Die Lebervenen-Verschluss Erkrankung ist eine gefürchtete Folge einer Stammzelltransplantation. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass eine prophylaktische Gabe von Defibrotide die Komplikationen nach der Transplantation signifikant verringert.
Wenn bei Kindern eine Stammzelltransplantation notwendig wird, ist das für die Familie eine große Belastung. Auf eine Diagnose wie beispielsweise Leukämie, schwerer Immundefekt oder Osteopetrose folgen Operation, Chemotherapie, Nebenwirkungen und banges Warten und Hoffen auf einen passenden Stammzellspender. Mit der hämatopoetischen Stammzelltransplantation ist dann, so hoffen die Eltern, das schlimmste überstanden. Doch nach Stammzelltransplantationen kommen noch häufig schwere Nebenwirkungen. Die so genannte „Lebervenen-Verschlusserkrankung“ (veno-occlusive disease, VOD) ist eine der schwerwiegendsten Komplikationen, die besonders häufig bei Kindern auftritt. Sie kann zu multiplem Organversagen und zum Tode führen. Der Entstehungsmechanismus ist noch immer nicht vollständig geklärt. Man vermutet jedoch eine Läsion der Endothelzellen in den Lebersinusoiden. Die Folge sind (nicht-thrombotische) Verschlüsse der Lebervenen und Nekrose der Leberzellen.
Komplikationen durch Vorbelastungen
Professor Dr. Selim Corbacioglu, Leiter der Pädiatrischen Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Regensburg vermutet den Auslöser in der Vorbelastungen durch vorangegangene Chemotherapien oder vorangegangene Transplatationen, gepaart mit einem noch unreifen Stoffwechsel der Kinder bzw. genetischen Faktoren einiger Erkrankungen. Ein gutes bildgebendes Verfahren existiert genauso wenig, wie gute Marker zur frühzeitigen und sicheren Diagnose der Komplikation, so dass die Differentialdiagnose zu verschiedenen anderen Komplikationen durch sehr ähnliche Symptome erschwert ist, was wiederum die Erkennung der VOD verzögert. Egal in welchem Schweregrad die VOD bei Kindern auftritt: die Mortalität nach einer hämatopoetischen Stammzelltransplantation vervierfacht sich - in schweren Fällen versterben über 80% der Patienten.
Medikament Defibrotide verringert Nebenwirkungen
In einer großen, prospektiven, randomisierten Studie, die im Lancet veröffentlicht und mit dem van-Bekkum Preis ausgezeichnet wurde, konnten Prof. Corbacioglu und seine Kollegen zeigen, dass eine prophylaktische Gabe des Medikaments Defibrotide die Inzidenz der VOD und Komplikationen bei Kindern nach hämatopoetischer Stammzelltransplantation signifikant verringert. Dabei scheinen durch das Medikament Defibrotide auf der Oberfläche der Endothelzellen bestimmte Aktivierungsmarker für Entzündungsreaktionen herunter reguliert zu werden. Gleichzeitig wurde das Medikament gut vertragen, Nebenwirkungen traten kaum auf. Des Weiteren verringerte sich in der Defibrotide-Gruppe die Inzidenz und Schwere der akuten Transplantat-Wirts-Reaktion (Graft-versus-Host Erkrankung, GvHD). Prof. Corbacioglu folgert aus den Studienergebnissen: „Neben der VOD ist die Graft-versus-Host Erkrankung ein ganz besonders wichtiges Einsatzgebiet für Defibrotide, denn unsere Möglichkeiten eine GvHD nach einer Transplantation in den Griff zu bekommen sind noch schwieriger. Sie ist auch deutlich häufiger als die VOD." Insgesamt scheint das Einsatzgebiet für Defibrotide, das Natriumsalz einer komplexen Mischung aus einzelsträngigen DNA-Oligonukleotiden, groß zu sein: es könnte für alle Erkrankungen attraktiv sein, die die kleinen Gefäße und vor allem die Endothelzellen schädigen.
Defibrotide hatte bis 2008 eine Zulassung in Italien für die Behandlung von tiefen Venenthrombosen, war jedoch für diese Indikation nicht so gut geeignet, wie andere verfügbare Medikamente. Seit mehreren Jahren wird Defibrotide in der Therapie nach Transplantationen angewendet - ohne Zulassung für diesen Bereich. Neu ist nun, dass es durch prophylaktische Gabe schwere Nebenerkrankungen nach Transplantationen verhindern oder abschwächen kann. Und, dass es explizit an Kindern getestet wurde. „Meist ist der Fall, dass einem die Präparate angeboten werden, aber hier ist es umgekehrt. Hier kommen die Mediziner und sagen, wir wollen das Medikament endlich an unseren Patienten anwenden! Es ist das erste Präparat dieser Art in seiner Klasse, es gibt praktisch kein vergleichbares Medikament“, erklärt Prof Corbacioglu. Die Studie, die ursprünglich als Investigator Initiated Trial (IIT) begann, wurde im Verlauf aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse von dem Hersteller von Defibrotide aufgegriffen und damit sekundär zu einer Zulassungsstudie. Nun muss abgewartet werden, wann die Zulassung erteilt wird, damit die prophylaktische Behandlung bei Patienten mit besonders hohem Risiko sogar zur Standardtherapie werden kann. Für jedes fünfte transplantierte Kind könnte diese Entscheidung lebenswichtig sein.