Es gibt Dutzende Betablocker, etliche Calciumantagonisten und Pharmaka gegen Fußpilz. Für die lebenswichtige Indikation der Reanimation ist aber nur ein einziges Medikament zugelassener Standard: Adrenalin - und selbst bei dem Monopolisten ist die Datenlage mehr als dürftig.
Adrenalin nicht besser als Placebo?
Im Jahr 1995 wurde von Woodhouse et al. die erste randomisierte, placebokontrollierte Studie zur Adrenalingabe bei der Reanimation durchgeführt. Das Versuchsprotokoll sah vor, dass bei einer Reanimation nach AHA-Richtlinien die ersten beiden Medikamentengaben aus einem Studienpräparat (10 mg Adrenalin vs. Placebo) bestanden. Von 339 Patienten, die in die Studie eingeschlossen werden konnten, erhielten 94 das hochdosierte Adrenalin. In dieser Versuchsgruppe gab es keine sekundär Überlebenden. 100 Patienten erhielten Placebo. Auch hier gab es keine sekundär Überlebenden. Die größte Patientengruppe (145 Patienten) wurde nach dem AHA-Standardprotokoll reanimiert, da sich die Notärzte weigerten, eventuell ein Placebo zu applizieren. In dieser Patientengruppe erhielten die Patienten 1 mg Adrenalin und es gab lediglich drei sekundär Überlebende. Eine derartige Studie wäre in Deutschland aus ethischen und arzneimittelrechtlichen Gründen nicht möglich gewesen. Sie zeigt eine Tendenz und lässt an der Wirksamkeit von Adrenalin zweifeln. Die Autoren schreiben dem Adrenalin bereits zu diesem Zeitpunkt eine „Grandfather-rule“ zu. Opa darf bleiben, auch wenn er nicht mehr wirklich nützlich ist…
Was sollte das ideale Reanimationspharmakon leisten?
Adrenalin erfüllt aber nur Forderung Nummer 2!
Das als Hormon wirksame Adrenalin wirkt agonistisch auf adrenerge α- und β-Rezeptoren. Am Herzen überwiegt die Anzahl der β1-Rezeptoren, deren Anregung zu einer Steigerung der Erregungsleitung und der Kontraktionskraft in allen Bereichen des Herzens führt. Die Wirkung auf die Gefäße erstreckt sich hauptsächlich auf die Arteriolen. Da Adrenalin sowohl auf α- als auch auf β-Rezeptoren wirkt, ist der Effekt regional unterschiedlich.
Bei der Reanimation beruht der Effekt von Adrenalin hauptsächlich auf einer Steigerung des koronaren Perfusionsdrucks. Die Stimulation der α-Rezeptoren und die damit verbundene Vasokonstriktion ist in der Anfangsphase der Reanimation dominierend. Für die zerebrale Perfusion ist die Tonussteigerung in den großen intrathorakalen arteriellen Gefäßen ausschlaggebend. Ein positiv inotroper Effekt wird durch die Anregung der β-Rezeptoren hervorgerufen, der die Alphastimulation ergänzt, nachdem ein spontaner Kreislauf aufgebaut worden ist. Steigen Herzkraft-, -frequenz und Blutdruck, steigt aber auch der Sauerstoffbedarf! Das ist vermutlich auch der Grund, warum die Zahl der Sekundärüberlebenden so gering ist.
Viel hilft nicht viel
Die aktuellen ERC-Leitlinien treffen zu Adrenalin folgende Aussagen:
Da bei der endotrachealen Applikation die Plasmakonzentrationen absolut unzuverlässig sind und Geräte für die intraossäre-Injektion zur Verfügung stehen, wird die endotracheale Applikation nach den aktuellen ERC- Leitlinien nicht mehr empfohlen.Alter Schwede: ohne Adrenalin in die Klinik
Neue Studien zu Adrenalin sind rar, abgelaufene Patente verhindern meist ein Sponsoring der Industrie. 2009 wurde eine randomisierte Studie von Olasveengen et al. mit Notfallpatienten durchgeführt. Die Hälfte der 851 Patienten erhielt zunächst weder einen intravenösen Zugang noch Adrenalin. Der primäre Endpunkt der schwedischen Studie war der Anteil der Patienten, die später lebend aus der Klinik entlassen werden konnte. 9,2 Prozent der Patienten ohne intravenösen Zugang und 10,5 Prozent der Patienten mit intravenösem Zugang, von denen 79 Prozent mit Adrenalin behandelt wurden, verließen das Krankenhaus lebend. „Ein intravenöser Zugang und die Gabe von Adrenalin, wie sie derzeit in den Leitlinien gefordert wird, hat in einer randomisierten Studie zwar den Anteil der Patienten erhöht, die nach Reanimation eines Herzstillstands mit spontaner Zirkulation die Klinik erreichten. Doch die Überlebenschancen in der Klinik und im ersten Jahr danach verbesserten sich nicht signifikant...“, so das Resümee der Autoren der Studie.
Lebend rein, tot raus
Auch eine im Jahr 2012 publizierte japanische Studie von Hagihara et al. kommt zu frustrierenden Ergebnissen. Die prospektive Studie untersuchte das Outcome von 417.188 Patienten, die außerhalb der Klinik einen Herzstillstand erlitten und mit Adrenalin therapiert wurden. Das Katecholamin führt zwar häufiger zu einer spontanen Zirkulation vor der Ankunft in die Klinik, die Überlebenschancen sowie kognitive und neurologische Funktionen verschlechterten sich innerhalb des Monats nach dem Ereignis sogar. Die Autoren vermuten als Grund dieser paradoxen Reaktion eine Beeinträchtigung der Mikrozirkulation und eine potentielle kardiale proarrhythmogene Wirkung von Adrenalin.
Vasopressin als Hoffnungsträger?
In einer Studie, die die Überlebenschance nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand untersuchte, wurden neue grundlegende hormonelle Reaktionen festgestellt: Bei reanimationspflichtigen Patienten ist das zirkulierende endogene Vasopressin stark erhöht. Weiterhin waren die Vasopressinspiegel bei Überlebenden höher, als bei Patienten, die nicht erfolgreich reanimiert werden konnten. Diese Ergebnisse wiesen darauf hin, dass Vasopressin ein wichtiger körpereigener Faktor sein könnte, um eine Verbesserung des Blutdruckes durch endogene Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin und Angiotensin II zu erzielen.
In einer tierexperimentellen Studie (V. Wenzel et al.) konnte mit Vasopressin in unterschiedlicher Dosierung ein signifikant besserer Blutfluss in vitalen Organen erreicht werden, als mit hochdosiertem Adrenalin. Vasopressin steigert den zerebralen Blutfluss stärker als Adrenalin, was sich positiv auf den Metabolismus des Gehirns auswirkt. Die Zeitung ZEIT titelte im Jahr 2008 „Das Wunder von Innsbruck“ und beschrieb damit die Forschung des Anästhesisten Prof. Volker Wenzel und seines damaligen Chefs Prof. Karl Lindner. 12 von 257 Patienten überlebten ihren Herzstillstand mit einer Vasopressin-Gabe, mit Adrenalin waren es nur 4 von 262. Leider war der Preis des Überlebens manchmal hoch: etwa 40 Prozent der Patienten, die in der Studie mit Vasopressin erfolgreich reanimiert werden konnten, hatten so starke Hirnschäden, dass sie nicht mehr aus dem Koma erwachten. Dieses Argument schrieben sich auch die Vasopressinkritiker auf die Fahnen. Auch dass etwa zwei Prozent der Überlebenden geistig retardiert überlebten. Gern vergessen wurde aber, dass dies auch unter Adrenalin in derselben Häufigkeit passiert. Die Überlebenschance wird mit Vasopressin im Vergleich zum Adrenalin um 40 Prozent gesteigert.
Doch nicht wunderbar?
Anfang Januar forderte Kevin McIntyre, Kardiologe an der Harvard Medical School, im Editorial der renommierten Fachzeitschrift New England Journal of Medicine (NEJM) den sofortigen Vasopressin-Einsatz. Die New York Times, das Wall Street Journal und viele weitere Medien feierten die Mediziner aus Deutschland. Ist Asystolie jetzt heilbar?
Nach 1.219 abgelieferten Protokollbögen musste die Studie 2003 vorzeitig abgebrochen werden. Politiker, die Pharmaindustrie, andere Forscher, viele standen dem Projekt kritisch gegenüber. Vasorpressin musste aus dem Ausland beschafft werden, es hat keine Zulassung zur Reanimation, die Herstellerfirma kündigte später die Zusammenarbeit. Ein Fortschritt scheint unerwünscht. Die Datenmenge reichte für die Auswertung aus. Ein Jahr später, am 8. Januar 2004, wurde die Studie veröffentlicht. Natürlich ist es auf den ersten Blick ambivalent: ein Patient mit Asystolie kann nicht entscheiden, sprechen, unterschreiben; er wird zum Zwangsprobanden für die Wissenschaft. Ist das ethisch vertretbar? Die andere Seite ist jedoch nicht weniger unethisch: ohne placebokontrollierte oder zumindest im Vergleich zu Adrenalin geführte Studien gibt es auch in Zukunft nur ein Mittel, dessen Wirksamkeit zudem nicht vollständig bewiesen ist.
Die Meinung der AHA im Jahr 2011 zu Vasopressin ernüchtert:
Die Zahl der Asystoliepatienten, die primär erfolgreich vom Rettungsdienst reanimiert werden können, ist in den letzten Jahren angestiegen, die Zahl derer, die nach einem Jahr noch leben, stagniert nahezu. Damit neue Reanimationspharmaka entwickelt werden, sind Studien notwendig. Diese dürfen aber nicht durchgeführt werden, da jede Ethikkomission ein Veto einlegen müsste. Aussicht auf Besserung nicht in Sicht….