Beim Schlaganfall zählen Minuten: Je rascher mit der Lyse begonnen wird, desto besser. Speziell ausgestattete Fahrzeuge haben nun lebensrettende Diagnostik- und Therapietechnik an Bord. Erste Studien zeichnen aber ein diffuses Bild hinsichtlich des Nutzens.
Jährlich erleiden zirka 250.000 Patienten einen Schlaganfall. Das Leiden steht laut Statistischem Bundesamt an sechster Stelle der offiziellen Todesursachen-Statistik und ist eine der häufigsten Gründe für bleibende Schäden. Je nach Pathomechanismus therapieren Kollegen ganz unterschiedlich.
Der große Unterschied
Schlaganfälle lassen sich teilweise auf Blutgerinnsel und damit verbunden auf einen Gefäßverschluss zurückführen. Anders als bei dieser ischämischen Form treten beim hämorrhagischen Insult Gehirnblutungen auf. Beide Prozesse führen zum gleichen Ergebnis: Der Körper kann das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff beziehungsweise Nährstoffen versorgen – und es kommt zum massenhaften Absterben von Nervenzellen. Beim ischämischen Insult gilt die Lysetherapie als Mittel der Wahl: Enzyme wie die Alteplase (rt-PA) lösen Thromben auf – falls innerhalb von 4,5 Stunden entsprechende Infusionen verabreicht werden. Kontraindiziert sind diese Präparate jedoch bei Gehirnblutungen. Und hier liegt das Problem: Kollegen im Rettungswagen können ohne bildgebende Diagnostik nicht unterscheiden, ob sie wirklich die ischämische Form vor sich haben. Im Krankenhaus ist es möglicherweise bereits zu spät für die Lyse – vor allem, falls Patienten einen Infarkt im Schlaf erleiden oder den Rettungsdienst zu spät verständigen.
Hospital auf Rädern
Doch wie lässt sich Zeit gewinnen? Professor Dr. Klaus Faßbender und Dr. Silke Walter vom Uniklinikum des Saarlands entwickelten das Schlaganfall-Hospital auf Rädern. „Eine Mobile Stroke Unit hat im Gegensatz zum herkömmlichen Rettungswagen einen Computertomographen zur Durchführung einer Bildgebung des Gehirnes und eine Laboreinheit zur Blutanalyse“, so Walter zu DocCheck. Damit nicht genug: „Im Gegensatz zu herkömmlichen Rettungswagen kann ein Schlaganfall direkt vor Ort in einer Mobilen Stroke Unit ursächlich behandelt werden.“ Telemedizinische Systeme erlauben die Datenübertragung in Richtung Klinik – wichtig, um zeitraubende Schnittstellen zu vermeiden. Bislang existieren laut Silke Walter nur zwei Fahrzeuge weltweit, in Homburg und Berlin. Umso wichtiger ist, den Mehrwert für Patienten kritisch zu prüfen.
Erste Studienergebnisse
Professor Dr. Klaus Faßbender und Dr. Silke Walter veröffentlichten kürzlich eine randomisierte, kontrollierte Studie in „Lancet Neurology“. Walter: „Wir konnten zeigen, dass die Zeit bis zur Therapieentscheidung für Patienten, die mit der Mobilen Stroke Unit behandelt wurden, im Vergleich zu Patienten, die in der Klinik behandelt wurden, um 50 Prozent reduziert wurde.“ Dazu verglichen die Forscher Daten von 100 Personen zwischen 18 und 80 Jahren mit Verdacht auf Schlaganfall. Diese wurden entweder von der neuen Mobilen Stroke Unit behandelt oder nach dem Transport im Rettungswagen stationär therapiert. In Summe holte die Mobile Stroke Unit 53 Patienten ab, und 47 der altbekannte Rettungswagen. Jeweils 50 Prozent hatte tatsächlich einen Schlaganfall – wobei sich keine Diagnose der mobilen Schlaganfall-Einheit als falsch entpuppte. Hier verringerte sich die so genannte „Alarm-bis-Therapieentscheidungs-Zeit“ verglichen zur Behandlung im Krankenhaus signifikant (35 Minuten versus 76 Minuten). Bei 57 Prozent der Patienten dauerte es vom Auftreten erster Symptome bis zur Therapieentscheidung weniger als eine Stunde. In der Kontrollgruppe waren es gerade einmal vier Prozent mit diesem guten Wert. Auch die „Alarm-bis-Therapiebeginn-Zeit“ ließ sich signifikant verringern (38 Minuten versus 78 Minuten).
Mögliche Fehlerquellen
Trotz dieser guten Zahlen ist der Mehrwert nicht auf Anhieb ersichtlich: Nach einer Woche ging es Patienten mit schnellerem Therapiebeginn nicht besser als der Vergleichsgruppe. Hinsichtlich der Mortalität schnitten Schlaganfall-Patienten, die mit der mobilen Einheit behandelt wurden, sogar schlechter ab. Das generelle Problem liegt in zu kleinen Fallzahlen. Peter M. Rothwell und Alastair M. Buchanan von der Universität Oxford weisen in einem Editorial auch auf methodische Schwächen hin. Die Randomisierung habe auf einem Zeitfaktor basiert, nicht auf Patienten: In manchen Wochen kam per Zufallsentscheid die mobile Truppe zum Einsatz, ansonsten der Rettungswagen. Disponenten der Leitstelle sollten ebenfalls nicht vorher wissen, welches Fahrzeug ausrücken wird. Auch sei ein gewisser Bias nicht auszuschließen, da vorab ja zu entscheiden war, ob überhaupt der Verdacht auf einen Schlaganfall besteht. Weitere Kritikpunkte sind eher technischer Natur: Das mobile Schlaganfall-Team konnte nicht bei allen Patienten ein CT durchführen, zwei Betroffene waren beispielsweise stark übergewichtig. Kollegen dürfen auf neue Ergebnisse gespannt sein, und zwar nicht nur aus Homburg. Wie Professor Dr. Heinrich Audebert von der Charité gegenüber DocCheck berichtet, sei in einem Monat auch mit Daten aus dem Berliner Projekt zu rechnen, inklusive größerer Patientenzahlen.
Stadt – Land – Fluss?
Alastair M. Buchanan weist noch auf eine weitere Problematik hin: In Homburg war die MSU im Schnitt vier Minuten später als der Rettungswagen vor Ort. Da anfangs sicher nicht mit vielen Spezialfahrzeugen zu rechnen ist, könnte die Wartezeit jenseits großer Städte zu lange werden. Patienten hätten vom schneller verfügbaren konventionellen Transport in eine entsprechend ausgestattete Klinik womöglich einen größeren Nutzen. Doch gerade in größeren Städten ist der Weg bis zum nächsten Krankenhaus meist vergleichsweise kurz – was eher für den Einsatz von Mobile Stroke Units in ländlichen Gebieten spräche. Schlüssige Konzepte gibt es aber noch nicht.
Langfristig auch wirtschaftlicher
Dabei sind auch Kostenaspekte nicht zu vernachlässigen. Zwar schlagen alle Geräte mit 300.000 Euro zu Buche, ein normaler Rettungswagen kostet halb so viel. Hinzu kommen Personalkosten: Mit an Bord waren ein Neurologe sowie – aufgrund der erforderlichen Sachkunde – ein Neuroradiologe. Diesen Ausgaben stehen immense Einsparmöglichkeiten gegenüber: Wie die Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe berichtet, bleiben rund 64 Prozent der Überlebenden eines Insults dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen. Davon müssen 15 Prozent sogar in einer Pflegeeinrichtung betreut werden. Durch eine frühe Lysetherapie hätten Kollegen dies in vielen Fällen vermieden.
Blick durch das Lysefenster
Weitere Arbeiten untersuchen, inwieweit der Zeitdruck, spätestens 4,5 Stunden nach ischämischen Schlaganfällen mit einer Lyse zu beginnen, tatsächlich berechtigt ist. Eine kürzlich in „Lancet“ veröffentlichte Arbeit mit 3035 Patienten, die Hälfte war über 80 Jahre alt, zeigte bei später Anwendung von Alteplase zwar keinen Nutzen hinsichtlich des Gesamtüberlebens im Vergleich zur Kontrollgruppe (37 versus 35 Prozent nach sechs Monaten). Allerdings trugen unter Verum 24 Prozent keine bleibenden Schäden davon – im Vergleich zu 21 Prozent ohne Thrombolyse. Wer innerhalb von drei Stunden Medikamente zur Auflösung eines Blutgerinnsels bekam, hatte die besten Chancen, auch in Zukunft ohne fremde Hilfe leben zu können. Das bewies eine Metaanalyse mit zwölf Studien und 7012 Patienten. Genau hier können Mobile Stroke Units zukünftig ihren Beitrag leisten.