicht keine Sensation, aber ein bedeutender Schritt vorwärts, um irgendwann einmal die Krankheit „Krebs“ in den Griff zu bekommen.