Um Apothekenterminals war es still geworden, seit Richter vor knapp zwei Jahren enge Grenzen abgesteckt hatten. Jetzt folgt die nächste Runde: In Rheinland-Pfalz startet ein neues Modellprojekt – mit tatkräftiger Unterstützung der Landesregierung. Gut für Patienten – gut für Apotheker?
Die Idee: Abgabeterminals, etwa „Visavia“ von Rowa, sollen Kunden auch jenseits der regulären Öffnungszeiten von Apotheken mit Arzneimitteln versorgen. Anders als beim ehemaligen „CoBox“-Modell der mittlerweile insolventen CoBox-AG setzt Rowa auf das Visavia-System. Dieses wird von Technikern direkt an Apotheken montiert, mit Zugriff auf interne Kommissionierautomaten. Kunden können OTCs, Rx-Präparate sowie apothekenübliche Produkte erwerben. Doch so einfach ist die Sache nicht.
Ausgebremst
Bereits im Juni 2010 befasste sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Apothekenterminals – und hielt die damals marktübliche Firmenlösung für „weitgehend unzulässig“. In ihrer Urteilsbegründung sahen Richter vor allem zwei Problemfelder: Bei Rx-Präparaten genüge das Procedere nicht allen gesetzlichen Dokumentationspflichten des Apothekers. Dieser müsse Angaben auf dem Rezept abzeichnen beziehungsweise Änderungen gegebenenfalls unterschreiben. Der nächste Knackpunkt betraf personelle Fragen: Außerhalb regulärer Öffnungszeiten sprang eine Service-GmbH mit eigenen Approbierten ein, um Kunden über Videokonferenz-Schaltungen zu beraten. Das Apothekengesetz verpflichtet Inhaber jedoch zur persönlichen Leitung in eigener Verantwortung. Laut BVerwG lässt sich diese Verantwortung nicht einfach übertragen, da Apotheker keine Weisungsrechte gegenüber Angestellten einer Serviceagentur haben. In diesem Fall waren für die Richter sogar Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit entgegen Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz legitim – mit ausdrücklicher Billigung des Gesetzgebers, um Arzneimittel sicher abzugeben.
Visavia light
Trotzdem gingen diverse Terminals an den Start, wenn auch nur mit eingeschränktem Funktionsumfang. Apotheken boten an, Bestellungen Tag und Nacht abzuholen – in Summe ein wertvoller Service für beruflich stark eingespannte Kunden. Mit der Novelle zur Apothekenbetriebsordnung kommen weitere Einschränkungen hinzu: Der Gesetzgeber hat sich klar zur Beratungspflicht bekannt. Damit sind Lieferungen respektive Abholungen ohne Beratung nur möglich, sollte bereits ein Gespräch stattgefunden haben. Das Bundesministerium für Gesundheit hat zwar primär Botendienste im Visier, schließt andere Formen jedoch nicht aus.
Neues Spiel – neues Glück
Jetzt will es Rowa noch einmal wissen – mit einem Modellprojekt in Rheinland-Pfalz. Die Firma hat kritische Punkte nachgebessert: Kunden scannen ihr Rezept direkt am Terminal. Ein Bedrucken ist zum Zeitpunkt der Medikamentenabgabe möglich, inklusive elektronischer Signatur. Auch der Beratungspflicht wird Rechnung getragen: Via Bildschirm steht der Inhaber oder eine berechtigte Vertretung zur Seite. Patienten können damit Arzneimittel auch außerhalb der Öffnungszeiten ihrer wohnortnahen Apotheke beziehen, ohne entfernte Notdienstapotheken aufzusuchen. „Mit dem Modellprojekt wollen wir testen, ob die Abgabe über ein Terminal eine sinnvolle und qualitätsgesicherte Ergänzung für die Bürger und Bürgerinnen auf dem Land sein könnte“, sagt Malu Dreyer (SPD), Gesundheitsministerin von Rheinland-Pfalz. Sie konnte die Universitäten Trier und Mainz mit in das Boot holen – um Ergebnisse der Pilotphase zu evaluieren.
Momentan testen allerdings nur vier Apotheken das Terminal, und zwar in Daun, Osthofen, Bodenheim und Haßloch. Sie betreiben Visavia während ihrer regulären Öffnungszeiten, um Patienten an die Technik zu gewöhnen. Ab September folgt die nächste Phase mit Servicezeiten von Montag bis Samstag von 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Ob mit einer Hand voll Apotheken wirklich valide Daten zum Nutzerverhalten generierbar sind, wird sich zeigen. Erschwerend kommt laut Apothekerverband Rheinland-Pfalz hinzu, dass an den ausgewählten Standorten keine Mangelversorgung erkennbar ist.
Alle gegen alle
Zwar betont Dreyer, sie baue bei der Medikamentenversorgung in ländlichen Gebieten „in erster Linie auf unsere Apotheken“. Für Kollegen bleiben dennoch Fragen: Stellen Abgabeterminals den Notdienst infrage, wenn mehr und mehr Inhaber entsprechende Systeme betreiben? Vor allem kleinere Apotheken, die nicht in ein Abgabeterminal plus Kommissioniersystem investieren, stehen während Nacht- und Notdienst vielleicht ohne Kunden da. Bereits jetzt sind Dienstbereitschaften laut Karl-Heinz Resch, ABDA-Geschäftsführer Wirtschaft, Soziales und Verträge, ein mehr als defizitäres Geschäft: Dem Ertrag von acht Millionen Euro Gebühren plus 45 Millionen Euro packungsbezogenem Rohertrag stehen 245 Millionen Euro Personalkosten gegenüber.
In Summe führt das Jahr für Jahr zu einem Fehlbetrag von 192 Millionen Euro. Andererseits verursachen Terminals hohe Kosten im laufenden Betrieb – allein schon durch die Personenstunden eines Apothekers. Den verständlichen Wunsch, Notdienste von zu Hause aus zu leisten, wird Visavia nicht erfüllen: Laut Apothekenbetriebsordnung muss sich der Apothekenleiter oder eine vertretungsberechtigte Person „in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Apothekenbetriebsräumen“ aufhalten und „ jederzeit erreichbar“ sein“. Auch Standesorganisationen melden sich jetzt zu Wort.
Kritik aus Rheinland-Pfalz
Theo Hasse, Vorsitzender des Apothekerverbandes Rheinland-Pfalz, war mehr als erstaunt, als er durch die Presse von Malu Dreyers Aktion im eigenen Kammerbezirk erfuhr. Der Standesvertreter möchte jetzt vom Ministerium wissen, „welche Fakten die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, Abgabeterminals zu verbieten, außer Kraft gesetzt hätten“. Große Bedenken sieht er auch hinsichtlich der neuen Apothekenbetriebsordnung mit strengen Regelungen zu Beratung sowie Arzneimittelabgabe. Umso erstaunter ist Hasse über den Probelauf von „Selbstbedienungsautomaten“. Genau das sind Visavia-Terminals streng genommen nicht, dennoch gibt es kritische Punkte: Wie sollen Apotheker den bestimmungsgemäßen Gebrauch von Inhalatoren oder Insulinspritzen per Video erklären? Und wie ist künftig mit heiklen Produkten umzugehen, Stichwort BtMs? Juristisch wäre ebenfalls zu klären, ob Ladenschlussgesetze der Länder greifen.
Zwischen Nutzen und Aufwand
Ein Fazit aus der kontroversen Debatte: Kunden profitieren zweifelsohne von der längeren, wohnortnahen Versorgung mit Arzneimitteln. Für Apothekeninhaber bleibt zu prüfen, ob sich hohe Investitionen und Personalkosten wirklich amortisieren. Und nicht zuletzt: Malu Dreyer sieht Abgabesysteme für schlecht erschlossene Regionen vor. Genau hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Fehlen Apotheken, wird es auch keine Terminals geben. Sind kleine Landapotheken vorhanden, reicht deren Umsatz für derartige Investitionen oft nicht aus.