Mit fremdem Gewebe geht das Immunsystem nicht gerade zimperlich um. Umso erstaunlicher, dass ein Fötus im Mutterleib dem Abwehrsystem nicht zum Opfer fällt. US-Forscher können das Paradoxon nun vielleicht aufklären.
Das menschliche Immunsystem ist ziemlich strikt, bei der Entscheidung was zum Körper gehört und was fremd ist. Hilfe bekommt es dabei von Antigenen. Präsentiert vom Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) auf der Oberfläche von Zellen zeigen sie dem Abwehrsystem, woher das Gewebe stammt. Lymphozyten überprüfen die Anhänge fortwährend auf ihre Zugehörigkeit zum eigenen Körper. Alles, was sie nicht erkennen, wird rigoros bekämpft, um den Menschen vor Angriffen zu schützen. Immunzellen aktivierter T-Zellen werden dabei zum Ort des Gefechts zitiert. Einmal angekommen attackieren die Abwehrzellen das fremde Gewebe.
Werdende Mütter haben da ein Problem. Das Erbgut des Fötus, das sie in ihrem Bauch mit sich herumtragen, stammt zur Hälfte von Ihnen und zur Hälfte vom Vater. Die logische Konsequenz wäre, dass die väterlichen Antigene das Immunsystem aktivieren. Das fremde Gewebe würde so schnell beseitigt. Milliarden Menschen auf dieser Erde sprechen jedoch dagegen. Gegen alle Gesetze der Transplantationsmedizin wird das genetisch fremde Kind für neun Monate vom Immunsystem der Mutter toleriert. Seit Jahrzehnten versuchen Forscher dieses Paradoxon zu lösen.
Vielleicht ist das Immunsystem der Mutter in der Zeit der Schwangerschaft geschwächt, vermuteten einige Wissenschaftler. Doch als sie den Immunstatus von Schwangeren und nicht schwangeren Frauen verglichen, zeigte sich kein Unterschied. Das Immunsystem ist nicht generell geschwächt. Andere Giftstoffe oder Eindringlinge werden rigoros vernichtet. Auch an den fetalen Zellen liegt es nicht. Denn die können unter anderen Umständen sehr wohl eine Immunreaktion auslösen.
Es muss eine Art Schutzwall geben, der die Immunzellen davon abhält, bis zum wachsenden Kind vorzudringen, glaubt Ardrian Erlebacher, Pathologe am Universitären Krebsinstitut von New York. Schon vor einige Zeit machte er sich auf die Suche und fand heraus, dass T-Zellen aus einem unerfindlichen Grund heraus, ihre Abwehraufgaben gegenüber dem heranwachsenden Kindes nicht richtig erfüllen. Also knüpfte er sich mit seinen Kollegen nun die Decidua vor, den umgebauten Teil der Gebärmutterschleimhaut, die Fötus und Placenta umgibt. „Was wir gefunden haben war in jeder Hinsicht unerwartet“, sagt Erlebacher, der die Ergebnisse im Fachblatt Science veröffentlicht hat.
Die Wissenschaftler entdeckten, dass mit der Einnistung eines Embryos ein Prozess in Gang gesetzt wird, der das Abwehrsystem ausschaltet. Damit das Immunsystem einen Eindringling angreifen kann, braucht es ein Signal. Genau das wird während der Entwicklung des Kindes gestoppt. Bei schwangeren Mäusen konnten die Wissenschaftler sehen, dass die Erbinformationen für solche Signalstoffe, die Chemokine, im Zellkern anders gepackt werden. So können sie nicht abgelesen werden. Die Folge: Es sammeln sich keine T-Zellen in der Decidua. Ein Angriff auf Fötus und Placenta bleibt aus. „Die Decidua wird zur Zone immunlogischer Inaktiviät“, sagt Erlebacher.
Die veränderte Verpackung wirkt sich dabei nicht auf die Erbinformation selbst aus. Es gibt keine Mutation, keine Brüche in der Erbinformation. Die Veränderungen, die die Forscher gefunden haben, sind epigenetisch. Wie das funktioniert? Histone sind das „Verpackungsmaterial“ der DNA. Um diese Proteine herumgewickelt wird die DNA wie auf einer Perlenkette aufgereiht. Um Gene abzulesen wird die Kette immer wieder aufgelockert. Veränderungen an den Histonen können jedoch auch dazu führen, dass die so dicht gepackt sind, dass kein Herankommen mehr möglich. So scheint es auch in diesem Fall zu sein.
Die Ergebnisse liefern nicht nur wichtige Hinweise für das Verständnis einer regulären Schwangerschaft. Fehler in diesem Ablauf könnten den Forschern zufolge zu Frühgeburten, Fehlgeburten oder späten Schwangerschaftsvergiftungen führen. Erlebacher und seine Kollegen werden nun untersuchen, ob die gleichen Veränderungen auch tatsächlich beim Menschen zum Schutz des Ungeborenen vor dem Abwehrsystem der Mutter führen.