Für Patienten mit malignem Melanom im fortgeschrittenen Stadium gab es bisher wenig Hoffnung. Nun wurden gleich zwei Medikamente zugelassen, für die erstmals Überlebensvorteile nachgewiesen werden konnten. Fachleute sprechen von einer neuen Ära.
Malignes Melanom – rund 19.000 Menschen in Deutschland werden pro Jahr mit dieser Diagnose konfrontiert. Die meisten befinden sich dann noch in einem frühen Erkrankungsstadium, sodass der Krebs chirurgisch entfernt werden kann. Bei den anderen ist er nicht mehr resezierbar oder hat bereits Lymphknoten, Lunge, Leber, Gehirn oder Knochen befallen.
Patienten mit Fernmetastasen haben eine schlechte Prognose, ohne Behandlung beträgt ihre Lebenserwartung nur sechs bis neun Monate. Daran konnten auch die bislang eingesetzten Medikamente kaum etwas ändern. Meist gelang es damit allenfalls, den Tumor zu verkleinern und Symptome zu lindern. Überlebensvorteile ließen sich nicht oder nicht zweifelsfrei belegen. Angesichts dieser desolaten Situation mussten die Ergebnisse aus klinischen Studien mit Ipilimumab und Vemurafenib zwangsläufig Wirbel machen.
Überlebensvorteile gegenüber Vakzine beziehungsweise Dacarbazin
Beide Medikamente waren in klinischen Studien den jeweiligen Vergleichstherapien überlegen. So betrug das mediane Überleben unter Ipilimumab 10 Monate, unter der Tumorvakzine GP100 dagegen nur gut 6 Monate. Weitere Auswertungen ergaben, dass 29 % der Patienten auf die Therapie mit Ipilimumab ansprachen (GP100 11%), und nach einem und zwei Jahren noch 46 % beziehungsweise 24 % der Patienten am Leben waren (GP100: 25 % beziehungsweise 14 %). Einige Patienten der Ipilimumab-Gruppe lebten auch nach vier Jahren noch.
Vemurafenib wurde im Vergleich mit dem Chemotherapeutikum Dacarbazin getestet. Eine Zwischenanalyse zeigte, dass nach sechsmonatiger Behandlung unter Vemurafenib noch 84 % der Patienten lebten, unter Dacarbazin 64 %. Auf Vemurafenib sprachen 48 % der Patienten an, auf Dacarbazin knapp 6 %. Und das mediane Überleben betrug unter Vemurafenib 13, unter Dacarbazin dagegen nur 10 Monate.
Auf frustrierte Ärzte und Patienten müssen diese Ergebnisse wie ein Silberstreif am Horizont gewirkt haben. Foreneinträge aus der Zeit nach der Bekanntgabe der Daten zeigen, wie sehr Patienten bemüht waren, eine Behandlung mit diesen Medikamenten zu erhalten. Die Unternehmen reagierten auf die Nachfrage, indem sie Programme zum Compassionate Use beziehungsweise zum Expanded Access der Medikamente auflegten. Darunter versteht man den Einsatz noch nicht zugelassener Arzneimittel bei Patienten, die nicht in Studien eingeschlossen sind.
Mittlerweile sind beide Medikamente in der Europäischen Union zugelassen, Ipilimumab seit Juli 2011, Vemurafenib seit Februar 2012. Was Ärzte besonders schätzen: Ihre neuen Waffen gegen das maligne Melanom sind offenbar nicht nur wirksamer als bisherige, sie haben auch noch völlig unterschiedliche Wirkmechanismen.
Immunbremse lösen oder Signalwege unterbrechen
Ipilimumab entfaltet seine Wirkung, indem es eine physiologische Sicherheitsvorrichtung gegen überschießende Immunreaktionen lockert. Ziel ist das Antigen 4 auf zytotoxischen T-Lymphozyten (CTLA-4). CTLA-4 wird nach einer Aktivierung der Abwehrzellen von diesen in die Zellmembran eingebaut und unterbindet Signale, die für die klonale Expansion und Differenzierung der T-Zellen benötigt werden. Dieser Bremsmechanismus ist normalerweise sehr sinnvoll, denn er verhindert, dass Immunreaktionen aus dem Ruder laufen. Wenn sich aber Krebszellen im Organismus ausbreiten, könnte – so die Rationale - eine intensivere Abwehrreaktion nützlich sein. An dieser Stelle kommt Ipilimumab ins Spiel. Der Antikörper bindet spezifisch an CTLA-4 und schwächt das Bremssignal ab. Auf diese Weise soll Ipilimumab körpereigene Abwehrkräfte für den Kampf gegen den Krebs freisetzen.
Ganz anders Vemurafenib. Es blockiert ein mutiertes Protein, das bei einem Teil der Patienten für die Tumorentstehung verantwortlich ist – die BRAF-V600E-Kinase. Der Wildtyp dieses Enzyms überträgt Wachstumssignale von der Zelloberfläche in den Zellkern und induziert Zellteilungen. Die mutierte Form V600E benötigt dazu keine Wachstumssignale mehr. Sie aktiviert den Signalweg fortwährend und führt so zur Entartung. Vemurafenib unterbindet die andauernde Aktivierung durch diese mutierte BRAF-Kinase. Daher kommt der Kinase-Inhibitor auch nur für jene Patienten in Frage, die diese Mutation in sich tragen – und das ist in etwa jeder zweite.
Kein Licht ohne Schatten
Eng mit dem jeweiligen Wirkmechanismus hängen auch die Nachteile der Therapien zusammen. So besteht unter Ipilimumab ein hohes Risiko für immunvermittelte Nebenwirkungen, die sich meistens am Gastrointestinaltrakt und der Haut manifestieren. In seiner aktuell veröffentlichten Nutzenbewertung spricht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) von einem ‚erheblichen Schadenspotenzial‘. Insgesamt bescheinigt das Institut der Therapie dennoch einen ‚beträchtlichen‘ Zusatznutzen gegenüber ‚best supportive care‘. Zwischenzeitlich hat das IQWIG auch eine Nutzenbewertung für Vemurafenib veröffentlicht. In ihr stuft das Institut den Zusatznutzen gegenüber ‚der zweckmäßigen Vergleichstherapie‘ ebenfalls als ‚beträchtlich‘ ein.
Was das Sicherheitsprofil von Vemurafenib anbelangt, so fällt vor allem eine Häufung von Plattenepithelkarzinomen der Haut auf. Man vermutet, dass die Hemmung der BRAF-Kinase in diesen Fällen zu einer paradoxen Aktivierung des nachgeschalteten MAPK-Abschnitts innerhalb des Signalwegs führt. Dieser Effekt wird außerdem mit dem Auftreten von Resistenzen gegen Vemurafenib in Verbindung gebracht.
Dem Nutzen der beiden neuen Therapien stehen also handfeste Einschränkungen gegenüber. Wie Ärzte diese Zweischneidigkeit interpretieren, wollte DocCheck von Professor Dr. Eckhart Kämpgen wissen. Der Dermatologe leitet das Hautkrebszentrum der Universität Erlangen, wo jede Woche fast 100 Patienten mit malignem Melanom betreut werden.
DocCheck: Herr Professor Kämpgen, wo sehen Sie die Chancen und wo die Grenzen der beiden neuen Therapien gegen das maligne Melanom? Kämpgen: Vemurafenib wirkt nur bei Patienten, die die BRAF-V600E-Mutation in sich tragen, dann aber mit hoher Wahrscheinlichkeit und sehr rasch. Oft beginnen die Tumoren schon nach wenigen Tagen zu schrumpfen, Betroffene erleben das wie ein Wunder. Allerdings hält dieser Effekt meist nur einige Monate an. Patienten, die länger als zwei Jahre profitieren, sehen wir derzeit kaum. Bei Ipilimumab besteht das Wunder darin, dass in den Studien selbst nach vier Jahren noch Patienten am Leben waren. Wahrscheinlich ist die Immuntherapie auch die derzeit einzige Möglichkeit, einen Patienten zu heilen, weil nur das Immunsystem vereinzelte Tumorzellen im Körper aufspüren und vernichten kann. Ein Nachteil der Therapie ist, dass überhaupt immunologische Ressourcen vorhanden sein müssen, die man stimulieren kann. Das ist bei Patienten mit hoher Tumorlast nicht der Fall. Darüber hinaus werden durch Ipilimumab völlig unspezifische Immunantworten stimuliert. Das erklärt die sehr hohe Rate an immunvermittelten Nebenwirkungen.
DocCheck: Lässt sich aus diesen Profilen bereits eine Art Therapiealgorithmus ableiten? Kämpgen: Vemurafenib ist wie ein hoher Trumpf im Kartenspiel: Er wird stechen, steht aber nur einmal zur Verfügung. Wir sehen das Einsatzgebiet daher bei Patienten mit einer hohen Tumorlast, die rasche Hilfe benötigen. Ist die Tumorlast dagegen überschaubar, sollte man den Trumpf nicht verschwenden und stattdessen zunächst auf andere Optionen setzen, zu denen nach wie vor auch Dacarbazin zählt. Mit Ipilimumab kann man bei initial geringer oder therapeutisch reduzierter Tumorlast ein Langzeitüberleben anstreben.
DocCheck: Wie sieht die Behandlung des fortgeschrittenen malignen Melanoms in einigen Jahren aus? Kämpgen: In Erlangen sehen wir vor allem in der Immuntherapie gute Chancen. Wichtig ist dabei, spezifisch gegen den Tumor gerichtete Immunantworten zu induzieren. Das versuchen wir zu erreichen, indem wir, über patienteneigene Dendritische Zellen, dem Immunsystem eine Art Antigen-Steckbrief der Tumorzellen präsentieren. An diese Impfung kann sich dann eine unspezifische Therapie wie aktuell mit Ipilimumab anschließen, die die spezifischen Immunantworten verstärkt. Fortschritte erwarten wir zudem von der Kombination mutationsspezifischer Hemmstoffe, wie der von Vemurafenib und einem MAPK-Inhibitor. Sie kann wirksamer als eine Monotherapie und – wie sich bereits gezeigt hat – sogar verträglicher sein.