Im Medizinstudium ist Freizeit ein knapp bemessenes Gut. Doch trotzdem gibt es Studierende, die in ihrer Freizeit einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgehen. Wir haben zwei von ihnen interviewt und stellen Euch kurz die ehrenamtlichen Projekte vor.
Bei 30 bis 40 Wochenstunden durchschnittlich ist der Medizinstudent der am stärksten belastete Student in Deutschland. Nur noch angehende Informatiker haben mit durchschnittlich 32 Stunden eine annähernd hohe Belastung. Alle anderen brauchen zum „Studieren“ 26 Stunden und weniger. Wer daneben auch noch Freunde, Partner, Familie, Freizeit und die Doktorarbeit unterbringen möchte, braucht ein gutes Zeitmanagement.
Soziales Engagement unmöglich?
In einer Umfrage der Landesärztekammer Hessen aus dem Jahre 2004 gaben gut zwei Drittel der Medizinstudierenden an, dass der Umgang mit Menschen Grund für ihr Medizinstudium war. Ein weiterer Grund war für ein Drittel der Befragten die Möglichkeit, Menschen zu helfen. Es stellt sich die Frage, wie - neben einem vollen Stundenplan - diese Aspekte in das Studium integriert werden können. Gerade Fähigkeiten wie der Umgang mit Patienten und andere zwischenmenschliche Aspekte könnten durch ein soziales Engagement trainiert und gefestigt werden. Über 80 Prozent der tätigen Ärzte sind jedoch der Meinung, dass die nachkommende Generation hier Nachholbedarf hat. Doch das muss nicht so sein! Wir haben Interviews mit den beiden Medizinstudierenden Johannes Bittner und Lena Hörmann geführt, für die soziales Engagement definitiv kein Fremdwort ist.
Johannes Bittner, Medizinstudent an der Universität Dresden, ist ehrenamtlich sehr engagiert. Er hat, gemeinsam mit zwei jungen Unternehmern, die Online-Plattform “Was hab’ ich?” gegründet. Wir haben ihn zu seinem Engagement, der Motivation für die Gründung der Plattform und dem Lerneffekt seiner ehrenamtlichen Tätigkeit befragt.
washabich.de
DocCheck: Johannes, bitte beschreibe uns kurz dein Projekt? Johannes: "Was hab' ich?" ist eine Internetplattform, auf der Patienten ihre medizinischen Befunde kostenlos in eine für sie leicht verständliche Sprache übersetzen lassen können. Diese individuellen Übersetzungen werden von einem bundesweiten Team aus Medizinstudenten angefertigt, sie erhalten dabei fachliche Unterstützung von zahlreichen Ärzten. Insgesamt engagieren sich inzwischen nahezu 500 Mediziner ehrenamtlich für das Projekt. Sie haben an inzwischen mehr als 7.000 praxisnahen Fällen gelernt, auch komplizierte medizinische Sachverhalte gut verständlich zu erklären.
DocCheck: Welche Rolle spielst du bei „Was hab’ ich“? Johannes: Ich gehöre neben Anja Kersten und Ansgar Jonietz zum dreiköpfigen Gründerteam von "Was hab' ich?" und bin inzwischen der einzige Medizinstudent in diesem Gespann. Derzeit pausiert mein Studium für ein Jahr, damit ich mich voll und ganz der Projektarbeit widmen kann. Wir müssen unser Medizinerteam ständig erweitern, um der hohen Patientennachfrage gerecht zu werden. Außerdem hat sich aus dem Projekt inzwischen ein richtiges, kleines – übrigens gemeinnütziges – Unternehmen entwickelt, was ständig angetrieben werden muss.
Dankbarkeit als Motivation
DocCheck: Wie findest du neben deinem Alltag als Medizinstudent noch Zeit für deine ehrenamtliche Tätigkeit? Johannes: Wir haben uns zur Anfangszeit von "Was hab' ich?" im Januar 2011 selbst gefragt, warum so viele Medizinstudenten bereit sind, oft sehr viele Stunden pro Woche in das Projekt zu investieren. Inzwischen denken wir, dass neben den offensichtlichen Mehrwerten wie Wissenszuwachs und dem Erwerb zahlreicher Soft Skills vor allem die große Dankbarkeit für das Geleistete eine große Rolle spielt. Wenn ein Patient seine Übersetzung erhält und sich mit dankbaren Worten zurückmeldet, ist das eine tolle Motivation, für die man sich gerne Zeit nimmt!
DocCheck: Was kannst du bei der Arbeit lernen? Johannes: Ich selbst lerne durch "Was hab' ich?" gerade sehr viel darüber, wie man Menschen für eine gute Sache begeistern kann. Aber ich sehe auch, wie unsere zahlreichen engagierten Helfer von ihrer Arbeit profitieren. Von Vorteil ist natürlich der große Bezug zur Medizin durch den Umgang mit realen Befunddokumenten – aber gerade die Sensibilisierung dafür, welche Fachbegriffe ein Patient versteht und wie hilflos er häufig nach einem Arztgespräch ist, ist für das spätere Berufsleben von großem Nutzen.
DocCheck: Für wen könnte ein ehrenamtliches Engagement bei eurem Projekt von Interesse sein? Johannes: Für diejenigen Medizinstudenten, die sich praxisnah ehrenamtlich engagieren möchten. Diese sollten nicht zögern, sich auf https://washabich.de/mitmachen zu informieren und uns zu kontaktieren. Wir suchen ständig Helfer ab dem 8. Fachsemester, um zukünftig noch mehr Menschen helfen zu können.
Lena Hörmann studiert an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg Medizin im zehnten Semester und hat die Ortsgruppe Mannheim der Initiative „ArbeiterKind.de“ gegründet. Wir haben Lena einige Fragen zu dem Projekt gestellt und sie nach den Gründen für ihr soziales Engagement befragt.
ArbeiterKind.de
DocCheck: Lena, könntest du kurz dein Projekt beschreiben? Lena: ArbeiterKind.de ist eine deutschlandweite Initiative, die Schüler aus nicht-akademischen Familien ermutigen und unterstützen möchte, sich auf den Weg in die Hochschule zu machen und wir sind ebenso als Ansprechpartner für alle Arbeiterkinder an den Hochschulen da, sollten sich Fragen und Probleme im Studium ergeben.
Freien Bildungszugang ermöglichen
DocCheck: Wieso engagierst du dich? Lena: Ich engagiere mich, weil ich so einen Beitrag zu einer sozial gerechteren Gesellschaft leisten möchte, in der jeder, unabhängig von seiner Herkunft, einen freien Zugang zu Bildung und zu Chancen im Berufsleben hat. Wir tragen mit unserer Arbeit auch zu einer stärkeren Integration sozial schwächerer Familien und solcher mit Migrationshintergrund bei, da bei diesen häufig ein Informationsdefizit zum deutschen Hochschulsystem und zu Studiermöglichkeiten besteht.
DocCheck: Wie findet man neben dem Studium noch die Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten? Lena: Ab dem 5. Semester (natürlich ist es aber auch früher möglich), finde ich, dass man neben dem Medizinstudium auf jeden Fall Zeit hat, sich zu engagieren. Aber man sollte auch auf anderen Gebieten Engagement zeigen, z.B. bei der Dissertation. Ab und an müssen dann natürlich Prioritäten gesetzt werden, aber da haben wir als Studenten noch große Entscheidungsfreiheiten!
DocCheck: Was kannst du bei der Arbeit lernen? Lena: Bei ArbeiterKind.de kann man sehr gut lernen, wie man als Team Projekte plant und umsetzt, man lernt sehr gut zu organisieren und natürlich auch das Sprechen vor großen Gruppen. Ein zentrales Thema unserer Arbeit ist das Mentoring: Wie führe ich ein gutes Gespräch und wie kann ich meinen Kommunikationsstil der Gesprächssituation am besten anpassen - Gesprächsführung im Speziellen ist sehr wichtig für zukünftige Ärzte!
DocCheck: Was möchtest du unseren Lesern noch mitteilen? Lena: Falls Ihr Euch für unsere Initiative interessiert oder die ersten aus Eurer Familie seid, die studieren, dann sucht unter www.arbeiterkind.de nach Eurer lokalen Ortsgruppe und besucht einfach den nächsten Stammtisch!
Es zeigt sich also, dass auch neben einem anstrengenden Studium ein ehrenamtliches soziales Engagement möglich ist. Natürlich sollte man dabei nicht vergessen, dass die Curricula an jeder Universität unterschiedlich strukturiert sind und ungünstige Stundenpläne jede Freizeit verschlingen können. Vor allem in der Vorklinik ist häufig sehr wenig Zeit - aber auch in der Klinik kann eine Doktorarbeit schnell zum Zeitfresser werden. Wer trotzdem selbst Lust bekommen hat, noch etwas anderes zu machen, findet viele Möglichkeiten, z.B. bei ArbeiterKind.de oder washabich.de, und natürlich auch bei vielen anderen großartigen Projekten.