Das Münchener Berufsgericht für Heilberufe hatte Apothekerin Sandra Geiger verboten, Inhaber auf freiberuflicher Basis zu vertreten. Jetzt geht sie in Berufung – nicht zuletzt mit Unterstützung der DocCheck-Community. Inhaltlich wirft das Urteil aus erster Instanz etliche Fragen auf, die zu klären sind.
Nachdem Sandra Geiger nicht bereit war, Weisungen der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK) nachzukommen und Chefvertretungen auf Honorarbasis einzustellen, kam es zum Prozess. Geiger unterlag vor dem Berufsgericht für Heilberufe am Landgericht München und hatte gleichzeitig eine Strafe von 3.000 Euro sowie rund 1.000 Euro Prozesskosten am Hals. Der Apothekerin wird vorgeworfen, gegen Berufspflichten verstoßen zu haben: Aufgrund persönlicher Leistungsverpflichtungen von Apothekeninhabern gemäß Betriebserlaubnis und Apothekengesetz, § 7, sei eine Vertretung nur im weisungsgebundenen Angestelltenverhältnis möglich. Doch Geiger tritt weiter für die Sache ein: „Es ist eine Eigendynamik entstanden, die weit mehr Energie in sich vereint als mein persönliches Interesse.“
Rückendeckung aus dem Kollegenkreis
„Ich selbst habe nach dem ersten DocCheck-Beitrag viele Anrufe und E-Mails bekommen“, erzählt die Apothekerin. Sie wurde gefragt, ob man mitprozessieren könne. Selbst Leiter mittelgroßer Apotheken meldeten sich zu Wort und berichten, man könne sich nur eine Teilzeit-Approbierte in Festanstellung leisten. Auch sie benötigen gelegentlich flexible, selbstständig arbeitende Vertreter. Andere sind betroffen, da sie nach dem Verkauf ihrer Apotheke überlegen, Vertretungsleistungen anzubieten. Zur Standespolitik kamen ebenfalls kritische Beiträge. „Dass man das Berufsethos unseres freien Heilberufes in einer Demokratie von Fachverbandsseite untergräbt und schädigt, ist unverständlich. Juristen, egal ob als Richter oder als Mitarbeiter der Apothekerkammer, sind reine Theoretiker und keine Apotheker-Fachleute.“ Ohne flexible Vertretungsregelungen leidet aber nicht nur die Versorgung. Eine Inhaberin gab zu bedenken, durch diese Regelungswut werde ihr Familienleben zerstört. Ihr fehlen Möglichkeiten, schnell, unbürokratisch und legal Aushilfen zu bekommen. Grund genug, zu handeln.
Auf zur zweiten Runde!
Mittlerweile sind über Geigers Website von Mitgliedern der DocCheck-Community und weiteren Kollegen knapp 1000 Euro zusammengekommen. „Dazu haben auch viele kleinere Spenden beigetragen“, sagt die Apothekerin. Sie hat kürzlich Revision sowie Beschwerde gegen die Prozesskosten eingelegt und freut sich über jede Unterstützung: „Wir als Apotheker sollten uns endlich als Gemeinschaft verstehen, als Heilberufler, die einen freien Beruf ausüben, aber auch gemeinsam politische Ziele verfolgen.“
Keine Einigkeit der Kammern
Die Landesapothekerkammern waren in der Zwischenzeit ebenfalls nicht untätig. Sandra Geiger liegen Informationen vor, dass Anfang Mai ein Treffen aller Vorstände, Geschäftsführer und Justiziare in Dresden stattfand. Das Ziel, mit einem Grundsatzpapier die gemeinsame Marschrichtung zu bestimmen, wurde offensichtlich verfehlt, an die Öffentlichkeit ist nichts gelangt. Viel deutet darauf hin, dass die Vertretungsproblematik Kammern in zwei Lager spaltet: Befürworter und Gegner der aktuellen Rechtsprechung. „Nachweislich wollen einige Kammern ihren Mitgliedern die selbständige Vertretung nicht verwehren, andere sind dagegen oder sagen, sie seien nicht zuständig“, erzählt Geiger. Und so werden an Mitglieder mancherorts Stellungnahmen mit unverbindlichen Termini wie „Unseres Erachtens [...]“ verschickt – allein, um sich den Rücken freizuhalten. Im Nachgang des „Dresdner Treffens“ wandte sich Hauke Hermes an alle Apothekerkammern sowie an die ABDA. Der Consultant hat sich über Jahre immer wieder mit dem Thema befasst und sieht mehrere Spannungsfelder.
Auf Kollisionskurs
Wird das Münchener Urteil rechtskräftig, stellen Richter eine jahrzehntelange Praxis in Frage: Gerade in kleineren und mittleren Apotheken sind früher Eltern eingesprungen, um ihrer Kinder unbürokratisch zu vertreten. Das Berufsgericht kapriziert sich jetzt vor allem auf eine persönliche Leistungsverpflichtung des Apothekeninhabers gemäß Betriebserlaubnis und Apothekengesetz, § 7 – nur im Angestelltenverhältnis möglich. Das ist keineswegs so klar wie oftmals dargestellt: Je nach inhaltlicher Gestaltung erlauben auch Honorarverträge, alle notwendigen Verpflichtungen zu übertragen. Entsprechende Vorschriften des Apothekenrechts müssen Vertreter ohnehin beachten. Dazu gehört im weiteren Sinne auch eine Dienstpflicht der Apotheke inklusive Ort der Arbeitsleistung beziehungsweise Nacht- und Notdienst. Ob Angestellter oder Honorarkraft – bei pharmazeutischen Fragen sind Weisungen an Apotheker ohnehin nicht legitim. Auch stellt sich die Frage, wie Apothekeninhaber, die wirklich schwer erkrankt sind oder fernab der Zivilisation Urlaub machen, Direktiven erteilen sollen. Genau hier sieht die ApBetrO, §2, aber Vertretungen vor – ein Widerspruch in sich. „Die ApBetrO lässt keinen Platz für anderweitige Auslegungen. Interpretationen über das Leitbild des Apothekers in seiner Apotheke seitens des Gerichts sind deshalb ebenso ungeeignet, wie die Verweise auf das ApoG §7 oder auch ApBetrO §3 aus Schreiben der BLAK“, so Hermes.
Umfassende Betrachtung erforderlich
Andere Betrachtungsweisen liefern ebenfalls kaum Argumente für Vertretungen im Angestelltenverhältnis. In entsprechenden Clearings der Deutschen Rentenversicherung Bund wurden Apotheker explizit als Freiberufler erwähnt. Mögliche Nachzahlungen von Inhabern sind damit extrem unwahrscheinlich. Andererseits macht die im Notfall empfohlene Anstellung Probleme: Laut „Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge“ (TzBfG), §14 (4) und §16, könnten daraus unbefristete Arbeitsverhältnisse entstehen. Hermes verweist zudem auf europäische Rechtsnormen: Entsprechend ihrer Qualifikation dürfen Bürger Dienstleistungen in allen EU-Mitgliedsstaaten anbieten – auch freiberufliche Chef-Vertretungen. Ob das deutsche Apothekengesetz einer europäischen Überprüfung standhalten würde, ist nicht geklärt.
Wer haftet wann?
Laut Hauke Hermes können angestellte Apotheker auch aus haftungsrechtlicher Sicht den Chef nur vertreten, solange eine persönliche Leitung beziehungsweise die damit verbundene Weisung möglich ist. Zum Hintergrund: Passieren im Rahmen üblicher Tätigkeiten Fehler, misst sich die Haftung von Angestellten am Grad ihres Verschuldens. Bei leichter Fahrlässigkeit liegt das Risiko ganz auf Seiten des Arbeitgebers. Ist der Chef aber während seiner Trekkingtour nicht erreichbar, tritt schon das erste Problem auf: Wie sollen überhaupt Weisungen erteilt werden? Selbständige Kollegen haften als Einzelunternehmer jedoch mit ihrem Vermögen. Wenn sie vertreten, sind sie auch Regressempfänger, solange keine Kollision mit weiteren Selbständigen auftritt.
Warten auf die nächste Instanz
Angesichts zahlreicher Fragen warten jetzt alle Beteiligten auf den nächsten Gerichtstermin. Dann wird viel auf dem Spiel stehen – für Sandra Geiger, für ihre zahllosen Kollegen, die Vertretungen auf Honorarbasis übernehmen, aber vor allem für Apothekenleiter, die auf selbständige Vertretungen angewiesen sind.
Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie: Chefvertretung: Apothekerin wehrt sich