Große Überraschungen gab es nicht, als Koalitionsvertreter die AMG-Novelle absegneten. In nächster Zeit könnte es aber spannend werden: durch klare Bestrebungen, Apothekern endlich mehr Honorar zu gewähren. Nur die Zahlen enttäuschen wieder einmal.
Kurz vor der Sommerpause stand nochmals schwere Kost auf dem Speiseplan des Deutschen Bundestags: das zweite Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und sonstiger Vorschriften, kurz AMG-Novelle. Ursprünglich lautete ein Arbeitsauftrag, europäische Normen in deutsches Recht umzusetzen. Dabei ist es aber nicht geblieben.
Bahrs Rundumschlag
Daniel Bahr (FDP) packte mehr und mehr Einzelmaßnahmen in seinen Entwurf. Ganz klar: Während dieser Legislaturperiode möchte er nicht noch ein Gesetz aus dem Spannungsfeld rund um Apotheken, Pharmafirmen und Krankenkassen bewältigen. Allein die neue Apothekenbetriebsordnung wurde zur Lachnummer – und Bahrs Entwurf im Bundesrat bis zur Unkenntlichkeit gestutzt. Dementsprechend entpuppt sich das jetzt verabschiedete AMG-Paket stellenweise als Stückwerk ohne durchgängige Linie, etwa beim Thema Arzneimittelsicherheit.
Unentschlossenes Vorgehen
Laut EU müssen legale Vertriebswege vor Fälschungen geschützt werden, etwa durch Sicherheitsmerkmale oder Datenbanken mit Arzneimittelhändlern jenseits des Großhandels. Auch die Pharmakovigilanz ist ein Thema: Überwachungsbehörden können Arzneimittel bald nach deren Markteinführung besser im Auge behalten. Klingt gut, doch das dicke Ende naht: Europäische Richter hatten ein wenig erquickliches Votum zur Arzneimittelwerbung abgegeben. Künftig dürfen Hersteller deshalb auch in Deutschland für nicht verschreibungspflichtige Hypnotika und Sedativa werben – sehr zum Ärger der Apotheker und Verbraucherschützer. Nur Pharmaka mit Suchtpotenzial werden hiervon ausgenommen, ein Großteil dieser Wirkstoffe ist ohnehin verschreibungspflichtig. Laut Dr. Martina Bunge von der Linken sei es „unverständlich, dass die Koalition nichts unternommen hat, um die wichtigen Werbebeschränkungen für rezeptpflichtige Arzneimittel zu erhalten.“ Sie befürchtet eine eklatante „Desinformation von Patienten“ und moniert, Werbung diene hier lediglich der „Umsatzmaximierung“.
Dispensierrecht gelockert
Ebenfalls ein zweischneidiges Schwert: Schwerstkranke können direkt von ihren Ärzten BtMs mit nach Hause bekommen. Apotheker bewerten das Dispensierrecht kritisch, während die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit, Ulrike Flach (FDP), hier keine Probleme sieht. Vielmehr sei es wichtig, dass man in der ambulanten Palliativversorgung Möglichkeiten geschaffen habe, dass Ärzte schwerstkranken Patienten in Ausnahmefällen Betäubungsmittel überlassen könnten. Ob Politiker mit dieser Abkehr vom Vier-Augen-Prinzip viel Gutes leisten, bleibt abzuwarten. Auch zu einer speziellen Kennzeichnungspflicht von Medikamenten für Menschen mit Behinderung konnte man sich nicht durchringen.
Die Unantastbaren
Das sind bei Weitem nicht die einzigen Schwachpunkte. Mit der jetzt verabschiedeten AMG-Novelle wird es kein Rx-Versandverbot geben. Die Linke hatte einen entsprechenden Antrag eingebracht, bekam dafür jedoch keine Mehrheit. Flach erwähnte wie so oft „erhebliche fassungsrechtliche Bedenken“, obwohl Experten wie Professor Dr. Hilko J. Meyer, Fachhochschule Frankfurt am Main, bereits im Vorfeld ganz andere Einschätzungen veröffentlicht hatten. Doch ganz ungeschoren kommen Versandapotheken aus anderen EU-Ländern nicht davon. Für sie sind Rx-Boni künftig ebenfalls tabu, zumindest jenseits der Bagatellgrenze von einem Euro pro Präparat. Birgitt Bender, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, monierte, die Koalition wolle damit „vor allem hiesigen Apothekerinnen und Apothekern einen Gefallen tun“. Schwarz-Gelb werde es noch bedauern, die Arzneimittelpreisverordnung ausgedehnt zu haben – Bender erwartet eine Klagewelle „mit einiger Aussicht auf Erfolg“. Genau das scheint gerade zu passieren: Umgehend meldete sich der europäische Versandapothekenverband EAMSP zu Wort: „Diese einseitige Bevorteilung deutscher Präsenzapotheken und die Inkaufnahme einer europaweiten Wettbewerbsverzerrung ist nicht nachvollziehbar“, so EAMSP-Justiziar Thomas J. Diekmann.
Geheimniskrämerei – nicht in Deutschland
Pharmazeutische Hersteller mussten ebenfalls einen schweren Schlag einstecken: Die von einzelnen Unionspolitikern geforderte Verschwiegenheitsklausel für Rabatte auf Listenpreise wird es nicht geben. Flach unterstrich, ihren seit AMNOG eingeschlagenen Kurs beibehalten zu wollen – eine herbe Niederlage für den Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa). Im Vorfeld hatten deren Vertreter mehrfach versucht, zu intervenieren. „Deutschland verschenkt seine Verhandlungsspielräume, weil es glaubt, Preise seien intelligenter als Rabatte“, so vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer. Vom Tisch ist das Thema aber trotzdem nicht. Vielmehr halten Gesundheitspolitiker der Union auch eine nachträgliche Umsetzung der Vertraulichkeitsregelung für denkbar.
Honorierung: vielleicht schon bald…
Entgegen den Hoffnungen vieler Kollegen brachten Regierungspolitiker keinen Vorschlag ein, wie die desaströse Finanzsituation vieler Apothekern zu verbessern wäre. Tatsache ist, dass – im Gegensatz zu anderen Branchen – entsprechende Honorare seit acht Jahren von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt wurden. ABDA-Vertreter fordern deshalb, die Rx-Fixvergütung von 8,10 Euro auf 9,14 Euro zu erhöhen. Alternativ käme eine Absenkung des Apothekenabschlags von 2,05 Euro auf 0,95 Euro infrage. In Summe belaufen sich entsprechende Forderungen auf 624 Millionen pro Jahr. Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der Union, dachte jetzt über 8,35 Euro statt der geforderten 9,14 Euro nach, Apotheken bekämen nur 175 Millionen Euro mehr. Ein adäquater Inflationsausgleich ist das sicher nicht. Zu der Frage, ob Honorare für Nacht- und Notdienst, Rezepturen oder BtMs nach oben korrigiert würden, wollte sich der Gesundheitspolitiker nicht äußern. Beim Kassenabschlag bleibt Spahn jedoch unnachgiebig: Für 2013 will er Diskussionen auf der Zahlenbasis des Jahres 2010 beginnen.
Wieder weiter warten
Jetzt soll es auf dem kleinen Dienstweg zu einer besseren Honorierung kommen. Im Arzneimittelgesetz, Paragraph 78, steht eine mögliche Lösung. Hier wird das „Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium [für Gesundheit] durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, den Festzuschlag entsprechend der Kostenentwicklung der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung anzupassen.“ Momentan prüfen Ministerialbeamte alle Zahlen. Vor 2013 rechnet jedoch niemand mit einer Umsetzung.