Manchmal reichen bewährte Methoden nicht aus, um eine vertrauensvolle Basis zwischen Therapeut und Kind aufzubauen. Hier kann die helfende Brücke in der Kommunikation der Einsatz von Hund, Pferd oder Delfin sein.
Es müssen schlimme Alpträume sein, unter denen misshandelte Kinder leiden. Darüber zu sprechen, erfordert Mut und Vertrauen. Oft erfordert es mehr davon, als da ist. Dann tun sich auch erfahrene Psychologen schwer, einen Kontakt mit diesen Mädchen oder Jungen aufzubauen und sie aus ihrer abgeschlossenen und vermeintlich sicheren Welt zu locken.
Türöffner auf vier Beinen
Janet Eggiman, Familientherapeuten aus dem amerikanischen Fort Wayne erzählt in einem Bericht über ein Mädchen, das von ihrem Stiefvater missbraucht wurde. Schlaflosigkeit, Lügen, Stehlen, sexuell abnormales Verhalten gegenüber von Tieren, Aggression gegen Geschwister. All das gehörte zum Repertoire ihrer kleinen Patientin. In ihrem Bericht beschreibt die Therapeutin einen wichtigen Gehilfen, der in diesem Fall als Türöffner erfolgreich war: Ihren Hund Kotter, den sie auch auf ihrer Homepage vorstellt.
Ohne Angst vor Schelte, vor Vertrauensbruch und Scham erzählen Kinder bei der Therapiestunde Tieren oft sehr viel mehr, als sie selbst Freunden anvertrauen würden. So verhalf auch Kotter dem verhaltensgestörten Kind wieder zu mehr Selbstbewusstsein, Selbstkontrolle und normalem Sozialverhalten. Ähnliche Fallbeschreibungen finden sich öfter in der Literatur, systematische und strukturierte Studien über „tiergestützte Therapie“ sind jedoch selten.
Andrea Beetz von der Universität Rostock hat rund 30 Jungen im Alter von 7-12 Jahren untersucht, die unter familiärer Gewalt, Verlust oder Vernachlässigung litten. Die Folge: Ein abnormales Bindungsverhalten. Im Vergleich eines Stoffhunds mit einem zugewandten menschlichen Betreuer oder einem lebenden Hund reagierten die Jungen in Gegenwart des natürlichen Vierbeiners bei Stress souveräner und gelassener. Das Team zog diesen Schluss aus der Bestimmung von Kortisol aus Speichelproben. Auch autistische Kinder profitieren von der Zuwendung vom und zum Tier, wie Janelle Nimer und Brad Lundahl aus dem amerikanischen Utah in einer Metastudie dokumentieren.
Große Anerkennung, geringe Verbreitung
Viele Ärzte und Therapeuten nehmen die Erfolge beim Einsatz von Verbeinern wohlwollend zu Kenntnis, dennoch ist der Schritt zum Einsatz in der eigenen Praxis noch sehr groß. Anke Prothmann von der Technischen Universität München sammelte per Umfrage Informationen über Tiere in der Kinderklinik bei rund 330 pädiatrischen Krankenhäusern oder Abteilungen. Auch wenn rund neun von zehn Chefärzten viel von dieser Therapiemethode halten, setzten im Jahr 2009 nur 38 davon auf animalische Unterstützung. Meist sind es Bedenken bei der Hygiene, dem Personalaufwand oder Gesundheitsrisiken durch Allergie oder Verletzung, die verhindern, dass Tiere den Zugang zu den kleinen Patienten erhalten und erleichtern.
Dabei holte sich schon vor rund fünfzig Jahren der Amerikaner Boris Levinson regelmäßig seinen Golden Retriever als Therapiehelfer in die Praxis, als er per Zufall an einen verschlossenen Jungen geriet, der während der Sitzung plötzlich anfing, mit seinem Hund zu reden. Sogar Sigmund Freuds Chow-Chow soll schon in der Praxis dabei gewesen sein.
Pferde und Esel: Kommunikation ohne Worte
Während Hunde noch immer die Nummer eins bei lebendigen nichtmenschlichen Assistenten sind, haben aber es aber auch Esel, Pferd oder Delfin in die Psychotherapie, aber auch die Rehabilitation zum Muskelaufbau oder Training des Gleichgewichtssinns geschafft. Auf einem Pferderücken finden etwa Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit zu mehr Geduld beim Umgang mit Freunden und Fremden, aber auch zu besseren motorischen Leistungen, berichtet eine norwegische Studie. Ähnliches gilt für Heranwachsende mit Autismus, Zerebralparesen, Schlaganfall-Betroffene oder sogar jugendliche und erwachsene Patienten mit Down-Syndrom. Für die Muskelentspannung sorgt auch die im Vergleich zum Menschen etwas höhere Körpertemperatur. Die Wärme geht beim intensiven Kontakt direkt auf den Patienten über.
Kinder mit einer gestörten psychoaffektiven und -kognitiven Entwicklung profitieren vom Umgang mit Eseln. Eine Italienische Arbeitsgruppe führt dies darauf zurück, dass die Verständigung mit dem Tier häufig ohne Worte, sondern nur mit Gesten oder über Körperkontakt läuft, eine Ebene, die viele Hemmungen abbaut und es besonders geistig zurückgebliebenen Kindern leichter macht, Selbstbewusstsein wieder aufzubauen.
Achtung: Kommerzielle Tiervermieter
Nicht ganz unumstritten ist dagegen die Arbeit mit Delfinen. Wissenschaftler von der Universität Würzburg berichten über Kinder im Schulalter, die beim Spiel am oder im Wasser die ersten Worte ihres Lebens gesprochen haben. Auch eine verbesserte Fähigkeit, sich zu konzentrieren oder gelinderte Depressionen schreibt man den Besuchen bei Flipper & Co zu. Allerdings sind diese Studien nicht unumstritten, das sie auf Interviews mit den Eltern beruhen, die oft sehr viel Geld in diese Therapie investiert haben. Inzwischen gibt es aber auch einige kommerzielle Unternehmen, die Tiere für Therapiezwecke einsetzen, aber das Wohlergehen der Tümmler vernachlässigen.
Wie Michael Scheer in der Zeitschrift „Krankendienst“ im Jahr 2008 schreibt, würden die Tiere in den Delfinarien nicht aufgrund ihrer Neugier mit den Kindern spielen, sondern allein wegen der Belohnung durch die Trainer. Bei einem Fachgespräch der Grünen Bundestagsfraktion im gleichen Jahr zu diesem Thema verurteilten sowohl Gegner als auch Befürworter die Zwangshaltung in Delfinarien. Die hohe Sterblichkeit und mangelnde Zuchterfolge machen es nötig, immer wieder neue Wildtiere anzuliefern, oft aus dubiosen Quellen. Dabei ist eine solche Therapie nicht gerade billig: Rund 15.000 Euro müssen Eltern für drei Wochen in Florida kalkulieren. Daher ist auch der Verein „Autismus Deutschland e.V.“ gegen Delfine als Ersatztherapeuten.
Im Vergleich zum normalen Alltag steigt aber auch bei vielen anderen Tieren der Kortisolspiegel bei der Arbeit mit den Patienten an. Ob das mit positiver Aufregung oder Arbeitsstress zusammenhängt, ist aber noch unklar.
Und was fühlt mein Hund?
Auch bei den Patienten steigt das Kortisol an, daneben aber auch Oxytocin, Prolactin, Phenylethylamin oder Dopamin, die für entsprechende positive Veränderungen im (Sozial-)verhalten sorgen. Kinder, die mit Tieren im Haushalt aufwachsen, sind selbst- und verantwortungsbewusster und tun sich leichter im Umgang mit ihrer Umgebung. Die entsprechenden Studien geben aber bisher noch keine Antwort darauf, ob das meist bessere Klima in jenen Familien, die sich ein Haustier leisten, nicht ohnehin die Entwicklung von Kindern fördert. Gibt es Verständigungsmöglichkeiten zwischen Tier und Kind - oder auch verhaltensgestörten Erwachsenen, die über sicht- und messbare Wege hinausgehen? Was kommt von einer solchen Annäherung beim Tier an und wie gibt es den Kontakt zurück? Die ZEIT berichtete vor kurzem über die ersten Kernspin-Messungen am Gehirn des unbetäubten Hundes. Vielleicht wissen wir in einigen Jahren mehr darüber, was die ganz besondere Beziehung zwischen Mensch und Haustier ausmacht.