Weltweit nimmt die Zahl maligner Melanome weiter zu. In einer groß angelegten Studie fanden Epidemiologen Hinweise, dass sich Pathologen bei der Beurteilung von Hautläsionen häufig irren: eine Steilvorlage für erneutes Ärzte-Bashing. Wären da nicht einige methodische Zweifel.
Seit den 1980er Jahren haben sich die altersstandardisierten Erkrankungsraten von Frauen und Männern mehr als verdreifacht, berichtet das Robert Koch-Institut. Laut Barmer GEK fanden Ärzte bundesweit bei 318.000 Personen (0,39 Prozent der Bevölkerung) Melanome und bei 1.304.000 Personen (1,59 Prozent) sonstige bösartige Neubildungen der Haut. Histologisch lassen sich verschiedene Subtypen unterscheiden, was Einfluss auf Diagnostik und Prognose hat. Professor Dr. Joann G. Elmore von der University of Washington School of Medicine aus Seattle wollte wissen, ob Pathologen mit ihrer Einschätzung tatsächlich immer richtig liegen.
Joann G. Elmore © University of Washington School of Medicine Zusammen mit Kollegen hat sie eine aufwändige Studie realisiert und Pathologen aus zehn US-Bundesstaaten kontaktiert. Insgesamt 301 Kollegen erklärten sich bereit, das Projekt zu unterstützen. Von ihnen wurden 207 (69 Prozent) berücksichtigt, und 187 beteiligten sich später an der Beurteilung von Biopsien. Elmore erfasste berufliche Charakteristika aller Probanden. Von ihnen hatten 134 (72 Prozent) keine Affiliation zu akademischen Einrichtungen. Rund 75 Prozent arbeiten in eigenen Praxen. Die Erfahrung mit melanozytären Hautläsionen schwankte stark. 29 Pathologen (16 Prozent) hatten weniger als fünf Jahre mit der Thematik zu tun, und 45 (24 Prozent) gaben fünf bis neun Jahre an. Bei 57 Ärzten (30 Prozent) waren es zehn bis 19 Jahre, und bei 56 Kollegen (30 Prozent) mindestens 20 Jahre. Pro Monat sahen 82 Pathologen (44 Prozent) weniger als fünf melanozytäre Nävi, bei 47 (25 Prozent) waren es fünf bis neun dieser Läsionen, und bei 58 Medizinern (31 Prozent) sogar zehn oder mehr solcher Präparate. Dabei gaben 129 (69 Prozent) an, die Interpretation melanozytärer Hautläsionen mache sie „nervöser als andere Arten von Pathologie“: eine Tatsache, die per se zum Bias führt. In den USA erhalten Patienten horrende Schadensersatzzahlungen, sollten Ärzte Hautkrebs übersehen. Entpuppen sich schwerwiegende Diagnosen im Nachhinein als harmloser, sprechen Richter Betroffenen fast nie Entschädigungen zu. Das führt im Zweifelsfall zur Einteilung von Biopsien in Klassen mit höherem Risiko.
Nach diesen Vorarbeiten wählte Elmore 240 unterschiedliche Shave-, Stanz- und Exzisionsbiopsien aus. Alle Präparate wurden von drei erfahrenen Dermatopathologen begutachtet. Im Konsensusverfahren entstand schließlich eine Diagnose. Aufgrund dieser Informationen teilte die Forscherin alle Schnitte nach steigendem Risiko und nach der erforderlichen Intervention ein. Wie sie zu der Klassifikation kommt, bleibt unklar; harte Kriterien gibt es nicht.
© BMJ 10,4 Prozent aller Biopsien kamen aus Klasse I, 15,0 Prozent aus Klasse II, 25,0 Prozent aus Klasse III, 24,2 Prozent aus Klasse IV und 25,4 Prozent aus Klasse V. Elmore zufolge entspricht die Verteilung nicht dem Praxisalltag von 83,1 Prozent aus der Klasse I, 8,3 % aus Klasse II, 4,5 Prozent aus Klasse III, 2,2 Prozent aus Klasse IV und 1,9 Prozent aus Klasse V. Als Quelle nennt sie unveröffentlichte Daten eines Pacific Northwest Helath Plans. Sie begründet ihre Auswahl mit erforderlichen Therapien. Bei Klasse I ist keine Intervention notwendig.
In Phase eins erhielten alle teilnehmenden Pathologen 36 oder 48 randomisiert ausgewählte Biopsien zur Begutachtung. Was sie nicht wussten: Acht oder mehr Monate später folgte Phase zwei mit denselben Präparaten. Insgesamt sahen sich Ärzte 8.976 Proben an. Die Reproduzierbarkeit beruhte auf Vergleichen zwischen Phasen. Hier kamen Ärzte bei den Klassen I (76,7 Prozent) und V (82,6 Prozent) besonders häufig zum gleichen Resultat. Stärkere Abweichungen gab es bei II (35,2 Prozent), III (59,5 Prozent) und IV (63,2 Prozent). Um Aussagen über die Präzision zu treffen, verglich Elmore Ergebnisse mit Aussagen des Expertenpanels. Gut schnitten Biopsien der Klassen I (92 Prozent) und V (72 Prozent) ab. Deutlich schlechtere Werte fand die Forscherin bei den Klassen II (25 Prozent), III (40 Prozent) und IV (43 Prozent). „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Diagnosen von mäßig atypischen Läsionen bis hin zu frühen Stadien invasiver Melanom weder genau noch reproduzierbar sind“, schreibt Elmore. Lässt sich ihre Aussage wirklich auf die Praxis übertragen?
Methodisch fallen einige Besonderheiten auf: In der echten Welt beurteilen Pathologen nicht nur einen sondern mehrere Schnitte, sollten Unklarheiten bestehen. Ansonsten helfen ihnen Kollegen – und das Labor, um weitere Tests durchzuführen. Nicht zuletzt lohnt sich ein kritischer Blick auf die Behandlung: Neoplasien der Klasse V – sie gehen mit einer deutlich erhöhten Mortalität einher und erfordern komplexere Therapien – stellten kein Problem dar. Sie wurden gut erkannt. Bei den Klassen II bis IV steht therapeutisch die Exzision an erster Stelle, unabhängig von Elmores Klassifikation.