Wenn kein Medikament hilft, ist die Tiefenhirnstimulation eine Option, Patienten mit neurologischen Erkrankungen zu behandeln. Nachteil: Die elektrischen Impulse können extreme Veränderungen in der Persönlichkeit hervorrufen.
„Es ist schon jetzt der größte Fortschritt nach der Entdeckung des L-Dopa“. So sieht Lars Timmermann von der Uniklinik Köln die Erfolge dieser Therapie für Parkinson-Patienten. Helfen elektrische Impulse im Gehirn genauso wie diejenigen eines Herzschrittmachers?
Besserung innerhalb Minuten
Oft ist das Zittern innerhalb weniger Minuten weg. Die Bewegungsstörungen bessern sich fast schlagartig nachdem der Arzt den Einschaltknopf betätigt hat. Nicht nur bei Morbus Parkinson, auch bei Depressionen scheint sich die Erfolgsgeschichte der Tiefenhirnstimulation fortzusetzen. Thomas Schläpfer von der Bonner Uniklinik berichtet, dass sich von zehn dort behandelten Patienten sieben nach dem Eingriff deutlich besser fühlten.
Noch immer bemühen sich die Neurochirurgen vor allem dann um den Patienten, wenn Medikamente nichts mehr ausrichten können. Für blindes Vertrauen, dass alles wieder gut wird, wenn erst einmal Strom durch die Elektroden fließt, ist es aber zu früh. Denn neben den Risiken bei der Operation führen nicht alle Stimulationseffekte zu einer wirklich besseren Lebensqualität. Gerade bei Parkinson-Patienten verändert sich bei rund jedem Zweiten der Charakter, seine Persönlichkeit. Christiane Woopen beschäftigt sich in einem deutsch-kanadischen Forschungsprojekt mit den psychosozialen Folgen der Hirnschrittmacher. Oft seien Patienten selbstsicherer und motivierter geworden, machmal, so erläutert sie, jedoch auch depressiv oder gar aggressiv. Auch Angehörige sprechen bei rund der Hälfte aller Operierten von einer Charakterveränderung.
Verhaltensänderung auf Knopfdruck
Bei weltweit rund 65 000 Implantationen haben in den letzten 15 Jahren rund 60 Untersuchungen unerwünschte Nebenwirkungen beschrieben. Wahnhafte Störungen, Halluzinationen, Apathie, Hypersexualität oder manische Zustände sind Beispiele dafür. Da ist etwa der 64-Jährige ohne psychische Vorerkrankung, der nach der Tiefenhirnstimulation gegen seine Parkinson-Symptome zur Kleptomanie neigt. Seine Aggressivität äußert sich zuweilen sogar in Handgreiflichkeiten. Ein Architekt malt statt Gebäuden plötzlich weibliche Akte. Ein anderer neigt nach der Stimulation zur Selbstüberschätzung, plant waghalsige Finanzgeschäfte und verbringt viel Zeit mit dem Schreiben religiöser Gedichte, obwohl er sich zuvor nie für spirituelle Fragen interessiert hatte. Ein weiterer Patient entwickelte durch die Stimulation sogar eine Pädophilie. Interessant dabei: Bei einigen ließen sich die manischen Zustände mit dem Schalter für die Elektroden regelrecht an- und ausschalten. Im Off-Modus hatte der Patient wieder mit seinen typischen Krankheitssymptomen zu kämpfen, bereute aber dennoch seine Taten während der manischen Episode.
Beziehungsprobleme durch plötzliche Selbständigkeit
Aber auch allein durch die übergangslose wiedergewonnene Selbständigkeit sind viele Angehörige überfordert. „Manche Angehörige genießen das und die Partnerschaft entwickelt sich noch mal auf neue Weise ganz kreativ,“ beschreibt Woopen ihre Erfahrungen, „andere kommen damit nicht zurecht, auch die Patienten nicht und die Partnerschaft steht vor Problemen.“ So führt die Verbesserung des Zustands von Parkinson-Patienten im schlimmsten Fall zur Trennung. Dabei sind das keine Einzelfälle: Bei jedem zweiten verändert der Hirnschrittmacher die Partnerbeziehung, sehr oft zum Negativen.
Weil aber Morbus Parkinson auch ohne operativen Eingriff zu Persönlichkeitsveränderungen führt, gibt es immer noch keine genauen Zahlen über das Ausmaß der Charakterveränderung per Elektrode. Der Zielpunkt für die Impulse liegt bei dieser Krankheit zumeist im Nucleus subthalamicus, einer Region von der Größe einer Erbse. Die hochfrequenten Impulse stören dabei die Signale der Nervenzellen, die im Gleichklang feuern und damit die Symptome auslösen. Von dort aus laufen viele Bahnen zum limbischen System und beeinflussen damit Charakter und Verhalten. Nicht immer trifft aber der Chirurg diese kleine Region exakt.
Risiko-Check vor der OP
„Im schweren Fällen müssen wir den Stimulator wieder abstellen“ sagt Lars Timmermann. Dann aber war der gefährliche Eingriff ins Gehirn praktisch umsonst. Um die Risiken für solche Misserfolge zu senken, haben die NRW-Kliniken von Köln, Aachen, und Düsseldorf einen Screening-Test entworfen, mit dem die Ärzte schon vor der Operation Tendenzen zu psychischen Störungen erkennen sollen. Gibt es Anzeichen für Depressionen, Defizite bei der kognitiven Flexibilität?
Außer dem „Nicht-Operieren“ gibt es noch Alternativen. Die Stimulation des Globus pallidus internus ruft zwar nicht ganz so drastische Effekte bei der Bewegungssteuerung hervor, beeinflusst aber dafür auch nicht die Psyche. Eine weitere Möglichkeit bietet der Nucleus ventralis intermedius des Thalamus. Auch das Rückenmark könnte eines Tages zum Ziel elektrischer Impulse werden. Denn natürliches Störfeuer kommt bei Parkinson-Patienten nicht nur aus dem Gehirn, sondern in umgekehrter Richtung auch von den Muskeln. Eine Gegenstimulation durchbricht dann diese Feedback-Schleife.
Psychologische Betreuung für alle Elektrodenträger
Bei anderen Krankheiten wie Depression, Zwangsstörungen, ja sogar bei Patienten im Koma, ist eine Veränderung des Wesens nicht unerwünscht. Bei Depressionen regen die Elektroden vorzugsweise Nervenzellen im Nucleus accumbens oder der vorderen Capsula interna an. Unerwartete Reaktionen sind dabei seltener beschrieben, erwünschte Veränderungen entwickeln sich aber auch nicht sofort, sondern über Monate und Jahre hinweg. Dennoch tauchen gerade bei psychisch gestörten Patienten auch ganz besondere ethische Fragestellungen auf: Darf man einen Menschen auch bei bei eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit operieren? Kann ein Vormund einer Operation zustimmen, die die Persönlichkeit verändert?
Bei Parkinson-Patienten, so sind sich Neurologen und Medizinethiker weitgehend einig, muss der Patient vor der Operation wissen, worauf er sich einlässt: Auf Besserung seiner Krankheit, aber vielleicht auch auf eine Verwandlung seines Wesens. Das gilt auch für den Partner, der mit ihm zusammenlebt. Die Uniklinik Köln setzt diese Vorgaben schon um. Im Rahmen des deutsch-kanadischen Forschungsprojekts ELSA-DBS (Ethical, Legal and Social Aspects of Deep Brain Stimulation) betreuen Psychologen die OP-Kandidaten vor und nach dem Eingriff. „Vielleicht wären wir ohne diese Begleitung schon geschieden?“, lobten Patienten und Angehörige diesen Weg. Er ist aufwändig. Bei unerwünschten psychischen Veränderungen die Geräte wieder abzustellen und den Patienten mit seinem Leiden allein zu lassen, ist aber vielleicht noch teurer.