Gefährliches Silikon raus aus dem Körper - das ist die Konsequenz des PIP-Skandals. Die Empfehlung des BfArM legt zwei Baustellen offen: Wer soll die Kosten tragen? Und wie wird zukünftig gesichert, dass so etwas nicht wieder passiert?
Seit Januar 2012 empfiehlt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), dass Brustimplantate der Firma PIP und baugleiche Brustimplantate der Firma Rofil vorsorglich entfernt werden sollen. Für etwa 5.000 bis 10.000 Frauen in Deutschland stellt sich nun die Frage, wer das bezahlen soll. Selbstverständlich geht es ausschließlich um Operations- und Implantatkosten, die nicht medizinisch begründet sind, also um Schönheitsoperationen; bei medizinisch begründeten Implantaten, beispielsweise zur Brustrekonstruktion nach einer Krebserkrankung, werden die gesamten Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.
Für die Explantation kosmetischer Implantate (ohne Reimplantation neuer Silikonkissen) belaufen sich die Kosten (nach DRG) auf etwa 4.000 Euro. Nach Informationen einiger Krankenkassen, darunter die AOK und die Techniker Krankenkasse, werden zuerst die gesamten Kosten über die Chipkarte abgerechnet. Anschließend wird geprüft, in welcher Höhe die Patientin, beispielsweise abhängig von ihrem Einkommen, beteiligt werden kann. Dr. Matthias Gensior, Präsident der Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland e.V. erklärt: „Offiziell müssen die Kassen das sagen, in der Praxis werden aber nach meinen Erfahrungen die Patientinnen nicht zur Kasse gebeten.“ Dennoch besteht dafür im Moment noch keine Verpflichtung. Ganz im Gegenteil, es existiert sogar eine gesetzliche Grundlage für die Kostenbeteiligung: der § 52 Absatz 2 SGB V. In diesem Paragrafen ist verankert, dass eine Krankenkasse den Patienten an den Kosten einer Behandlung beteiligen muss, wenn eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing entstanden ist.
Doch dieser Absatz steht nun zur Disposition. Bundestagsabgeordnete der GRÜNEN und die Fraktion DIE LINKE. fordern, den Paragrafen abzuschaffen und Patientinnen mit PIP-Implantaten die kompletten Kosten zu erstatten. Denn, so sieht es auch Dr. Gensior: „Es handelt sich nämlich hierbei nicht um eine Komplikation der durchgeführten Behandlung, sondern um die Folge einer kriminellen Machenschaft, die weder für Arzt noch für die Patientin vorhersehbar war. Insofern ist der §52 gar nicht zutreffend und auch nicht anzuwenden“.
Solidaritätssystem gegen Schönheitswahn
Wie mit der Situation und den Kosten sinnvoll umgegangen werden soll ist also noch weitgehend unklar. Frau Prof. Dr. Christine Solbach, Leiterin der Senologie der Universitätsklinik Mainz meint gegenüber DocCheck, diese Frage sei auch kritisch zu diskutieren. „Ich kann verstehen, wenn sich der ein oder andere darüber aufregt, dass jetzt die Gemeinschaft die Kosten tragen soll. Doch man darf eine Empfehlung zur Entfernung aller Implantate auch nicht aussprechen, wenn die Betroffenen dann alleine gelassen werden“, erklärt sie. Wenn man das Gesundheitssystem als Solidaritätssystem begreift, dann ist es nachvollziehbar, dass die Kosten nicht nur von den Patientinnen getragen werden. Hinzu kommt, dass sich die betroffenen Frauen nicht ausgesucht haben, ob sie dieses Implantat bekommen oder nicht. Wenn sie dadurch einer Gefährdung ausgesetzt sind, dann möchte man sie nicht im Stich lassen. Der Sprecher des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, Florian Lanz, schlug im Januar eine Beteiligung der Schönheitschirurgen an möglichen Folgekosten vor. "Schönheitsoperationen sind ein lukratives Geschäft für Ärzte. Wir fordern die Ärzte auf, ihre Patientinnen mit den Folgekosten ihres ärztlich-unternehmerischen Handelns jetzt nicht alleine zu lassen", sagte er der Nachrichtenagentur AFP.
Gefahr noch nicht erkannt, Gefahr noch nicht gebannt
Das Problem der PIP-Implantate ist vor allem, dass das Risikoprofil nicht bekannt ist. Zwar wurde eine erhöhte Häufigkeit von Silikon-Bleeding, also einem Austreten von Silikon aus dem Implantat, festgestellt, und das minderwertige Gel führt im Gewebe zu einer erhöhten Reizwirkung. In vitro- und in vivo-Tests an Mäusen ergaben jedoch keine Hinweise auf Genotoxizität und damit auch keinen Anhaltspunkt für eine krebsauslösende Wirkung. Jede Charge von PIP-Implantaten muss eigentlich einzeln betrachtet werden, da es scheinbar keinen festgeschriebenen Ablauf für die Herstellung der Gele gab. Letztlich sind damit die Implantate sehr heterogen und in ihrer Zusammensetzung sehr unterschiedlich. Ob dabei bestimmte Chargen Substanzen und Beimengungen enthalten, die langfristige Folgen haben, ist noch nicht bekannt. Um das besser beurteilen zu können, sollen nun alle Gynäkologen und plastisch-chirurgisch tätige andere Fachärzte, die regelmäßig Silikon-Brustimplantate einsetzen, ihre Daten im Implantatregister der AWOgyn (Arbeitsgemeinschaft für ästhetische, plastische und rekonstruktive Operationsverfahren in der Gynäkologie e.V.) eingeben. „Ich gebe den Patientinnen die Implantate eingepackt mit und empfehle ihnen, sie in den Keller zu legen, bis man weiß, was damit passiert“, erklärt Prof. Solbach das Vorgehen mit den entfernten Implantaten. Zwar gibt es Anbieter im Internet, die toxikologische Tests anbieten, doch von offizieller Seite gibt es bisher keine Empfehlung dazu; es ist ja nicht einmal klar, wonach genau gesucht werden muss.
Wo verläuft die Grenze?
Grundsätzlich gilt in der gesetzlichen Krankenversicherung das Prinzip: Jede und jeder Versicherte wird unabhängig von der Schuldfrage bei medizinischer Notwendigkeit kostenfrei versorgt. Nun forderten die gesetzlichen Krankenkassen von Patienten aufgrund des §52 des fünften Sozialgesetzbuches jährlich unter 100.000 Euro ein – bei einem Milliardenüberschuss eine Summe, die gerade noch zu verkraften sein könnte. Dennoch wird die Diskussion darüber weitergehen, welche Kosten eine Krankenkasse bei medizinisch nicht relevanten Eingriffen und deren Folgen übernehmen soll. Florian Lanz meinte dazu: "Es ist auch zu fragen, ob es richtig wäre, die Solidargemeinschaft die finanziellen Folgen einer individuellen Schönheitsoperation voll tragen zu lassen". Doch an welcher Stelle soll eine Grenze gezogen werden? Was, wenn sich aufgrund schädlicher Substanzen in Tätowierfarben Krebs entwickelt? Sicherlich, der Nachweis, warum ein Krebs entstanden ist, lässt sich nicht leicht führen, aber wenn über die folgenden Behandlungskosten gestritten wird, steht der Patient ganz schön im Regen.
Auf europäischer Ebene müssen sich die Zuständigen Behörden nun über einen Maßnahmenkatalog einigen, der neuerliche Skandale im Bereich der Medizinprodukte sicher verhindern kann. „Die meisten von uns hat es gewundert, dass es überhaupt erneut zu einem solchen Implantat-Skandal kommen kann“, erklärt Prof. Solbach. „Nach dem Skandal in den USA in den 90er Jahren hätte man gedacht, dass die Kontrollen ausreichend scharf wären“. Wieder einmal zeigt sich auch, dass es bei allen angekündigten Kontrollen, egal ob sie bei einem Metzger, einer Pizzeria oder einer Implantatwerkstatt stattfinden, die Möglichkeit der Täuschung gibt. Nun muss das bestehende System dahingehend verbessert werden, dass beim Geschäft mit der Gesundheit nicht arglistig getäuscht werden kann.