Digitalisierung, Pflege und Krankenhäuser – die gesundheitspolitischen Themen der SPD für die Wahl sind nicht neu. Sie plädiert vehement für eine Bürgerversicherung. Zusammen mit den Grünen und der Linken ist sie damit die dritte und größte Partei, die für den Umstieg ist.
Die Prognosen stehen schlecht für die SPD, seit Wochen sind die Umfragewerte für Martin Schulz und seine Partei auf dem Sinkflug. Auch in der Gesundheitspolitik ist das Wahlprogramm nicht der große Wurf. Den Status Quo erhalten, an einigen Stellschrauben drehen – nur in Sachen Bürgerversicherung steht die SPD ganz anders da als Konkurrentin CDU/CSU. DocCheck News sprach mit Hilde Mattheis, Sprecherin der Arbeitsgruppe Gesundheit. Die 63-Jährige kandidiert nach zwölf Jahren im Bundestag auch dieses Mal wieder in ihrem Wahlkreis in Ulm. Frau Mattheis, in der Gesundheitspolitik gibt es viel zu tun. Wo sehen Sie zurzeit die größten Herausforderungen? Das Thema Pflege bleibt auch in Zukunft wichtig. Wir wollen mehr für das Pflegepersonal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen tun. Erste Schritte zur besseren Bezahlung und Arbeitsbedingungen haben wir in dieser Wahlperiode gemacht, zusätzlich wollen wir nun ein umfassendes Personalbemessungssystem erarbeiten, um den massiven Arbeitsdruck, dem das Personal jetzt ausgesetzt ist, zu senken. Auch die Digitalisierung wird uns weiter beschäftigen. Wir müssen digitale Anwendungen und innovative Ideen für die Versorgung weiter fördern. Wenn die Telematikinfrastruktur endlich steht, können wir darauf aufbauend Anwendungen weiterentwickeln. Insgesamt gesehen haben wir in der hinter uns liegenden Wahlperiode die Finanzierung unseres Gesundheitssystems kaum behandelt. Diese Frage wird aber in Zukunft virulent werden. Jedes Honorarsystem schafft Unzufriedenheit, meint die SPD-Abgeordnete Hilde Mattheis. Sie hatten vier Jahre Zeit, sich mit diesem Thema zu befassen – warum erst jetzt? Man kann uns in der Gesundheitspolitik sicher keine Tatenlosigkeit vorwerfen. Ich kann mich jedenfalls nicht an eine Wahlperiode erinnern, in der wir so viele wichtige Gesetze gemacht haben. Wir sind alle diese Themen in dieser Wahlperiode angegangen, Stichwort: Pflegestärkungsgesetze, E-Health-Gesetz oder Pflegeberufereform. Das Thema Pflegeberufe hätten wir eher abschließen können, aber da hat die Union lange Zeit die Gesetzgebung blockiert. Ein Personalbemessungssystem muss sauber wissenschaftlich erarbeitet werden und das braucht ein bisschen Zeit. Zurzeit wird viel über Sinn und Unsinn der Bürgerversicherung diskutiert. Was will die SPD? Wir wollen zurück zur Parität in der Krankenversicherung, das bedeutet, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber den gleichen Beitrag zahlen. Und wir wollen die Bürgerversicherung. Wie wir aus aktuellen Umfragen wissen, will das auch die Mehrheit der Bevölkerung. Wir halten die Trennung zweier Versicherungssysteme für nicht sinnvoll, denn sie schaffen immer wieder Ungerechtigkeiten. Beide Systeme haben getrennt zunehmend Finanzierungsprobleme. Diese werden sich aufgrund des demografischen Wandels noch verstärken. Wir brauchen daher eine Versicherung für alle Bürger. Für Arbeitnehmer klingt es verlockend, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer den gleichen Beitrag leisten. Doch mit welchen Argumenten wollen Sie dieses Thema den Arbeitgebern schmackhaft machen? Die Parität ist eine Frage der Gerechtigkeit, nicht des Geschmacks einer gesellschaftlichen Gruppe. Die Argumente der Arbeitgeber nach unzumutbaren Kostensteigerungen wurden durch etliche Berechnungen widerlegt, in denen dargelegt wurde, dass die Kostensteigerung sich im einstelligen Centbereich pro Arbeitsstunde bewegt. Deswegen muss niemand Arbeitsplätze abbauen. Immer mehr Krankenhäuser fusionieren zu immer größeren Kliniken. Halten Sie diesen Trend für sinnvoll und, falls nicht, was wollen Sie dagegen tun? Wir haben in Deutschland eine sehr heterogene Krankenhauslandschaft. Im Osten dominieren im Schnitt wenige, aber dafür größere Kliniken, im Süden gibt es dagegen viele kleinere Häuser, oftmals in Trägerschaft von Landkreisen oder Kommunen. Wir sind für einen notwendigen Strukturwandel, denn wir sagen, dass nicht jedes Krankenhaus jede Operation vorhalten muss. Wir wollen die regionale Planung stärken. Es muss ein Gesamtkonzept geben, in das auch kleine Krankenhäuser als Versorgungsstationen passen. Dazu haben wir einen Fonds aufgelegt, der die Krankenhäuser unterstützen soll. Wenn Sie mehr Spezialisierung wünschen, müssen Kliniken schließen. Dazu gab es von Experten der Nationalen Akademie für Wissenschaften ein Diskussionspapier, darin hieß es: An die Stelle von derzeit mehr als 1.600 allgemeinen Krankenhäusern sollten rund 330 Großkliniken treten, mit besserer Ausstattung und mehr Spezialisten. Ist das auch Ihre Meinung? Spezialisierung heißt nicht Schließung, sondern bedeutet, dass nicht jede Klinik jede Operation und Behandlung vorhalten muss. Wie und ob eine Klinik umgewandelt wird, muss vor Ort und nicht in Berlin entschieden werden. Ich halte nicht viel von starren Vorgaben. Wichtig ist, dass die Patienten ein Krankenhaus in ihrer Nähe haben, das eine qualitativ gute Versorgung bietet. Halten Sie die derzeitige Leistungsobergrenzen und Budgetierungen für Ärzte für angemessen? Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass jedes Honorarsystem Unzufriedenheit produziert, weil immer Anreize in die eine oder andere Richtung gesetzt werden. Entweder die Ärzte wähnen sich bei Einzelleistungsvergütung im Hamsterrad oder bei pauschaler Honorierung wird beklagt, dass ein großer Teil der erbrachten Leistungen nicht bezahlt wird. Es ist aber auch keine Lösung, ständig neue Honorarsysteme zu erfinden. Ich plädiere deshalb für eine behutsame Weiterentwicklung, denn ganz ohne eine moderate Mengensteuerung werden wir dabei nicht auskommen. Nennen Sie doch bitte ein Beispiel, wie eine moderate Mengensteuerung aussehen kann. Eine moderate Mengensteuerung berücksichtigt, dass es auch nicht budgetierte Leistungen außerhalb der Gesamtvergütung gibt, die besonders förderungswürdig sind. Sie gestattet Leistungszunahmen bei einzelnen Ärzten und sie vergütet auch Leistungen bei Überschreiten der Mengenbegrenzungen zusätzlich, aber eben nicht zum vollen Preis. Insofern funktioniert die derzeitige Mengensteuerung durchaus moderat.