Bringt die elektronische Gesundheitsverwaltung deutliche Einsparungen für das angespannte öffentliche Gesundheitssystem? Nein, sagt eine US-Studie, welche die Verschreibungs- und Überweisungspraxis von niedergelassenen Ärzten unter die Lupe nahm.
Demnach verschreiben diejenigen Ärzte, die sich auf die digitale Auswertungen von Tests stützen deutlich mehr (Zusatz)-Untersuchungen als jene Kollegen, die sich auf klassische Papierdokumente und analoge Auswertungen verlassen. US-Gesundheitsexperten, Berater, Politiker und die Obama-Regierung haben wiederholt argumentiert, dass der flächendeckende Zugang zu elektronischen Gesundheitsdaten zu substantiellen Kosteneinsparungen im amerikanischen Gesundheitssystem führen werde. Daher hat sich der American Recovery and Reinvestment Act (ARRA), das Gesetz für die Erholung und Investition für die US-Wirtschaft, seit 2009 darauf berufen, die Subventionen für die Health Information Technology für Economic and Clinical Health (HITECH) dramatisch auszuweiten und damit die Öffentlichen Ausgaben zu erhöhen.
Die US-Denkfabrik RAND (Research and Development) Corporation, die nach dem zweiten Weltkrieg gegründet wurde, um ursprünglich die US-Streitkräfte zu beraten und in den letzten Jahren zu Gesellschaftsthemen wie die wachsende Fettleibigkeit der US-Bevölkerung und die Probleme des Drogenmissbrauchs an US-High Schools aufzeigte, hatte in jüngster Zeit errechnet, dass sich rund 80 Mrd. US-Dollar pro Jahr durch die flächendeckende Verwendung digitaler Untersuchungsauswertungen einsparen ließen. Und zwar besonder auf dem Sektor der bildgebenden Verfahren (Computertomographie, Magnetresonanzverfahren und Positronen Emissions Tomographie PET), die in den USA bereits vor zehn Jahren für rund 14 Prozent der gesamten Ambulanzkosten verantwortlich waren. Mit einer besseren digitalen Auswertung ließen sich erhebliche Kosten einsparen, fasst die „New York Times“, das Studienergebnis der US-Denkfabrik zusammen, die aus Einsparungsgründen für eine verstärkte Nutzung der elektronischen Patientendaten eintritt.
28.000 Patientendaten unter die Lupe genommen
Die neue „Health Affairs“-Studie, die sich auf die Berechnungen des staatlichen National Center for Health Statistics (NCHS) stützt, hat die Krankendaten von nicht weniger als 28.741 US-Bürgern und 1.187 niedergelassenen Ärzten unter die Lupe genommen. Die wichtigsten Studienergebnisse: Diejenigen Ärzte, die mit elektronischen Patientendatensystemen arbeiteten, verordneten 18 Prozent ihrer Patienten weiterführenden Tests zur Abklärung, während diejenigen, die auf Papierbasis arbeiteten, nur 12,9 Prozent zu weiteren Tests überwiesen. Die Tendenz zu teureren, weiterführenden Tests war bei jenen Ärzten, die sich auf digitale Datenbasis stützten noch weit höher, nämlich gleich zwischen 40 und bis zu 70 Prozent bei den „digitalisierten“ Ärzte im Vergleich zu ihren „analog“ arbeitenden Kollegen.
Sinnvoll oder doch nicht?
Darüber hinaus war die elektronische Verfügbarkeit von Labortestergebnissen häufig mit einer Anordnung von zusätzlichen Bluttests verbunden. Dabei war die Verfügbarkeit von elektronischen Patientendaten an sich nicht der Grund für die Anordnung weiterer Tests; der elektronische Zugang zu den Testresultaten scheint dafür der Auslöser gewesen zu sein. Eine mögliche Begründung dafür lautete, dass der Zugang zu elektronischen Daten den Ärzten mehr Zeit verschaffte und sie diesen Vorteil nutzten, um zusätzliche bildgebende Untersuchungen in Auftrag zu geben. Dieser „Convenience-Effekt“ des elektronischen Datenzuganges könnte dafür verantwortlich sein, dass die potentiellen Rückgänge zusätzlicher Studienanforderungen infolge von unnotwendigen, Mehrfachtests wettgemacht werden. Eine andere mögliche Begründung lautete, dass Ärzte, die verstärkt bildgebende Testverfahren einsetzen - warum auch immer - wahrscheinlich verstärkt digitale Gesundheitstechnologien einsetzen, was ihren intuitiven Zugriff auf bildgebende Auswertungen erhöht.
„Wir bezweifeln, dass die Anwendung der elektronischen Gesundheitstechnologien - was immer auch ihr sonstiger Nutzen ist - eine sinnvolle Kostenreduktions-Strategie darstellt“, so Studienautor Danny McCormick, Assistant Medizin-Professor der Harvard Medical School und Direktor der Division für Sozial- und Öffentliches Gesundheitswesen der Medizinischen Abteilung der Cambridge Gesundheitsallianz und Co-Direktor des Harvard Medical School Stipendiumprogramms für Allgemeinmedizin und Medizinische Grundversorgung. „Was immer auch die exakten Begründungen für unsere Studienergebnisse sind, sie beweisen wie wichtig es ist, die Vorteile der computergestützten Erfassung exakt zu ermitteln, statt diese aufgrund fehlender Daten zu schätzen, oder aufgrund kleiner Studien von nicht repräsentativen Insititutionen generalisierende Aussagen zu treffen“, warnte McCormick.
Unterschiedliche Interpretation der Ergebnisse
US-Gesundheitsexperten wie Obama-Berater David Blumenthal, der ebenfalls an der Harvard Medical School forscht, halten den Studienergebnissen entgegen, dass die Daten aus dem Jahr 2008, auf die sich die Untersuchung bezieht, dazu gedient hätten, das allgemeine Untersuchungsverhalten von Ärzten zu analysieren. Man habe überhaupt erst im vergangenen Jahr begonnen, systematisch den Einsatz von elektronischen Gesundheitsdaten zu untersuchen, so Blumenthal gegenüber der „New York Times“.
Er betrachte die neue Studie zudem für einen Ausreißer in einer großen Serie von Untersuchungen. Studienautor McCormick hält dagegen, dass Studien wie jene von RAND bis jetzt immer nur auf statistische Samples recht überschaubarer Gruppen bassierten. Diesmal habe man Datenmaterial einer wirklich großen Institution zur Verfügung gehabt, so McCormick. Kritiker des elektronischen Gesundkeitssystems kritisieren, dass man zurzeit ziemlich hohe Fördersummen für Umstellungsmaßnahmen auf elektronische Systeme ausgebe, der - vor allem ökonomische - Nutzen dieser Systeme allerdings kaum absehbar sei.