Beim EM-Vorrunden-Spiel gegen Dänemark war es wieder einmal so weit: In den letzten Spielminuten fieberte das ganze Land kurz vor Toresschluss. Eine immense Verschwendung von Nebennierenressourcen, wie unsere Modellrechnung zeigt.
Es war eine kongeniale Studie. Während Fußball-Deutschland im Sommermärchen des Jahres 2006 schwelgte, analysierte die Ärztin Ute Wilbert-Lampen mit ein paar Kollegen einige simple Datensätze und stellte einige auch nicht weiter komplizierte statistische Berechnungen an. Belohnt wurde das Ganze mit einer Veröffentlichung im New England Journal of Medicine (2008; 358:475), in der die Münchener zeigen konnten, dass das Risiko akuter kardialer Ereignisse mehr als doppelt so hoch ist als sonst, wenn Fußballspiele mit deutscher Beteiligung im Fernsehen übertragen werden.
Dass dieser Zusammenhang etwas mit den mehr oder weniger physiologischen Stressreaktionen des Körpers zu tun haben könnte, liegt auf der Hand. Auch jetzt droht er wieder, der Adrenalin-Tsunami, der sich wie kollektives Energy-Drink über das Land ergießt wann immer die eigene Mannschaft aufs Feld beziehungsweise in den Fernseher tritt.
Doch von welchen Mengen an Adrenalin reden wir eigentlich? Genaue Zahlen zur Adrenalinausschüttung der Nebenniere in Stresssituationen sind rar, und die interindividuelle Variabilität von Hormonausschüttungen generell ist erheblich. Bekannt ist, dass die Adrenalin-Konzentration im Blut in Ruhe unterhalb von 100 ng/l liegt. Beschrieben ist ferner, dass sie bei akutem Stress teilweise um den Faktor zehn ansteigen kann.
Ein Endspiel reichte für sämtliche Allergiker
Damit lässt sich rechnen. 100 ng/l bei sagen wir einmal sechs Litern Blut macht 600 Nanogramm zirkulierendes Adrenalin maximal im Ruhezustand. Wenn wir jetzt annehmen, dass ein dramatisches Elfmeterschießen die größte Stressreaktion ist, die das Leben eines Fußballfans heimsuchen kann, dann würde sich die Adrenalinkonzentration also verzehnfachen. Heißt wir wären bei 1000 ng/l, respektive 6.000 Nanogramm bei sechs Litern Blut. Demnach hätte die Nebenniere, um diesen Level zu erreichen, 5.400 Nanogramm oder 5,4 Mikrogramm zusätzlich ausschütten müssen.
Nun liegt die Halbwertszeit von Adrenalin bei einer bis drei Minuten. Fußballinduzierte Stressreaktionen dauern aber in aller Regel etwas länger. Demnach müssten alle drei Minuten nochmal etwa 3.000 Nanogramm nachgebildet werden, um den Pegel zu halten. Wenn wir 30 Minuten Megastress annehmen, zweite Hälfte Verlängerung plus Elfmeterschießen oder so, dann bräuchten wir 5.400 Nanogramm Initialausschüttung plus 10 x 3.000 Nanogramm gleich 35.400 Nanogramm oder 35,4 Mikrogramm pro Fan allein zum Aufrechterhalten der Serumkonzentration während dieser halben Stunde.
Bei 80 Millionen fiebernder Fußballfans wären das deutschlandweit knapp drei Kilogramm. Nur für ein Elfmeterschießen. Damit wiederum könnte man bei einer Dosis von 2 mg pro Spritze rund 1,5 Millionen Notfallsets für Allergiker bestücken. Mit anderen Worten: Wer seinen Fernseher zum Finale auslässt, verringert nicht nur sein Risiko für kardiale Ereignisse um mehr als die Hälfte. Er kann auch seinem allergiegeplagten Nachbarn wieder aufrecht gegenüber treten.