Schmerzmittel sollen in Apotheken künftig nur noch in Klein(st)packungen ohne Rezept über den Tisch gehen. Was bei Paracetamol nachvollziehbar war, ist bei Ibuprofen und Co. schwerer zu verargumentieren. Für viele Patienten wird das Leben jedenfalls umständlicher.
Wer beim deutschen Apothekerverband nachfragt, was die organisierte Apothekerschaft davon hält, dass Ibuprofen, Diclofenac, ASS und Naproxen künftig nur noch dann rezeptfrei abgegeben werden dürfen, wenn der Packungsinhalt maximal für vier Tage reicht, der bekommt – keine Antwort. Man könne diesen Beschluss offiziell nicht bewerten, weil ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf Mitglied in eben jenem Gremium sei, das den Beschluss gefasst habe, nämlich dem Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht, teilt eine Sprecherin mir mit. Ich versuche es nochmal. Wie Wolf denn gestimmt habe in jenem Gremium, will ich wissen. Das könne man leider auch nicht verraten, weil das Abstimmungsverhalten in jenem Ausschuss nicht öffentlich gemacht werde, so die ABDA.
Sachverständigenausschuss oder Geheimorden?
Diese Antwort bekomme ich ein paar Tage später gleich noch einmal, von einem Sprecher des BfArm. Er erklärt mir, dass das BfArm sehr glücklich darüber sei, dass der Beschluss zu den Schmerzmitteln so gefasst wurde wie er gefasst wurde. Der Antrag dazu stammte nämlich von der Behörde selbst, doch dazu später. Der BfArm-Sprecher weist außerdem darauf hin, dass ein zweiter Antrag, der in derselben Ausschusssitzung behandelt wurde, nicht vom BfArm gewesen sei. Er meinte den Antrag, wonach Paracetamol, das wegen seiner Lebertoxizität in hohen Dosierungen schon heute nur in Kleinpackungen rezeptfrei abgegeben werden darf, komplett in die Rezeptpflicht genommen werden soll. Dies sei übertrieben und werde von seiner Behörde in keiner Weise unterstützt, so der BfArm-Sprecher. Womit er das Abstimmungsverhalten des BfArm in diesem Punkt indirekt öffentlich gemacht hat. Auf die Frage, wer denn den Paracetamol-Antrag gestellt habe, kommt dann besagte Antwort: Abstimmungen und Anträge im Sachverständigenausschuss seien nicht öffentlich. Aha.
Insgesamt erscheint mir das ganz schön viel Geheimniskrämerei für ein Thema, das doch einen gewissen Teil der deutschen Bevölkerung mehr oder weniger unmittelbar angeht. Vor allem chronisch kranke Patienten sind von dem Beschluss des Sachverständigenausschusses betroffen: Wenn sie nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) künftig in kostengünstigeren Großpackungen erwerben wollen, müssen sie jedes Mal ein Rezept holen – und die Praxisgebühr bezahlen.
„Es geht um Sensibilisierung“
Wie also kam es überhaupt zu diesem Beschluss? Das BfArm gibt hier sehr detailliert Auskunft. Das Thema ist nicht neu in dem Gremium. Es wurde im September 2011 in einer Sondersitzung auf Antrag des BfArm behandelt. Die Behörde reichte dann weitere Daten zu ihrem Antrag nach. Im Februar 2012 wurde erneut diskutiert, aber nichts beschlossen. Erst jetzt, im Juni, wurden Nägel mit Köpfen gemacht. Welche neuen Daten waren das? Laut BfArm wurden vor allem UAW-Meldungen und Pharmakovigilanzdaten aus der eigenen Datenbank zusammengetragen.
Klinisch ist es bei der ganzen Diskussion in erster Linie um die gastrointestinalen Blutungen gegangen. Es habe sich gezeigt, dass die überwiegende Zahl der UAW-Meldungen bei Patienten eingehen, die mehr als vier Tage mit den unterschiedlichen NSAR behandelt werden, so der BfArm-Sprecher zu DocCheck. Die Beschränkung auf vier Tage mache deswegen medizinisch Sinn, auch wenn natürlich auch dem BfArm klar ist, dass diese eingeschränkte Rezeptpflicht prinzipiell unterlaufen werden kann. Ziel der eingeschränkten Rezeptpflicht sei es nicht, den Zugang zu NSAR generell zu erschweren, sondern für die Blutungsproblematik zu sensibilisieren.
Warum eine Lex Aspirin?
Nun ist Sensibilisieren immer gut. Aber geschieht das in diesem Fall wirklich auf solider Datenbasis? Während sich die Sachverständigen bei der Paracetamol-Entscheidung vor wenigen Jahren auf eine klare Assoziation zwischen hoher Dosis und toxischem Leberversagen berufen konnten, ist die Sache bei den NSAR und den Blutungen schon etwas komplexer. Dass die überwiegende Zahl der UAW-Meldungen von Patienten stammt, die NSAR länger als vier Tage nehmen, verwundert nicht. Je länger ein NSAR genommen wird, umso größer ist die kumulierte Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann einmal eine Blutung auffällt.
Das heißt allerdings nicht, dass das Risiko pro Tablette in den ersten vier Tagen kleiner ist als später. Und wenn NSAR im Kontext chronischer Entzündungen eingenommen werden, könnten nochmals ganz andere Regeln gelten. Was aber vor allem einen merkwürdigen Beigeschmack hinterlässt: ASS in der Indikation Thrombozytenaggregationshemmung fällt nicht unter die Kleinpackungsregelung. Das lässt sich über die „Blutungsschiene“ nun wirklich nicht erklären: Die Blutungsgefahr unter ASS ist in Dutzenden von Studien höher als beispielsweise unter Ibuprofen. Das riecht schon ein wenig nach einer Diskriminierung von Schmerzpatienten. Anders gesagt: Die KHK-Lobby war offenbar stärker als die Schmerz-Lobby. Ich frage beim BfArm nach und bin nachher nicht schlauer als vorher. Warum für ASS andere Regeln gelten, könne die Behörde im Moment noch nicht kommunizieren, heißt es. Das sei dann Bestandteil des offiziellen Berichts, man bitte da um etwas Geduld. So richtig befriedigend ist das alles nicht.