Die Psychodynamische Kurzzeittherapie ist bei Angststörungen und Depressionen genauso wirksam wie der verhaltenstherapeutische, lösungsorienterte Ansatz. Das ist das Ergebnis einer aktuellen, randomisierten Studie aus Finnland mit 198 Studienteilnehmern.
Angststörungen und Depressionen sind weit verbreitet und kommen häufig gemeinsam vor. Etwa 10% der Allgemeinbevölkerung leiden an einer Angststörung. Eine depressive Störung tritt innerhalb von 12 Monaten etwa bei 8% der Frauen und 4% der Männer in Deutschland auf. Sekundär sind etwa 80% der Patienten mit einer Panikstörung von einer depressiven Störung betroffen. Umgekehrt leiden 74% der depressiven Patienten zugleich an einer weiteren psychischen Störung. Die "reine Depression" findet sich also relativ selten, und zwar nur bei etwa 26% der Patienten mit Depressionen.
Bei Angststörungen und Depressionen werden gemäß den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in der Regel die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und/oder Medikamente verordnet. Die kognitive Verhaltenstherapie weist bei der generalisierten Angststörung entsprechend der bisherigen Studienlage einen höheren Evidenzgrad auf als die psychodynamische Psychotherapie (Evidenzgrad IIA vs. III B, DGPPN-Leitlinie, Stand: 2000). Die psychodynamische Psychotherapie geht zurück auf die Psychoanalyse von Sigmund Freud. Sie nimmt das Unbewusste sehr stark in den Blick, erforscht also, was der Patient unbewusst denkt, fühlt oder will. Die Verhaltenstherapie erscheint vielen "handfester", denn sie orientiert sich am Verhalten und am bewussten Denken. Dass die psychodynamische Psychotherapie dennoch eine gute Alternative ist, zeigen aktuell Timo Maljanen et al. von der Finnischen Sozialversicherung, Helsinki. Sie eruierten in ihrer randomisierten Studie die Kosteneffektivität von psychodynamischer und lösungsorientierter Kurzzeittherapie.
Signifikante Verbesserung
Die Studie basiert auf den Daten der "Helsinki Psychotherapie-Studie". Von 198 Studienteilnehmern im Alter zwischen 20 und 45 Jahren wurden 101 Patienten der psychodynamischen Therapiegruppe und 97 der lösungsorientierten Gruppe randomisiert zugeordnet. Die psychiatrischen Symptome wurden mittels verschiedener Instrumente erfasst (Beck Depressions-Inventar, Hamilton-Depressionsskala, Symptom-Checkliste für Ängstlichkeit und Hamilton-Angst-Skala). Ein Jahr nach Behandlungsbeginn hatten sich die Symptome der Patienten beider Gruppen signifikant gebessert. Zwischen den Gruppen bestanden keine signifikanten Unterschiede in den Behandlungsergebnissen.
Bei der Auswertung der Kosten wurden sowohl die direkten Kosten (Therapiesitzungen, ambulante Arztbesuche, Medikation, stationäre Aufenthalte) als auch die indirekten Kosten (Abwesenheit vom Arbeitsplatz, Wert der vernachlässigten Hausarbeit, verlorene Erholungszeit, Inanspruchnahme nicht entlohnter Hilfen) berücksichtigt. Die direkten Kosten, die aufgrund der psychischen Störungen in den Gruppen entstanden sind, unterschieden sich geringfügig, aber nicht signifikant: In der psychodynamischen Therapiegruppe lagen die Kosten bei 1.791 Euro, in der lösungsorientierten Gruppe waren sie um 346 Euro höher. Die Autoren konnten also im Hinblick auf die Kosteneffektivität keinen Unterschied zwischen den beiden Verfahren feststellen.
Kurzzeittherapien wirken schneller, Langzeittherapien länger
Dieses Ergebnis untermauert die Ergebnisse einer früheren finnischen Studie. Auch hier konnten die Autoren nachweisen, dass die psychodynamische und die lösungsorientierte Kurzzeittherapie zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Zu nachhaltigen Verbesserungen führte allerdings nur die psychodynamische Langzeittherapie. In der damaligen Studie randomisierten die Wissenschaftler 326 ambulante Patienten mit affektiven Störungen (84,7%) oder Angststörungen (43,6%) auf drei Gruppen: psychodynamische Langzeittherapie, psychodynamische Kurzzeittherapie und lösungsorientierte Kurzzeittherapie. Primäres Outcome waren die Ergebnisse im Becks Depressionsinventar, in der Hamilton-Depressionsskala, der SCL90-Angst-Skala und der Hamilton-Angst-Skala (HAMA).
Zwar zeigten sich ein Jahr nach Therapiebeginn bei den Kurzzeittherapien bessere Ergebnisse als bei der Langzeittherapie (15-27% geringere Scores in den Outcome-Parametern), doch nach 3 Jahren waren die Patienten der psychodynamischen Langzeittherapie im Vorteil: Sie hatten zwischen 14 und 37% geringere Skalenwerte als die Vergleichsgruppen. Die Autoren konnten somit zeigen, dass sowohl die psychodynamische als auch die lösungsorientierte Kurzzeittherapie schneller zu besseren Ergebnissen führen, dass auf längere Sicht jedoch die psychodynamische Langzeittherapie eine deutlichere Wirkung zeigt.
"Weniger Studien heißt nicht weniger wirksam"
Durch Studienergebnisse wie diese kann die Frage "Psychodynamische Therapie oder Verhaltenstherapie?" leichter beantwortet werden. Die individuellen Bedürfnisse des Patienten im Blick zu behalten, ist dabei mindestens genauso wichtig wie die Versorgung mit wissenschaftlich anerkannten Verfahren. Manche Patienten kommen besser mit einer psychodynamischen Therapie zurecht, andere mit der Verhaltenstherapie. Außerdem beschreibt der amerikanische Psychotherapieforscher Jonathan Shedler bei Facebook am 22.4.2012 sehr gut, dass die Therapieverfahren oft gar nicht so strikt voneinander getrennt sind, wie viele meinen: Beispielsweise lassen sich in der Verhaltenstherapie oft auch psychodynamische Elemente finden. Offensichtlich wächst die Zahl der kontrollierten Studien, die auch den psychodynamischen Therapien eine gute Wirksamkeit bescheinigen ‑ man kann gespannt sein, in welcher Weise sich die Leitlinien im Laufe der Jahre verändern werden.